Essen. Mit allem früh dran, aber selten erster: So ist das als Geschwisterchen. Als Eltern sollte man sich da eine Sache eingestehen, meint unser Autor.

Diese Nacht, als ein Freund meines älteren Bruders bei uns übernachtete, veränderte alles. Sein Freund steckte gerade in der pubertären Metamorphose vom identitätsarmen Jungen zum Punk, zappte im Fernsehen viel eher auf MTV und Viva statt auf die Sender mit den Zeichentrickserien. Und in dieser Nacht, da steckte er auch uns an. Ab da wurde so gut wie kein Kinderfernsehen mehr bei uns geschaut. Für Jungs zwischen 14 und 15 Jahren mag das halbwegs angemessen gewesen sein, ich als 11-jähriger kleiner Bruder war aber eigentlich noch nicht so weit, sich Christina Aguilera im „Dirrty“-Musikvideo halb nackt räkeln zu sehen.

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Das sind nun einmal die Vorzüge jüngerer Geschwisterkinder: Türen öffnen sich früher. Ich muss oft an jene Nacht denken, wenn meine Tochter jetzt mit uns „Mario Kart“ zockt oder Teile ihres Schulwegs allein bestreitet. Das sind so Dinge, die wären bei ihrem großen Bruder in ihrem Alter nicht denkbar gewesen. Da gab es Videospiel-Verbot und ausgeprägtes Helikoptereltern-Dasein unsererseits. Und damit wären wir auch bei uns angekommen, den Eltern.

Der Jüngste ist bei allem früher dran. Aber er ist selten der Allererste

Die erleben mit ihrem ersten Kind schließlich alles zum ersten Mal. Wie jetzt bei unserem Sohn den Übergang von der Grundschule in die fünfte Klasse. Da wird erst mal alles so ein bisschen nebensächlich, was sich in der Primarstufe bei unserer Tochter abspielt. Es ist fast unmöglich, diese Aufgeregtheit, diese Euphorie eines brandneuen Lebensabschnittes zu 100 Prozent wieder aufleben zu lassen, wenn Kind 2 irgendwann an der Reihe ist.

Geschichten aus der Familienbande: WAZ-Kolumnist Gordon Wüllner-Adomako erzählt seit 2014 von seinem Leben als zweifacher Vater und Ehemann. 
Geschichten aus der Familienbande: WAZ-Kolumnist Gordon Wüllner-Adomako erzählt seit 2014 von seinem Leben als zweifacher Vater und Ehemann.  © Funke Grafik NRW | Catharina Maria Buchholz

Sich das einzugestehen, fällt als Eltern in etwa so schwer, wie zuzugeben, dass man seinem elfjährigen Sohn die Freiheit gegeben hatte, sich in Christina Aguilera (obendrein in ihrer versautesten Phase!) zu verschießen. Aber das ist nun einmal das ungeschriebene Gesetz der Nesthäkchen-Existenz: Der Jüngste ist bei allem früher dran. Aber er ist selten der Allererste – ob es darum geht, auf eine neue Schule zu wechseln oder das Kinderfernsehen zu verbannen.

Geschichten aus der Familienbande: WAZ-Redakteur Gordon Wüllner-Adomako ist 2014 mit Anfang 20 Vater geworden. Seitdem erzählt der Essener in seiner Kolumne – immer mit einem Augenzwinkern – von dem chaotischen Leben mit seiner Familie.