Dortmund. Mit dem Bundesjazzorchester bot „Dr. Swing“ in Dortmund das Eröffnungskonzert zur EM. Wir sagen, wie man es gratis nacherleben kann.

Es hatten die Schotten ihre Kilts noch nicht gegen die Trikots getauscht, da fielen in Dortmund schon die ersten Tore. Präzis als Vorgruppe zum EM-Auftakt starteten das Eröffnungskonzert seine 90 abgezirkelten Minuten: Alter Hase als Gaststar, rund drei Dutzend hochbegabte Youngster im Zentrum.

Tom Gaebel und das Bundesjazzorchester eröffnen EM in Dortmund

Lösen wir auf: Das Bundesjazzorchester („BuJa“) und „Dr. Swing“ Tom Gaebel legten im ausverkauften Saal an der Brückstraße ein Spitzenspiel hin. Selbst wenn Nagelsmanns Truppe als Verlierer vom Platz gegangen wäre: Das hier war zu prall, zu extrem lustvoll absolviert, zu virtuos, um den 14. Juni nicht als guten Tag für den deutschen Fußball zu erinnern.

Der sandte Grüße der ulkigsten Art. Denn nachdem die mit schwerem Blech bewaffnete Talentschmiede (das „BuJa“ ist das offizielle Jugendjazzorchester der Bundesrepublik Deutschland) unter Leitung von Ansgar Striepens puristisch mit lupenreinen Genre-Stücken wie Bob Florences „Nobody‘s human“ und einem bestechenden Mix aus Power und Präzision den Klangrasen ausgerollt hatte, schaute Franz Beckenbauer vorbei. Geadelt durch ein saftiges Big-Band-Arrangement klang „Gute Freunde kann niemand trennen“ tatsächlich nach Musik. Dass das gesunde Selbstvertrauen des Kaisers eine vokale Anti-Begabung einst von sich wies („So schlecht, wie andere meinen, singe ich gar nicht“), fällt in die Nachspielzeit der Rezeptionsgeschichte.

Sänger, Bandleader, Entertainer: Tom Gaebel war einst selbst im Bundesjazzorchester. Am Freitag trat er zum Auftakt der Europameisterschaft mit dem Elite-Klangkörper im Konzerthaus Dortmund auf.
Sänger, Bandleader, Entertainer: Tom Gaebel war einst selbst im Bundesjazzorchester. Am Freitag trat er zum Auftakt der Europameisterschaft mit dem Elite-Klangkörper im Konzerthaus Dortmund auf. © THORSTEN AHLF / FUNKE FOTO SERVICES | Thorsten Ahlf

Seien wir ehrlich: Es war knallvoll, die jungen Hochbegabten lieferten pure Brillanz. Aber irgendwann fragen sich die 1500 Leute doch: Wann wechseln die endlich Ronaldo ein? Tatsächlich erhob Tom Gaebel erst in der zweiten Halbzeit die Stimme, dann aber verwandelte er eine Elfer nach dem anderen. Und wie gut, dass das Konzept sich nicht sklavisch ans fußballerische Leitmotiv hielt. Wir wären um Glanzstücke Gaebels gebracht worden: Cole Porters „I‘ve got you under my skin“ mit Toms edelrauer Sinatra-Stimme und dem Dean-Martin-Klassiker „Sway“ – das BuJa war hier mehr als Begleiter, es gab fabelhafte Soli auf Saxophon, Altsaxophon, Gitarre.

Songs von Beckenbauer bis Sinatra im Konzerthaus Dortmund

Gaebel aber stürmte als primus inter pares (als Jungspund posaunte er selbst im Bundesjazzorchester) weiter aufs gegnerische Tor aller Entertainment-Langeweile und schoss selbst peinlichen Kicker-Singang wie „Fußball ist unser Leben“ in die Bundesliga des charmant Erträglichen. Originalinterpreten waren einst unter anderem Berti Vogts, Jupp Heynckes und Uli Hoeneß: gesanglich 1974 stets kurz vor der Roten Karte.

Fußball nicht nur „aufm Platz“:  Das Konzerthaus in der  Dortmunder Brückstraße war am 14. Juni Austragungsort des Eröffnungskonzertes von EM-Gastgeber Dortmund.
Fußball nicht nur „aufm Platz“: Das Konzerthaus in der Dortmunder Brückstraße war am 14. Juni Austragungsort des Eröffnungskonzertes von EM-Gastgeber Dortmund. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann Funke Foto Services

Es hätte noch ewig so gehen können, aber in München wollten sie leider nicht ewig warten. Gaebel und das Bundesjazzorchester schenkten den lauthals Jubelnden im Saal mit „We are the Champions“ ohne Nachspielzeit einen Gänsehautklassiker. Dass die Deutschen danach doch gewonnen haben, tröstet über den zu kurzen Spaß sacht hinweg.

Sie haben das Konzert verpasst? Noch einen Monat lang ist es auf WDR 3 digital nachzuhören. Hier die Infos