Essen. Auf seiner Konzertreise präsentiert der Liedermacher seine liebsten Filmkompositionen. Zuvor spricht er über Musik, Nazis und Frieden.
Seit mehr als 50 Jahren brennt Konstantin Wecker an beiden Enden. Und das seit über 50 Jahren. Er hat 600 Lieder geschrieben, viele dutzend Film- und Theatermusiken komponiert, ist Sänger, Schauspieler, Anarchist, Antifaschist, Pazifist und Ex-Pornodarsteller in einer Person. Ein „Überangebot an Mensch“, wie es sein verstorbener Freund Dieter Hildebrandt auszudrücken pflegte. Nun veröffentlicht der Münchner den „Soundtrack meines Lebens“. Im Herbst will er das Doppelalbum auf einer großen Tour mit Band vorstellen, die Karten werden langsam knapp. Mit seinen rebellischen Liedern gegen die AfD, gegen Fremdenfeindlichkeit, Engstirnigkeit, Krieg und die dunklen Schatten der Vergangenheit spricht der 77-jährige Bürgerschreck jedem Punk aus dem Herzen. Die Fragen an Konstantin Wecker stellte Olaf Neumann.
Ihr „Der Soundtrack meines Lebens“ beginnt mit der Musik aus dem Film „Beim Jodeln juckt die Lederhose“ von 1972. Sie haben aus Ihrer Mitwirkung an Softpornos nie ein Geheimnis gemacht. Wie kam man an solche Rollen heran?
Konstantin Wecker: Ich habe als Student in Berlin in dem sehr seriösen Film „Die Autozentauren“ von Chuck Kerremans mitgewirkt, der mich wegen meines damals ganz knackigen Oberkörpers ausgesucht hatte. Es war kein Softporno. Für die Rolle musste ich mich blond färben und nichts anders tun als mit einem Auto verschmolzen zu sein. Autozentauren waren damals wie heute ein Penisersatz für gewisse Männer. Bei dem Film lernte ich Karl Dall und Ingrid Steeger kennen. Danach habe ich mich beim Künstlerdienst in München als Schauspieler beworben, weil ich ja diesen einen Film hatte.
Mit welchem Resultat?
Wecker: Ich bekam sofort eine Hauptrolle angeboten. In den Nebenbedingungen musste ich lesen, dass der Protagonist nichts dagegen habe, sich nackt zu zeigen. Da wurde mir klar, wo ich gelandet bin. Aber es waren immerhin 300 Mark pro Tag und bedeutete das Ende meiner finanziellen Sorgen. Bis dahin hatte ich immer Studentenjobs wie Klaviere packen. Es waren nur Softpornos, aber unglaublich schlechte Filme. (lacht) Ich wurde sogar noch synchronisiert! Nach einer gewissen Zeit schrieb ich aber lieber mehrere Musiken und Lieder für eines der ersten feministischen Frauentheaterkollektive. Schließlich engagierte Margarethe von Trotta mich für eine Filmmusik und eine erste Schauspielrolle. Ihr verdanke ich, dass ich in der seriösen Branche etwas zu tun bekam.
In München wurde der „Neue Deutsche Film“ miterfunden, der alle cineastischen Traditionen umkrempelte. Fassbinder machte dort „action-theater“, und das Musical „Haare/Hair“ provozierte mit vollständig nackten Darstellern. War es Zufall, dass diese radikalen Umwälzungen ausgerechnet in Bayern passierten?
Wecker: Das war ein Widerstand gegen die CSU und die bayrischen Regierungen unter den Ministerpräsidenten Alfons Goppel und Franz Josef Strauß, in denen noch unsäglich viele alte Nazis saßen. Ich war eng mit Dieter Hildebrandt befreundet, der in Bayern lebte. Und es gab Gerhard Polt und die Biermösl Blosn. Wir verstanden uns schon als Bayern, aber wir haben künstlerisch einen widerständlerischen Akt begonnen. Wir waren Revoluzzer. Ich habe Fassbinder zwar persönlich kennengelernt, hatte aber bis auf Margarethe von Trotta mit den jungen deutschen Filmleuten nichts zu tun.
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Wie haben Sie Rainer Werner Fassbinder erlebt?
Wecker: Das war in irgendwelchen Münchner Kneipen, ich habe ihn aber nicht näher kennengelernt. Man ist sich halt ab und zu über den Weg gelaufen. Es herrschte eine spannende Atmosphäre hier in München, schon auch Schickimicki, aber nicht annähernd so belanglos wie heute. In der Schickimicki-Welt waren wenigstens ein paar spannende Typen wie Fassbinder dabei. Ich war da schon ein in München halbwegs bekannter junger Liedermacher.
Wo sind Sie anfangs aufgetreten?
Wecker: Es gab das Song Parnass und erste Liedermacherkneipen, wo man für ein paar Bier spielen konnte. Reinhard Mey und Hannes Wader waren da schon bekannt. Ich habe in meinem Leben unglaublich viel Blödsinn gemacht, manches davon ist sehr populär geworden, aber ich bin einem Motto immer treu geblieben: „Ich singe, weil ich ein Lied habe, und nicht, weil es euch gefällt“. Ich habe schon als 13-Jähriger Trakl, Baudelaire und Rimbaud geliebt. Und Henry Miller schrieb: Der wahre Künstler hat die Verpflichtung, Anarchist zu sein. Das prägt mich bis heute.
Zu Ihren erfolgreichsten Filmmusiken gehört „Die weiße Rose“ unter der Regie des kürzlich verstorbenen Michael Verhoeven. Warum sollten wir heute noch an die Widerstandskämpfer um die Geschwister Hans und Sophie Scholl erinnern?
Wecker: Das ist wichtiger als je zuvor. Die beiden wussten genau, dass sie Hitler nicht besiegen konnten, haben aber trotzdem Widerstand geleistet. Es geht ums Tun und nicht ums Siegen, so die Botschaft aus meinem Lied „Die weiße Rose“. Ich bin Pate von mehreren Schulen ohne Rassismus und bitte Lehrer immer wieder, dass sie die Jugendlichen an diese Zeit erinnern. Wilhelm Reich schrieb 1933 über die „Massenpsychologie des Faschismus“, eines der ersten Bücher, die verbrannt wurden. Darin bewies er, dass Faschismus ausschließlich auf Mythen basiert. Und was sind Mythen heute? Fake News! Und das ist die große Gefahr. Für heutige Jugendliche liegt der Faschismus so weit zurück wie für uns der Dreißigjährige Krieg. Ich bin aber noch in den Trümmern des Zweiten Weltkriegs aufgewachsen. Es ist auch unglaublich wichtig, sich weiter mit dem Holocaust zu beschäftigen, dem schrecklichsten Verbrechen einer Diktatur, das jemals Menschen angetan wurde.
Die AfD behauptet immer, die NS-Zeit betreffe die deutsche Identität nicht mehr. Aber 2017 hat sie in Nürnberg mit einem Wahlplakat geworben: „Sophie Scholl würde AfD wählen“. Ist der Kampf gegen Rechtspopulisten aufgrund ihrer Rhetorik schwerer geworden?
Wecker: Als ich kurz nach der Wende das Lied „Sage Nein!“ schrieb und die ersten Asylbewerber- und Ausländerheime brannten, hätte ich mir nicht vorstellen können, dass es so etwas wie die AfD in Deutschland geben kann. Weil ich als 68er der Meinung war, dass uns die Vergangenheitsbewältigung gelungen ist. Wir haben ja Altnazis aus ihren Jobs vertrieben. In Italien, wo ich auch lebe, gibt es sogar noch Mussolinistatuen. Wir dürfen diese Entwicklung nicht vom Kapitalismus trennen, weil die Menschen verunsichert sind durch diese Art zu denken. Geld verdienen und erfolgreich sein - das ist das Einzige, was angeblich glücklich macht. Im kapitalistischen System wird kein bisschen mit dem Herzen gedacht. Das müssen wir erst wieder lernen.
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Wie könnte das gelingen?
Wecker: Dafür ist die Kunst da. Sie ist unglaublich wichtig, weil sie uns an unseren wesentlichen Auftrag als Menschen erinnern kann: mitfühlend zu sein.
Filmmusik muss beim Schauen so präsent sein, dass man sie wahrnimmt, aber nicht so sehr, dass man von den Bildern und der Story nichts mehr mitbekommt.
Wecker: Ich habe in dieser Hinsicht ganz viel von dem Regisseur Helmut Dietl gelernt. Er sagte zu mir immer: „Dös is net lustig“! Ich wusste aber nicht, was lustige Musik ist. Am Anfang von „Schtonk!“ versuchen Wehrmachtssoldaten, den toten Hitler zu verbrennen, aber „der Führer brennt nicht!“. Alles, was ich zu dieser Szene komponiert habe, fand Dietl nicht lustig. Aber dann kam er auf die Idee, Zarah Leanders „Davon geht die Welt nicht unter“ zu verwenden. Und das war dann viel lustiger als meine ganzen Musiken.
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„Schtonk!“ ist eine Satire über die Veröffentlichung der gefälschten Hitler-Tagebücher in der Hamburger Illustrierten Stern 1983. Wäre man heute vom Fund der angeblichen Hitler-Werke genauso elektrisiert wie damals?
Wecker: Heute würde man alles ganz anders hinterfragen allein wegen KI. Damals gab es ja noch keine Fake News in dem Sinne. Ich könnte mir vorstellen, dass heute gewisse Politiker ganz begeistert wären, wenn man Hitler-Tagebücher finden würde. (lacht)
Warum waren die meisten Leute in den 1980ern noch so fasziniert von Hitler?
Wecker: Das lag sicher auch an der Aufarbeitung des Nationalsozialismus, die in den 1970ern stattgefunden hatte. Aber die Leute waren nicht begeistert von Hitler, wie es heute bei einigen der Fall ist. Es war einfach ein Dauerthema, und das war auch gut so.
Von Ihnen stammt auch die Musik zu Helmut Dietls Kultserie „Kir Royal“ über Klatschreporter und die Münchner Schickeria. Kannten Sie diese Welt aus eigener Anschauung?
Wecker: Ja, das Milieu war mir wahnsinnig vertraut. Ich werde nie die Szene vergessen, die ich mit Senta Berger gespielt habe. Das hat mir gezeigt, was für ein toller Regisseur Helmut Dietl war. Er wusste immer ganz genau, was er wollte, und er hat auch die großen Schauspieler wirklich geführt. Ich war ja nie ein richtiger Schauspieler, aber mit einem wirklich guten Regisseur kannst du eigentlich gar kein schlechter Mime sein. Federico Fellini etwa ließ in seinen Filmen immer zwei, drei Profis mitspielen, und alle anderen sind Laien gewesen. Und die waren hervorragend.
Welche Bilder haben Sie im Kopf, wenn Sie Ihre eigenen Filmmelodien live spielen?
Wecker: Wenn ich mir meine eigenen Musiken anhöre, denke ich manchmal, jemand anderes hätte sie geschrieben, obwohl ich sie natürlich gut kenne. Aber ich weiß nicht mehr genau, wann ich welches Stück wo geschrieben habe. Es ist einfach zu lang her. Ich erfreue mich an meiner eigenen Musik genauso wie an Ennio Morricone oder Nino Rota: Oh, das ist schön, das ist ja von mir!
Werden Sie bei Ihrer Soundtrack-Tournee auch Filmausschnitte zeigen?
Wecker: Nein, das wird leider nicht gehen. Auch das Orchester können wir nicht mitnehmen, aber meine Band kann viele Klänge zaubern. Ich fände es schön, wenn die Bilder im Kopf der Zuschauer entstehen würden. Ich werde auch viel aus meinem Leben erzählen und einige Lieder von mir spielen. Und ich werde Geschichten über Filme, Schauspielstars und Regisseur*innen erzählen, für die ich meine Filmmusiken komponiert habe. Und ich werde in meine Kindheit zurückgehen. Als Zwölfjähriger habe ich am Gärtnerplatztheater in einer Oper von Benjamin Britten gesungen. Zum Soundtrack meines Lebens gehören auch Theatermusiken und Musicals. Ich bin selbst überwältigt davon, wie unglaublich viel ich trotz meines ganzen Blödsinns gearbeitet habe. Es gibt von mir allein 600 Lieder.
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Neben Ihren musikalischen Projekten finden Sie auch noch Zeit für Friedensarbeit. Mit dem gefürchteten Rüstungsgegner Jürgen Grässlin etwa haben Sie Ihre Vision einer friedlichen und gerechteren Welt vorgestellt. Wie lautet diese?
Wecker: Wir sind beide bekennende Pazifisten. Das heißt nicht, dass wir generell gegen Widerstand sind, aber er sollte gewaltfrei sein. Im Herbst bringen Jürgen Grässlin und ich ein Buch heraus. Darin kommen spannende Menschen vor, die mit ihrer gesellschaftspolitischen Arbeit Mut machen. Das sind Flüchtlingshelfer, eine Philosophin oder eine Kranken- und Altenpflegerin. Ich unterstütze seit langem den Verein Connection e.V. Er hilft weltweit Desertierenden. Das hat auch etwas mit meiner Familiengeschichte zu tun, denn mein mutiger Vater ist in der Nazizeit aus pazifistischen Gründen desertiert. Wie durch ein Wunder hat er überlebt. Leider wird nie öffentlich thematisiert, wie erfolgreich gewaltfreier Widerstand sein kann, selbst in der umkämpften Ukraine, wo es auch eine pazifistische Bewegung gibt. Gerade über die Mittel der Kunst kann man gewaltfreien Widerstand in die Herzen der Menschen pflanzen.
Termine: Konstantin Wecker live mit Band: „Der Soundtrack meines Lebens“
22.10. Düsseldorf (Tonhalle), 23.10. Köln (Philharmonie), 24.10. Dortmund (Konzerthaus). Karten ab ca. 58 €.
Termine Konstantin Wecker mit dem Programm „Lieder meines Lebens“
2.8. Dinslaken (Freilichtbühne Burgtheater), 14.4.2025 Mönchengladbach (Kunstwerk). Karten ab ca. 50 €.