Dortmund. Mit massivem Dröhnen, großer Emotionalität und politischer Vehemenz fesselt das Aachener Post-Hardcore-Trio im FZW. Später Auftakt.
Manchmal gibt es Wichtigeres als Musik. „auf grund [sic] der Demos in Dortmund, Iggelhorst 23 und Bochum, Hauptbahnhof gehen wir im FZW Dortmund erst um 21.30 Uhr auf die Bühne“, schreibt Fjørt am frühen Freitagnachmittag in den sozialen Medien – die Fans der Aachener Post-Hardcore-Institution sollen die Chance haben, gegen die AfD und deren rechtsextremistische Umtriebe auf der Straße Flagge zu zeigen und trotzdem nichts vom Konzert zu verpassen.
Wie wichtig der Band das Thema ist, unterstreicht sie rund acht Stunden später auf der Bühne noch einmal: „Wir schreiben das Jahr 2024. 1933 bis 1945 und der Holocaust scheinen vergessen, 22 Prozent der Menschen wählen AfD“, predigt Bassist David Frings mit einer Mischung aus Zorn und Fassungslosigkeit ins Mikrofon. „Viele von euch haben sich dem braunen Dreck entgegengestellt. Kein Vergeben, kein Vergessen. ‚Nie wieder‘ ist jetzt!“
In den aufbrandenden Jubel hinein folgt „Paroli“, jener Song, den Fjørt einst anlässlich der Dresdner Pegida-Demonstrationen geschrieben hat; Frings stürmt den Bühnenrand entlang, reißt die geballte Faust in die Höhe, peitscht das Publikum hoch, bis auch noch die Letzten Zeilen wie „Haltet stand!“ und „Auf zwei von denen / Kommen zehn von uns“ inbrünstig mitbrüllen – und sich die wohltuende Gewissheit einstellt, dass die Band heute gut 1000 Anhänger der wehrhaften Demokratie im Club an der Ritterstraße um sich versammelt hat.
Fjørt zeigt vehement Haltung – Kochkraft durch KMA im Vorprogramm
Das ist ebenso wenig eine Überraschung wie die Spendensammlung für Menschen- und Tierrechtsorganisationen an der Abendkasse, der Stand von Seenotrettern im Foyer oder das Vorprogramm, in dem mit den angriffslustigen NRW-Elektropunks Kochkraft durch KMA schon die nächste Generation widerständiger Subkultur antreten darf – die drei von Fjørt haben seit Gründung der Band 2012 nie die haltungsstarke Szene vergessen, aus der sie kommen.
Chris Hell auf der Kettcar-Single „München“
Dass Gitarrist und Sänger Chris Hell auf der gerade erschienenen antirassistischen Kettcar-Single „München“ zu hören ist, verdeutlicht gleichzeitig, dass das Trio mittlerweile zu den „Großen“ gehört. Das spiegelt sich in der wenig puristischen Live-Inszenierung: Zu Beginn stehen sich Bassist Frings und Gitarrist Hell auf Podesten gegenüber, eine Licht- und Nebelwand verdeckt sie, während unter ihnen Schlagzeuger-Kraftwerk Frank Schophaus mit ersten wuchtigen Schlägen den Titelsong der 2022 erschienen vierten Fjørt-Platte „Nichts“ vorantreibt. Als Hell mit seinem Gesang einsetzt, verweht ein satter Hall-Effekt atmosphärisch seine Stimme.
Songs wie „Anthrazit“ oder „Lod“ mit brachialer Gewalt
Natürlich zelebrieren die drei mit Songs wie „Anthrazit“ oder „Lod“ auch weiterhin wutschäumende Attacken oder markerschütterndes Donnergrollen. Dann wird die brachiale Gewalt ihres Post-Hardcore so massiv, dass man jeden Augenblick damit rechnet, es könne sich ein Spalt in der Erde auftun und alles verschlingen. Doch noch besser ist Fjørt dieser Tage in jenen emotionalen Momenten, mit denen die Band ihre von Frust, Angst und Wut durchtränkten Stücke im Laufe ihrer Karriere immer öfter erfolgreich aufgebrochen hat.
Etwa, wenn Chris Hell in „Fernost“ zum Mantra „Du bist mehr als die Summe deiner Teile“ verletzlich in die Kopfstimme rutscht und das Publikum unmittelbar in seiner Sehnsucht abholt. Oder wenn sich nach dem gefühlvollen Intro von „Kolt“ die gesteigerte Spannung in einer grandios konzentrierten Selbstbezichtigung entlädt, in der Bassist Frings seine gut informierte und wohlgenährte Tatenlosigkeit selbst geißelt, stellvertretend für die Millennial-Generation.
Chris Hell: Es hat geholfen, sich gegenseitig anzuschreien
Stets ist dabei viel Pathos im Spiel, Fjørt trägt schon immer im Lauten wie im Leisen dick auf, es sind martialische Melancholiker. Übel nimmt man ihnen das nicht, weil es so von Herzen kommt, ganz ohne Affekt; ihr Auftreten folgt keiner Geltungssucht, vielmehr braucht da etwas ein Ventil. „Wir haben damals angefangen, zusammen Musik zu machen, weil uns Dinge im Magen lagen“, sagt Chris Hell gegen Ende: „Uns hat geholfen, uns in unserem zwei mal zwei Meter Bunker gegenseitig anzuschreien. Dass wir das jetzt in diesem riesigen Raum tun dürfen, ist surreal und ein Privileg. Danke dafür!“
Wie sich Hell und Frings dann beim Freiheit-des-Ausdrucks-Song „Couleur“ nochmal auf den Podesten gegenüberstehen – der eine versunken in sein zartes, jeden Krawall hinter sich lassendes Gitarrenintro, der andere die Hände hinter dem Rücken und das Haupt respektvoll geneigt –, flutet ein Gefühl den Raum: Manchmal gibt es doch nichts Wichtigeres als Musik.