Hagen/Siegen. Quiet Quitting: Nicht mehr arbeiten, als der Vertrag vorsieht. Die neue Arbeitsmoral der Millennials. Was junge Arbeitnehmer denken.

Rose Lenzen will nicht die Fehler der Eltern- und Großeltern-Generation wiederholen. Für die 26-Jährige aus Hagen gehört Arbeit nicht zum Lebensmittelpunkt – und sie will sich auf lange Sicht in ihrem Job auch nicht verausgaben. „Ich arbeite gern und leiste etwas als Restaurantleiterin und Eventmanagerin“, sagt sie, aber Überstunden, mehr als das, was im Arbeitsvertrag stehe, das würde ihre

Rose Lenzen aus Hagen hat Verständnis für die Anliegen der Quiet Quitter.
Rose Lenzen aus Hagen hat Verständnis für die Anliegen der Quiet Quitter. © WP | Privat

Altersgruppe nicht mehr „so einfach hinnehmen“. „Ich finde es schade, dass die älteren Generationen am Ende des Tages nicht glücklich gelebt haben, dass sie nur die Arbeit hatten und abends müde ins Bett fielen. Die haben viele glückliche Momente verpasst.“

Die meisten ihrer Freunde wollten Grenzen setzen, strebten nach einer Vier-Tage-Woche mit festen Arbeitszeiten, fairer Entlohnung und suchten gezielt nach Arbeitgebern, die Verständnis dafür hätten, dass Arbeit allein nicht das Leben ist. „Darüber wird im Freundeskreis oft diskutiert.“

Rose Lenzen und ihre Freunde gehören somit zu den Quiet Quittern, zu der wachsenden Zahl von Arbeitnehmern, die sich einen Dienst nach Vorschrift wünschen und zum Teil auch umsetzen.

Stille Kündigung

Dr. Jürgen Weibler von der Fernuniversität Hagen setzt sich mit dem Phänomen Quiet Quitting auseinander.
Dr. Jürgen Weibler von der Fernuniversität Hagen setzt sich mit dem Phänomen Quiet Quitting auseinander. © Privat

Quite Quitting (stille Kündigung)? Als erster hat der Karriereberater Allison Peck aus den USA dieses Phänomen beschrieben. Es bedeutet, dass sich Menschen von der Idee und Vorstellung verabschieden, als Arbeitende über das Limit hinauszugehen, eben nur das im Job anzubieten, für das man bezahlt wird.

Bekannt wurde der Begriff Quiet Quitting durch den Auftritt eines jungen Mannes, der sich 2022 auf dem Video-Portal TikTok als Zaid Zeppelin präsentierte. Vier Millionen Mal wurde sein Video angeklickt. Er definiert das Phänomen so: „Du arbeitest nicht mehr als dein Vertrag vorsieht. Arbeit ist nicht dein Leben, dein Wert als Mensch definiert sich nicht über deine Produktivität.“

„Quiet Quitting ist nicht gleichzusetzen mit Emigration ins Innere in Form der ,inneren Kündigung’ oder der vor allem in den USA beobachteten ,Great Resignation’, die zu Kündigungswellen führte bzw. diese beschrieb“, berichtet Dr. Jürgen Weibler. „Die Quiet Quitter entscheiden sich vielmehr dafür, ihre Gesundheit, ihre Familien und ihr Wohlbefinden nicht zu opfern, um den Chef oder die Chefin glücklich zu machen“, sagt der Professor für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Personalführung und Organisation an der Fernuniversität in Hagen, der sich mit dem Phänomen auseinandersetzt und bereits Publikationen (siehe Infobox) zum Thema veröffentlicht hat.

Quiet Quitter würden ihren Job durchaus mögen. Sie seien nur nicht bereit für dauerhaftes zusätzliches Engagement, eher für Dienst nach Vorschrift. Das habe nichts mit Leistungszurückhaltung oder Sabotage zu tun, sondern mit dem begrenzten, dann durchaus intensiven Einsatz.

Stimmige Leidenschaft

Quiet Quitter seien schon an guter Performance interessiert, „aber sie wollen eben nicht permanent Höchstleistung erbringen“, sagt Weibler. Sie seien nicht mehr bereit, entgrenzt, d. h. vielfach selbstausbeutend zu arbeiten und wollten nicht mehr in die Fallen der Workaholics tappen.

Dahinter stünde auch die Erkenntnis, dass sie sich durch Mehrarbeit bei einem mittleren Basisgehalt sowieso nicht materielle, den Unterschied machende Lebensbedürfnisse erfüllen können, ganz nach dem Motto: „Ich verdiene gut, aber nicht so gut, dass ich mir das leisten könnte, was ich mir ggf. wünsche: Typisch hier der Eigenheimwunsch, das Haus in der Großstadt. Und Mehrarbeit ändert daran eben nichts.“

Das, was sie sich kaufen könnten, das könnten sie sich auch mit 80 Prozent ihrer Arbeit leisten. „Dienst nach Vorschrift? Das bezeichnet Quiet Quitting nicht ganz unpassend, weil man sich nach dem orientiert, was man im Arbeitsvertrag unterschrieben hat“, erklärt Weibler.

Quiet Quitter würden in der Regel ein durchschnittliches Maß an Arbeit abliefern. Dabei orientierten sie sich am Durchschnitt des im Unternehmen geleisteten ebenso, wie das von Kollegen oder im Freundeskreis als Durchschnitt akzeptierte Maß an Arbeit.

Das habe nichts mit Leidenschaftslosigkeit zu tun. Weibler bezeichnet es als „stimmige Leidenschaft“. Und der Professor hegt durchaus Sympathien für die Quiet Quitter: „Es ist ein selbstständiger, emanzipatorischer Akt, der Mündigkeit symbolisiert. Die Rückgewinnung des eigenen Selbst, das zu entscheiden, was einem wichtig ist, diese Entwicklung sollte uns alle nachdenklich machen.“

Jeder Arbeitgeber, sagt Weibler, sollte sich fragen, ob er sich noch leisten kann, die Wünsche der Quiet Quitter nach Balance zu ignorieren. Bei seinen Recherchen rund um das Thema kam Jürgen Weibler auch mit Handwerkern ins Gespräch. Ein Inhaber eines Elektronik-Ladens berichtete ihm, dass er keine jungen Bewerber mehr finde, die am Freitagnachmittag gerne arbeiten wollten bzw. Bereitschaftsdienst am Wochenende von vornherein ablehnten.

Vielmehr forderten die jungen Menschen offen im Bewerbungsgespräch mehr Freizeit für Partnerschaft, Freunde und Hobbys. Das der Job zudem attraktiv ist, sei gesetzt.

Die Frage der eigenen Möglichkeiten

„Von diesem Trend sind übrigens nicht nur Jüngere angesprochen. Es ist in der Breite der arbeitenden Gesellschaft zu finden“, erzählt Weibler. Immer weniger Arbeitnehmer und Angestellte würden sich ausschließlich oder dominant über ihre Arbeit definieren.

Allerdings bleibe es immer eine Frage der eigenen Möglichkeiten, ob zum Beispiel eine Vier-Tage-Woche vom Verdienst her passt. Weibler mutmaßt aufgrund von Studien, dass rund 50 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland so wie die Quiet Quitter denken.

Eine der Ursachen für das Quiet-Quitting-Phänomen ist laut Jürgen Weibler die seit Jahren anhaltende Diskussion über Achtsamkeit und Gesundheit. „Wer Körper und Geist fit halten möchte und zum Beispiel regelmäßig ins Fitnessstudio will, der kann nicht 10 bis 12 Stunden am Tag arbeiten. Das wird als paradox angesehen.“

Hinzu käme, dass die Arbeitsverdichtung in fast allen Branchen zugenommen habe. Jeder im digitalen Zeitalter gewonnene Freiraum sei wieder mit zusätzlicher Arbeit verdichtet worden, bei vielen sei eine mentale Grenze erreicht, immer neuen Anforderungen nachzukommen.

„Weiter, höher, schneller, dazu sind Quiet Quitter nicht mehr bereit.“ Sie sehen eine Begrenzung ihrer Arbeit als vernünftig an. Und das werde für die Arbeitgeber zunehmend zu einem Problem.

Die Brisanz des Phänomens

Laut Weibler wird Quiet Quitting von den Arbeitgebern sehr ernst genommen. „Es ist ein zunehmend diskutiertes Thema unter deutschen Führungskräften.“ Die Brisanz des Phänomens sei erkannt worden: „Es führt nun einmal zu einem anderen Verständnis von Arbeit.“

Dazu müsse man sich nur einmal die realen Folgen vor Augen führen: „Bisher haben überwiegend Frauen Teilzeitarbeit angestrebt, nun folgen die jungen Männer. Immer mehr streben eine Vier-Tage-Woche an. Natürlich im Ideal bei gleicher Bezahlung.“

Die Unternehmen müssten sich darauf einstellen, um Dienstleistungen weiter anbieten bzw. Produktion gewährleisten zu können. „Es braucht neue Ideen.“ Ansonsten hätten sie es schwer, Stellen zu besetzen. Das Standardargument ‚Anwesenheit ist Arbeit‘ gehöre der Vergangenheit an.

In vielen Unternehmen habe bereits ein Umdenken stattgefunden, eine große Sensibilität für wertschätzende Behandlung sei daraus in den letzten Jahren gewachsen. Klar definierte Arbeitszeiten, die eingehalten werden und klar genannte Aufgabengebiete, die Zeit für Familie und Freizeit lassen, könnten hochattraktiv für potenzielle neue Arbeitnehmer sein.

Vor allem neoliberales, rein wettbewerbs- wie ergebnisorientiertes Denken innerhalb von Unternehmen lassen den fundamentalen Wunsch von Arbeitnehmern, Kontrolle über das, was mit ihnen gemacht wird, zu besitzen, ansteigen. Viele fühlten sich darüber hinaus in einer die Zeitautonomie raubenden Beschleunigungsfalle, was das Risiko erhöhe, dass immer mehr Mitarbeiter still kündigen.

Allgemein müsste die Gesellschaft darüber nachdenken, ob Profitmaximierung auf Kosten der Gesundheit weiter so betrieben werden kann. Hinzu käme, dass kaum noch jemand daran glaubt, seine Rente wäre sicher. „Das Zukunftsversprechen wird nicht eingehalten, aber ohne Zukunftsaussichten sinkt die Bereitschaft, dieses Arbeitssystem weiter zu stützen.“

Große Sympathien?

Diejenigen, die mit den Quiet Quittern sympathisieren, so Weibler, sollten sich allerdings ehrlich fragen, ob sie bereit sind, Dritten zuzugestehen, ihre Arbeit ebenfalls zu entschleunigen, wenn sie dadurch selbst betroffen sind. „Vor allem Dienstleistern gegenüber, die mehr Zeit für ihren Service einfordern. Oder nimmt man beispielsweise die verspätete Genehmigung für ein Bauvorhaben hin?“ Und Weibler weiß, dass nicht jede Branche oder jedes Unternehmen es sich leisten kann, wenn Mitarbeiter sagen: „Das war es für mich heute.“

Alexander Wrobel, Geschäftsführer der Online-Marketingagentur Experience, begleitet Unternehmen auf ihrem Weg in die neue, digitalisierte Zeit.
Alexander Wrobel, Geschäftsführer der Online-Marketingagentur Experience, begleitet Unternehmen auf ihrem Weg in die neue, digitalisierte Zeit. © WP | Michael Kleinrensing

Für den Hagener Alexander Wrobel ist Quiet Quitting nur ein weiteres Modewort: „Jede Generation hat ihre eigenen Begriffe“, berichtet der 38 Jahre alte Geschäftsführer der Online-Marketingagentur Experience, die zahlreiche Unternehmen auf ihrem Weg in die neue, digitalisierte Zeit begleitet. „Ich gehöre der Generation Y an. Dass junge Arbeitnehmer nur das erfüllen wollen, was im Arbeitsvertrag steht, ist durchaus verständlich.“

Er nennt es Work-Life-Balance und das sei mehr als ein neumodischer Begriff, sondern eine Lebenseinstellung, die sich immer mehr verbreitet. Tatsächlich stehe das Gehalt für junge Menschen bei der Wahl des Arbeitsplatzes nicht mehr an erster Stelle.

Viele würde eher ein von der Firma unterstützter Kitaplatz locken als 200 Euro mehr im Monat. Wichtiger als der unterschriebene Arbeitsvertrag sei der psychologische Arbeitsvertrag, das, was mündlich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer besprochen wird. Darunter seien viele weiche Faktoren, die eine Rolle bei der Besetzung von Stellen spielen – vom Obstkorb, der für Mitarbeiter angeboten wird, bis hin zur Aida-Reise auf einem Kreuzfahrtschiff.

„Der Arbeitsmarkt hat sich um 180 Grad gedreht. Arbeitnehmer können sich heute die Stellen aussuchen“, berichtet Wrobel. Er kennt Arbeitgeber wie ein Ingenieurbüro, deren Personalchef auch lange Anfahrtswege zu den Bewerbern in Kauf nimmt. Schwer hätten es besonders konservative Unternehmen, bei denen oft noch ältere Chefs das Sagen haben. Dort habe noch kein Umdenken stattgefunden „Patriarchen“, so Wrobel, „die haben es heute schwer.“

In Zeiten des Fachkräftemangels könnte der Trend zum Quiet Quitting tatsächlich etwas in der Arbeitswelt verändern. Für Wrobel sei dabei ein fairer Umgang zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wichtig. „Es ist eben ein Geben und Nehmen, ein prinzipieller Dienst nach Vorschrift, der geht in keiner Branche gut aus.“

Wirtschaftssystem infrage gestellt?

Für Jürgen Weibler werden durch die Quiet Quitter, denkt man es zu Ende, die Grundfeste unseres auf Wachstum kapriziertes Wirtschaftssystems infrage gestellt und Anregungen für Alternativen eingefordert.

Rose Lenzen will der ganzen akademischen Diskussion rund um Quiet Quitting nicht folgen. Sie wisse nur eines: „Bei meiner Generation steht die körperliche und physische Gesundheit viel stärker im Fokus. Das heißt nicht, dass wir nichts leisten, im Gegenteil, aber sich für den Job aufreiben, das wird nicht mehr so hingenommen.“

„Wir sind, was wir arbeiten“ – von diesem Glaubenssatz würden sich die Quiet Quitter verabschieden. „Grenzen setzen“, laute die Arbeits-Formel. Rose Lenzen arbeitet seit neun Jahren in der Gastronomie. Arbeit, sagt die gebürtige Freiburgerin, sei nur ein Teil unseres Lebens und nicht das Leben selbst.

Der Wunsch nach der Vier-Tage-Woche

Quiet Quitting, verrät Rose Lenzen, sei ihr kein Begriff gewesen. „Grenzen beim Job zu setzen, kann man nennen, wie man will, Fakt ist: Die Bereitschaft, die Arbeit in den Mittelpunkt des Lebens zu stellen, ist mit unserer Generation vorbei.“

Rund um die Uhr arbeiten, das würde ihre Generation nicht mehr machen. Ihr Wunsch: jedes zweite Wochenende frei, keine Nachtarbeit, eine Arbeitszeit von 7 bis 15:30 Uhr, eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich. „Zurzeit wird viel darüber geredet, wie die Attraktivität von Jobs gesteigert werden kann, aber es tut sich zu wenig.“ Rose Lenzen hofft, dass der „Hype um Quiet Quitting“ dazu führen wird, dass sich Arbeitsplätze zum Besseren wandeln.