Essen. Am Wochenende stehen in ganz NRW 145 Bauprojekte zur Besichtigung offen. Viele sind keine Neubauten, sondern Umbauten und Sanierungen: Nachhaltig.

Wie baut man eigentlich nachhaltig? Dazu gehört jedenfalls viel mehr als die gerade so hitzig diskutierte Wärmepumpe und die dicke Dämmung. „Noch 50 Jahre nach der Errichtung eines Hauses beträgt der Anteil des Baus an seinem CO2-Abdruck 60 Prozent, die Betriebsenergie dagegen nur 40 Prozent“, sagt Markus Lehrmann, Geschäftsführer der Architektenkammer NRW in Düsseldorf. Und: „Jeder Stein, der verbaut wird, ist ein Ressourcenverbrauch von Allgemeingut“. Deshalb kann es auch sinnvoll sein, zugunsten von wiederverwendetem Material eine etwas schlechtere Dämmung in Kauf zu nehmen.

Wie wäre es also mit einem Waldkindergarten, der nur über eine einzige Steckdose verfügt und dessen sanitäre Anlagen im wesentlichen aus einem Kompost-WC bestehen? Oder einem Kreis-Archiv, dessen Elemente für den Fall der Fälle komplett ausein­andergenommen und woanders wieder neu verbaut werden können?

Von Aachen bis Paderborn, von Weeze bis Iserlohn

Angucken lassen sich diese und viele andere Facetten des nachhaltigen Bauens am Wochenende beim „Tag der Architektur“ in NRW. Samstag und am Sonntag sind 145 herausragende Bauobjekte von Aachen bis Paderborn, von Weeze bis Iserlohn zur Besichtigung geöffnet – wegen der frühen Schulferien in NRW schon jetzt, im Rest der Republik folgt der „Tag der Architektur“ erst am nächsten Wochenende.

Es geht um Gebäude, die in den vergangenen fünf Jahren fertiggestellt wurden, und nicht wenige davon sind Umbauten: die „graue Energie“, die in Form von aufwendig (also mit viel CO2-Emissionen) hergestellten Baustoffen wie Beton oder Ziegelsteinen bereits im Bestandsgebäude steckt, kann so weiter genutzt werden. Umbau vor Abriss und Neubau – das sind echte Herausforderungen für Architekturbüros.

Essen, Duisburg, Bochum, Emmerich und Werne

So haben sie im Essener Stadtteil Kettwig einen ungenutzten Gewerbebau von 1968 in sieben schicke Wohnungen mit „ressourcenschonender Ausstattung“ umgestaltet (Steinweg 10, Kirchner Architekten).

Am Rand der Duisburger City zum Stadtteil Hochfeld wurde 1972 eine Art Trabantensiedlung hochgezogen, als Reaktion auf die damalige Wohnungsnot und in der radikal reduzierten Rechteck-Architektur der Zeit. Die 425 Wohnungen mit 30.000 Quadratmetern Wohnfläche waren in die Jahre gekommen, sogar ein Abriss wurde erwogen. Jetzt wird das Quartier energetisch saniert (neue Fenster, neue Dämmung). Die zur Monotonie neigenden Fassaden bekommen einen Material- und Farbmix, der für Rhythmus und Abwechslung sorgt (Musfeldstr. 68, Druschke und Grosser Architektur). Vom selben Büro betreut, ähnlich gelagert, nur kleiner: Das fünfgeschossige Atrium-Hochhaus in Duisburg-Hamborn, dessen Fassaden farbiger und viel freundlicher wurden (Nelkenhof 14).

Einen spektakulären Farbverlauf hat auch die private „Web-Individualschule“ in Bochum nahe der Jahrhunderthalle zu bieten – sie wurde beispielhaft um eine Etage aufgestockt, mit Sonnenterrasse und schönem Blick über die Stadt (Gerard-Mortier-Platz 4, Kemper-Steiner und Partner).

Im niederrheinischen Emmerich wiederum wurden auf dem Gelände einer alten Taufabrik eine Klimaschutzsiedlung mit 13 Reihenhäusern begonnen, die eine gemeinsame Nahwärmezentrale für Warmwasserhaben und mit einem biogas-betriebenen Blockheizkraftwerk geheizt werden, Photovoltaik und insektenfreundliche Pflanzen bis zum Dach (Mühlenweg 46-50 c, Reppco Architekten).

Düsseldorf, Arnsberg, Bielefeld, Köln und Viersen

In Werne im östlichen Ruhrgebiet hat eine große Gruppe aus Bauwilligen („Gemeinsam Wohnen an den Linden“) vier Gebäude mit 32 Wohnungen komplett in Holzbauweise als Klimaschutzsiedlung errichtet: dreigeschossige Bauten, die durch Laubengänge miteinander verbunden sind. Damit deren Holz sichtbar bleiben konnte, ließ sich das Bauamt sogar zu einer Ausnahmegenehmigung hinreißen (Beck­lohof 1-7, (Architekturbüro Thiel).

In Düsseldorf haben sie mit viel Phantasie den über 70 Jahre alten Bilker Bunker in eine Galerie, den Musikklub „Schleuse Zwei“ verwandelt, man kann hier auch Räume für Proben und Kulturarbeit anmieten (Aachener Str. 39, Büro Anderswohneninderstadt).

Und im sauerländischen Arnsberg-Neheim wurde ein Siedlungshaus von 1956 von 100 Quadratmetern Wohnfläche auf 135 ausgebaut – mit schadstoffarmen Baustoffen, besserer Dämmung und einer Erd-Wärmepumpe (St. Hedwigsring 10, Peter Gerbracht). Erdwärme heizt nun auch einen alten Kotten am Stadtrand von Bielefeld – über den entkernten Altbau aus Ziegeln, die über weite Strecken noch sichtbar sind, stülpt sich eine energieeffiziente Holzhülle, und die beiden entstandenen Wohnungen haben viel Tageslicht (Hambrinker Heide 41, Spooren Architekten).

Kreisarchiv in Viersen: einer der ersten Bauten der Republik, die komplett rückbaubar sind

Die ehemalige evangelische Dreifaltigkeitskirche in Köln-Ossendorf hat Paul Böhm jr. in ein Dojo für asiatische Kampfkunst und Meditation umgebaut, der spirituelle Charakter blieb erhalten (Rochusstraße 217). In Bielefeld entstand eine Musik- und Kunstschule, die ihre gesamte Energie selbst erzeugt – und ein Schwingboden mit elektrischen Schallkopplern lässt auch Hörgeschädigte Musik spüren (Mülheimer Str. 18 a, Sieker Architekten).

Der anfangs genannte Waldkindergarten befindet sich übrigens im münsterländischen Ennigerloh-Westkirchen; und das fabulöse Archiv, bei dem 60.000 alte Ziegelsteine verbaut wurden, steht im linksrheinischen Viersen, und ein Eisspeicher in der Erde sorgt für seine Kühlung.

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INFO: 145 neue Häuser, Parks und Projekte sind beim „Tag der Architektur“ zu besichtigen, bei freiem Eintritt; in Köln, Düsseldorf, Dortmund und Bielefeld ballen sich die meisten der Gebäude (je mehr als sechs). Einen Überblick gibt es auf der Internet-Seite der Architektenkammer NRW: www.aknw.de. Dort sind auch genaue Besichtigungszeiten verzeichnet.