Essen. Das Essener Museum Folkwang lässt seine 100-jährige Geschichte anhand von Ausstellungen Revue passieren: Der große Band „100 Jahre Gegenwart“.

Die (Wieder-)Vereinigung der verschiedenen Kunst-Sparten, das Ineinander von Kunst und kultureller Bildung, Kunst als Lebensmittel im Alltag – nur wenige Ideen, die mehr als ein Jahrhundert auf dem Buckel haben, konnten sich so frisch erhalten wie die Folkwang-Idee. Und selten ist das so deutlich geworden wie in diesem Jahr, da das Folkwang Museum sein 100-jähriges Bestehen in Essen feiert.

Man könnte die Geschichte des Museums als eine Porträt-Galerie seiner bislang neun Direktoren präsentieren (der aktuelle – Peter Gorschlüter – ist sich ziemlich sicher, dass seine Nachfolge weiblich sein wird). Man könnte aber auch die diversen An-, Um- und Neubauten des Museums als roten Faden nehmen. Noch ertragreicher freilich ist es, die Entwicklung, Vielfalt und jeweilige Aktualität des Museums anhand seiner Ausstellungen Revue passieren zu lassen, wie das nun der Band „Hundert Jahre Gegenwart“ tut, den der Folkwang-Museumsverein herausgegeben hat.

Schon 1929 gab es „Fotografie der Gegenwart“ – und bald auch das Bauhaus in Essen

Als am 29. Oktober 1922 erstmals das Museum Folkwang seine Pforten in Essen eröffnet, beginnt zwar ein entscheidend neues Kapitel. Die Vorgeschichte des Hauses besteht dabei aus der Sammeltätigkeit des Millionenerbes Karl Ernst Osthaus, der 1902 in seiner Heimatstadt Hagen das Museum Folkwang als Keimzelle einer kulturellen Erneuerung gründet; zur Vorgeschichte gehört aber auch das Kunstmuseum der Stadt Essen, das 1910 mit einer Emil-Nolde-Ausstellung „gänzlich unerhörte Wege“ geht, wie sein Direktor Ernst Gosebruch (der auch erster Folkwang-Chef werden sollte) an Gustav Krupp von Bohlen und Halbach schreibt.

Der Begriff ließe sich allerdings zugleich auf den Ankauf des Osthaus-Erbes durch einen Zusammenschluss von Industrie- und anderen Sponsoren im Folkwang-Museumsverein anwenden, der sich bis heute mit der Stadt den Besitz der Sammlung teilt. Nachkriegszeit und Ruhr-Besetzung sorgen dafür, dass erst 1926 mit „Malerei nach dem Kriege“ die erste große Sonderausstellung eröffnet wird, auch sie wiederum unmittelbar am Puls der Zeit. Drei Jahre später gibt es mit „Fotografie der Gegenwart“ die erste Ausstellung des noch jungen Mediums im Folkwang, zeitgleich mit der epochemachenden Werkbund-Ausstellung „Film und Foto“ in Stuttgart; die Fotografie wird sollte dann ab den frühen 80er-Jahren zu einem Kerngebiet des Folkwang-Programms werden. 1930 gastiert eine Wanderausstellung des geistig verwandten Bauhauses so erfolgreich in Essen, dass sie verlängert werden muss. 1958 richtet das Folkwang die erste „Brücke“-Ausstellung seit dem Ende der Künstlergruppe aus und setzt nach der Documenta die Rehabilitierung des verfemten Expressionismus fort.

Besucherscharen von Munch bis Turner – und eine Peinlichkeit mit Jawlensky

Der Rückblick auf die Folkwang-Ausstellungen erinnert aber auch an die „Einraum“-Ausstellungen der frühen 70er-Jahre, mit denen die Museumsbesucher aktiviert werden sollten, an Uecker-Performances und Beuys-Vorträge und daran, dass das Folkwang 20 Jahre lang ein eigenes Videostudio hatte, dass es mit einem Festival Impulse für Skulpturen im öffentlichen Raum setzte.

Aber selbstverständlich machen auch die großen Publikumsausstellungen ab Ende der 80er-Jahre, die mit Hilfe von Ruhrgas (später Eon) vorfinanziert wurden und die Menschen zu Hunderttausenden nach Essen lockten, von Munch und van Gogh bis Turner, mit der auch kunstgeschichtlich fundierten Großtat über die bis dato nur unter Experten bekannten russischen Moderne-Sammler Morosow und Schtschukin an der Spitze. Und souverän, wie ein Dickschiff wie Folkwang sein kann, gibt es sogar ein Kapitel über die einzige größere Blamage des Hauses, als man sich Ende der 90er-Jahre Jawlensky-Aquarelle ins Haus holte, die sich noch kurz vor Eröffnung der Ausstellung als Fälschungen erwiesen. Eine Schrecksekunde in „hundert Jahren Gegenwart“.