Essen. Die Band Alphaville hat ihre Hits in die symphonische Welt exportiert: Die „40th Anniversary - The Symphonic Tour“ machte nun Station in Essen.
Anfang 1984 wurde eine völlig unbekannte Münsteraner Synth-Pop-Band über Nacht zum Weltstar. Mit „Big in Japan“, im Schlafzimmer des Keyboarders Bernhard Lloyd hingefrickelt auf einer Handvoll analoger Musikspielzeuge, schoss Alphaville gleich auf Platz 1 der US-Charts und machte den androgynen Frontmann Marian Gold, der dem Vorbild David Bowie mächtig nacheiferte, flott zum umjubelten Mädchenschwarm. Lang ist’s her, doch gefeiert wird der heute 68-jährige Sänger, der mittlerweile ein ziemliches Feinkostgewölbe vor sich herträgt, von einem mit ihm gealterten Publikum immer noch stürmisch. Wie jetzt in der Essener Philharmonie zu erleben war, wo Alphaville einen orchestralen Rückblick auf 40 Jahre Bandgeschichte bot.
„Alle Bands, die mit Synthesizern arbeiten, haben eine Tendenz zu klassischer Musik“, sagte Marian Gold letztes Jahr, als er das gemeinsame Projekt mit dem Deutschen Filmorchester Babelsberg vorstellte. Sein Traum sei schon immer gewesen, mal was mit Streichern zu machen und nun – zum 40. Jubiläum – habe man sich das Großformat auch leisten können. Dass in Essen nur ein abgespecktes Kammerensemble, genauer: ein kompletter Bläsersatz plus Perkussion, garniert mit gerade mal einer Handvoll Streicher, bei denen Strom für Volumen sorgte, auf der Bühne stand, schmälerte nicht das opulente Klanggeschehen, das den Sound der Achtziger erstaunlich behutsam in die Jetztzeit transformierte.
Stürmischer Willkommensapplaus für Alphaville in Essen
Insofern war der stürmische Willkommensapplaus schon berechtigt, mit dem die „Dream Machine“ mit zarten Keyboard-Geplinker loslegte. Was folgte, waren wundersame Anverwandlungen alter Songs wie „Summer in Berlin“ – geschmackssicher cinemascopisch arrangiert von Max Knoth und Christian Lohr, die freilich wie auch die Alphaville-Musiker an diesem Abend ungenannt blieben. Dass sich dadurch der Charakter vieler Stücke stark verändert hat, registrierten die alten Fans nicht nur bei „Big in Japan“, wo der Mitklatschversuch bald abebbte. Aber wie hatte Marian Gold schon im Vorfeld befunden: „In diesen symphonischen Fassungen kommt noch mal eine völlig neue Qualität dazu, die aber schon immer in unserer Musik angelegt war.“
So verwandelten die mit der Coolness von Hollywood-Profis spielenden Babelsberger etwa das banale „Dance With Me“ in eine ergreifende Ballade und dekorierten die dezent an alte Progressive-Rock-Seligkeiten erinnernden Songs immer wieder mit feinem Gebläse. Darüber legte der zwischendurch sympathisch plaudernde Sänger eine immer noch eindrucksvolle Stimme, die schön zwischen elegischer Zartheit und mitreißender Rockfülle changierte. Dass man dennoch den Eindruck nicht loswurde, der Funke springe so recht nicht über zwischen ihm und seinem Publikum, lag wohl daran, dass man mit den neuen Arrangements erst einmal warm werden musste. Kein ekstatisches Disco-Feeling der Jugendzeit, stattdessen gereifte Gefühligkeiten zum Träumen und Kuscheln.
Alphaville in Essen: Abend vor großer Kulisse
So schwebte man durch einen Abend, der vor großer Kulisse manche textliche Plattitüden („Welcome To The Sun“), aber auch Nachdenkliches bot, überraschend mit Shirley Basseys „Diamonds Are Forever“ auch die androgyne Historie aufblitzen ließ und in der einzigen Neukomposition „Eternally Yours“ gar Shakespeare-Sonette servierte. Die Zuhörer staunten und fragten sich wohl mehr als einmal, was dies wohl mit dem Alphaville ihrer Erinnerungen zu tun habe.
Nun, den Betatest zum Start ihrer fast überall ausverkauften „40th Anniversary Symphonic Tour“ – Tickets in der Nähe gibt es erst wieder für die Shows am 6. November in Düsseldorf und am 4. Dezember erneut in Essen – krönten die ehemaligen Disco-Könige schließlich mit ihrem vielfach, unter anderem von Beyoncé und Jay-Z gecoverten Superhit „Forever Young“. Überglänzt von rasant schneller Barock-Trompete, wurde der mit stehenden Ovationen unter Schwenken leuchtender Handys (Feuerzeuge sind ja so gestrig!) lautstark abgefeiert und versöhnte selbst Skeptiker mit Alphaville, die sich grandios neu erfunden haben.