Die Bewohner der Lindenstraße leben bodenständig. Mutter Beimer brät sich mit Spiegeleiern in die Herzen der Nation. Gewohnt wird in Gelsenkirchener Barock. Die schnörkellose Schlichtheit garantiert den Erfolg der Serie. Seit 25 Jahren.
Der rote Teppich, wie sonst bei Jubiläen gerne getreten, wird nicht ausgerollt. Der Bodenbelag ist blau. Schlicht. Ähnlich unprätentiös wie das Outfit von Schauspielern, Gästen, Freunden und Fans. Etwas aufgebrezelt haben sie sich schon für diese „Kultnacht“, ARD, Samstag, 23.15 Uhr, aber nicht extravagant. Sie feiern wie sie spielen: bodenständig, wie der Nachbarschaftsverein in Gelsenkirchen-Schalke, wie die Mitglieder des Kleingartenvereins „Zum tollen Bombeck“, wie Nichten und Großtanten beim Familientreffen in Essen-Borbeck: Willkommen in der „Lindenstraße“.
25 Jahre suchen sie uns nun schon heim, an 1306 Sonntagabenden haben sie aus dieser eng anmutenden Kulisse in Köln-Bocklemünd und in München angesiedelten Soap Deutschland erklärt: immer ein wenig grün angehaucht, immer korrekt aus der Sicht des kleinen Mannes, oft mit aktuellen politischen Themen angereichert, nie stylisch hip. Nach mehr als zwei dutzend Hochzeiten und über 40 Todesfällen, nach einem Themenspektrum, das von Aids bis Zsaziki reicht, erkennen wir bei diesem Jubiläumsaufmarsch ein wenig erleichtert: Das Team der „Lindenstraße“ ist mit der Nation gealtert.
Ohne übermäßigen Gebrauch von Anti-Aging-Cremes (Luger), ohne dem Schlankheitswahn der Supermodel-Konkurrenz nachzueifern (Iffi Zenker und Klaus Beimer), ohne dem Dogma „schöner Wohnen“ in hypermodern und unerschwinglich teuer eingerichteten Lofts zu erliegen. In der „Lindenstraße“ wohnt man bodenständig, drei Zimmer, Küche, Diele, Bad. Das Haus Nummer hat eher den Charme der schmucklosen Vorstadtsiedlung, die Einrichtung erinnert an Gelsenkirchener Barock.
25 Jahre Lindenstraße
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Diese schnörkellose Schlichtheit garantiert den Erfolg. Während in den Daily Soaps meist gut verdienende junge Menschen ihrem oberflächlichen Lebensstil huldigen, der größtenteils auf Äußerlichkeiten und nicht selten nur auf Intrigen einer für den Normalo Hans und Helga unerreichbaren Welt fokussiert ist, spiegeln die Protagonisten der Lindenstraße das normale Leben wider. In der Lindenstraße sind keine glamourösen Berufe zuhause, hier leben Arzthelferinnen, Kellner, Handwerker, natürlich auch Akademiker – ein nachvollziehbarer Querschnitt der Bevölkerung. In allen Altergruppen. Sympathisches Familienprogramm halt.
Das schafft Identifikationsmöglichkeiten. Mutter Beimer hat sich in den 25 Jahren nicht nur mit ihren Spiegeleiern in die Herzen der Gourmet-Fans gekocht, sie hat sich den Titel der „Mutter der Nation“ erarbeitet. Helga Beimer, nicht Marie Luise Marjan, ist sicher mindestens genauso bekannt wie die Bundeskanzlerin. Spiel und Realität verschwimmen zuweilen in der Wahrnehmung. So wird der berechnende Herzensbrecher und Drogendealer Robert Engel (Martin Armknecht) wegen seines fiesen Charakters in der Lindenstraße auch im wahren Leben immer wieder angegriffen. Auch Anna Ziegler (Irene Fischer) wird eine Zeitlang von den Zuschauern angegriffen, weil sie Helga ihren Hansi ausgespannt hat.
Umgekehrt funktioniert die Wahrnehmung ähnlich. Als im Februar in der Seifenoper verkündet wurde: „Die Politik hilft uns auch nicht. Unsere Super-FDP: Die steckt’s den Hoteliers und den Ärzten hinten und vorne rein. Aber wir vom Handwerk, wir sind die Dummen. Wahrscheinlich weil wir nicht gespendet haben“, entfachten die Liberalen einen Proteststurm. Der medienpolitische Sprecher der Partei, Burkhardt Müller-Sönksen appellierte an die überparteiliche Aufgabe der Öffentlich-Rechtlichen.
Atomkraft bis Zivildienst, die Lindenstraße hat sich in den letzten 25 Jahren immer wieder in politische Diskussionen eingeschaltet. „Realistisch, problemorientiert und aktualitätsbezogen“ nennen das die Redakteurinnen Nina Klamroth und Hilde Müller. Und Politik hat erkannt, dass auch eine Seifenoper ein Forum sein kann. Daher statten Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), Lale Akgün und Familienministerin Kristina Schröder (CDU) der Jubiläumsshow einen Besuch ab. Schröder übrigens in Jeans, mittelschick, passend zum blauen Teppich, bodenständig.
60 Jahre ARD mit Schimanski, Jim Knopf und der Lindenstraße
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