Wir stellen fünf starke Neuerscheinungen der Klassik vor: Felix Klieser, Ludovic Tézier, Artemandoline, Nikola Djoric und Valer Sabadus.

Klieser erhebt die Stimme

Luft holen für Neues: Felix Klieser, der die Klassik-Welt Staunen machte, weil der armlose Musiker das Konzerthorn allein mit den Füßen spielt, verlässt in seinem neuen Album die Literatur, in der sein Instrument zu Hause ist. Das „Hallelujah“ aus dem „Messias“, das „Gloria“ von Vivaldi, Bach-Kantaten und das herzergreifende „Ombra mai fù“ von Händel: lauter Kompositionen für menschliche Stimmen – gerade das hat den eben 30-Jährigen gereizt. Doch Kliesers weicher, famos beweglicher Klang lässt weder Text noch Gesang vermissen. Ihm glückt in Wolfgang Renz‘ Arrangements jene Unabhängigkeit, die für das Album „Beyond Words“ („Jenseits der Worte“, Berlin Classics) programmatisch ist: Was erzählt die Musik – und nur sie? Ein starkes Album, auch durch das Orchester „Chaarts Chamber Artists“. Barrierefrei lädt es jene ein, denen der Kosmos Barockmusik (noch) unvertraut ist.

Oper in schönster Bronze

Der Franzose Ludovic Tézier besitzt eine der großen Bariton-Stimmen unserer Zeit. Dazu diese Bandbreite: Tannhäusers Wolfram singt er nicht weniger betörend als er bei Donizetti (Malatesta) den Witz des Belcanto kitzelt. Sein Verdi-Album (Sony) ist gerade erschienen. Und man muss viel mitbringen, um sich der diskographischen Konkurrenz zu stellen – denken wir nur an die raubtierhafte Virilität Ettore Bastianinis, an den anrührenden Schmerzensmann Leonard Warren, an die kultivierte Eleganz des (fast vergessenen) Schweden Ingvar Wixell. Und doch: Diese Stimme steht für sich. Mitte 50 immer noch extrem flexibel (die diskreten Triller des Marquis Posa meistert Tézier vorbildlich) und stets von einer satten, edel schimmernden Bronze grundiert, die einen schlicht glücklich lauschen lässt. Ob „Forza“, „Rigoletto“, „Traviata“ oder (besonders nobel) „Nabucco“: ein Album für Stimmliebhaber.

Wunder aus der Schatztruhe

24 Stücke, davon 20 das allererste Mal eingespielt. Die Leidenschaft des herausragenden Ensembles „Ar­te­mandoline“ für ihr Instrument hat sie tief in die Schatzkammern weltweiter Musikarchive geführt. Von Münsters Diözesanbibliothek bis zur Library of Congress in Washington ging die Schatzsuche. Das Ergebnis: Lauter wundervolle Mandolin-Sonaten, die nun der Vergessenheit entrissen sind. Einst, nicht zuletzt am Hof der Medici, stand das Saiteninstrument ganz oben in der Hörergunst. Diese zarten Miniaturen von Schöpfern wie Capponi, Romaldi und Piccone verbinden auf warmherzigste Weise Virtuosität mit beseeltem Ausdruck. „Italian Baroque Mandolin Sonatas“ (dhm) bringen einem schon jetzt den Frühling ins Haus. Wundervoll!

Vom Barock ins Gebirge

Wie der Wahl-Wiener Nikola Djoric aus dem Balg des Akkordeons einen fast menschlichen Ton singen lässt, begeistert uns nicht zum ersten Mal. Mit der jetzt erscheinenden CD „Bach & Piazzolla“ (Berlin Classics) reizt Djoric nicht nur diese Gabe aus. Bachs Cembalo-Konzerte 1052 und 1058 nimmt er mitreißend (und extrem notentreu) unter die Fittiche des Knopfakkordeons. So eigenständig erblühen hier Bachs Elan und Einkehr, da fragt man gar nicht „Darf man das?“ Lieber folgt man dem Musiker, der sagt, „Bachs singende Gebete“ seien wie für sein Instrument geschrieben. Die heißere Temperatur wartet in Astor Piazzollas „Aconcagua“. Es ist der höchste Berg der Heimat des argentinischen Komponisten – klar, dass es aufgepeitscht schweißtreibende Herzschlagmusik ist. Am berührendsten aber ist der zweite Satz: eine fast windstille Meditation auf dem Hochplateau schillernd-guter Musik.

Barock-Arien mit viel Gefühl

Neben dem französischen Superstar der Countertenöre Philippe Jaroussky hat sich der sieben Jahre jüngere Valer Sabadus (35) mit einiger Ausdauer behaupten können. Die Festspiele und Bühnen der Welt feiern den besonderen Ton des rumänisch-deutschen Sängers: Wie ihm selbst höchste Regionen nie in kalter Präzision gefrieren, bleibt ein Ereignis. Barock-Arien von Bach und Telemann gilt sein jüngster CD-Wurf („Arias“, Sony). Mit dem Kammerorchester Basel hat er einen grandiosen Partner: Die Alte-Musik-Spezialisten rollen einen feinstgewobenen Klangteppich aus – und auf dem schwebt Sabadus, ob er in Innigkeit Bachs „Ich habe genug“ und „Schlafe mein Liebster“ deutet oder Raritäten des (heute) unterschätzten Telemann präsentiert. Nicht durchweg regiert extreme Textverständlichkeit, aber die Aura dieser Stimme verweist solchen Einwand auf die hinteren Ränge.