Bayreuth. Katharina Wagner hat es selbst ins Spiel gebracht, das böse P-Wort, als sie die schlechte Verkehrsanbindung beklagte. P wie Provinz. Das ist Bayreuth im Guten wie im Schlechten. Einmal im Jahr allerdings reist, ja pilgert die weite Welt in die beschauliche oberfränkische Regierungshauptstadt. Das kann nicht ohne Folgen bleiben. Eine Spurensuche.

Im Prinzip geht Bayreuth ausgesprochen unaufgeregt mit der Tatsache um, dass es Spielort des einzigen deutschen Musikereignisses von internationalem Rang ist.  Der Blumenhändler und der Apotheker haben Richard Wagner zu Ehren Partituren in den Schaufenstern aufgeblättert, in einem Cafe gibt es das Frühstück „Siegfried“, aber von einem blühenden Devotionalien- und Schickeria-Bedarfshandel wie in anderen Wallfahrtsorten oder Kulturhotspots  kann keine Rede sein.

„Angenehm ist, dass man zur Festspielzeit nach 23 Uhr noch etwas zu essen bekommt in der Gastronomie, das ist sonst nicht so“, schildert Florian Zinnecker die Vorteile der magischen sechs  Wochen zwischen dem Beginn der Proben Ende Juni  und der letzten Vorstellung  Ende August.

„Diese Nähe zu den Festspielen, die es sonst woanders nicht gibt“

Zinnecker ist 27 Jahre alt, hat in Lüneburg angewandte  Kulturwissenschaften studiert, dann die Hamburger Journalistenschule absolviert. Mit diesem Hintergrund geht man in der Regel zur „Zeit“ oder zum „Spiegel“. Zinnecker hingegen  arbeitet als Kulturredakteur beim Nordbayerischen Kurier -  in seiner Heimatstadt Bayreuth. Ein Traumjob.  „Diese Nähe zu den Festspielen, die es sonst woanders nicht gibt“, das ist der große Reiz. 

Immerhin muss oder besser darf der Redakteur ab Ende  Juni, wenn die Proben beginnen,  die Prominenz  der Musikwelt interviewen. „Die Festspielzeit ist für uns ein großer Aufmerksamkeitsfaktor“, erläutert Zinnecker die Bedeutung für die meistgelesene Lokalzeitung vor Ort.  „Die Festspiele halten sich nicht an die Ressortgrenzen.“

Vom 3. Juli bis zum August bietet der Kurier sogar ein gesondertes Festspielabo für treue ortsfremde Wagnerianer an. Trotz aller Nähe versteht man sich nicht als Sprachrohr des Grünen Hügels. „Wir machen weder Hofberichterstattung noch gehen wir in die permanente Opposition.“

Gäste sind süchtig nach jedem Informations-Schnipsel

Ohne zahlreiche Ausgaben des Kuriers kommt in der Wagner-Saison kein Hotelfrühstücksraum aus. Morgens um Acht existiert in Bayreuth das Wort Zeitungskrise nicht.  Die Gäste sind süchtig nach jedem  Informations-Schnipsel  über den Grünen Hügel und das Drumherum.  Die Hoteliers profitieren mehrfach von dem internationalen Publikum. Die Zimmerpreise schnellen in die Höhe, in der Regel auf das Doppelte, mitunter sogar darüber hinaus.

„Die Festspiele haben erheblichen wirtschaftlichen Einfluss für Hotels, Gastronomie und Einzelhandel “, so Dr. Manuel Becher, der Bayreuther Tourismuschef. „In den sechs Wochen wird ein großer Teil des Jahresumsatzes gemacht.“ Die Stadt putzt sich heraus für die Gäste, pflanzt notfalls verregneten oder vertrockneten Blumenschmuck kurzfristig neu, hisst die Fahnen und schüttet Straßenbaustellen zu.

Für Richard Wagner war die Provinz Programm

Mit der Markgräfin Wilhelmine hat die Geschichte Bayreuths als Kulturstadt begonnen, sie errichtete das barocke Opernhaus, das seit wenigen Wochen Weltkulturerbe ist. Neben Richard Wagner zog es dessen Schwiegervater Franz Liszt und den Dichter Jean Paul ins  Oberfränkische. Richard Wagner hat Bayreuth selbst  zum  Ort seines Festspielhauses erwählt – er war der erste Komponist, der überhaupt Festspiele ins Leben rief.

Für Wagner war Provinz Programm. Ohne Ablenkung durch metropolitane Reize sollte das Publikum sich ganz  seinem Werk hingeben. Der Vergleich mit dem Pilgern ist nicht willkürlich gewählt. Kunst diente dem Bürgertum des ausgehenden 19. Jahrhunderts als Ersatzreligion für die zunehmend als antwortunfähig   empfundenen christlichen Konfessionen.

Und es funktioniert heute noch. Wagner-Opern sind die großen Entschleuniger. Sie am Originalschauplatz zu erleben, fernab von lärmender Kulturkonkurrenz,   sich einige Tage ganz dem Alltag  zu entziehen, sich dem ausschließlichen Rhythmus des Grünen Hügels anzupassen, das  ist atmosphärisch nicht zu vergleichen mit punktuellen Wagner-Aufführungen in anderen Opernhäusern. 

Nirgends auf der Welt gibt es eine größere Dichte an Brauereien

Heute ist Bayreuth nicht nur Verwaltungsstadt, sondern auch Sitz einer Universität, die Vergangenheit als Residenz und Garnisonsstandort  im Grenzgebiet  hat unübersehbare architektonische Spuren hinterlassen. Rund 72 000 Einwohner hat die Stadt, davon sind 12 000 Studenten.  Provinz, das heißt: Die Verkehrsanbindung ist schlecht, die Gangart gemächlich,  die Lebensqualität hoch. Nirgends auf der Welt gibt es eine größere Dichte an Brauereien.

„Die Festspiele sind ein Selbstläufer.“ Deshalb hat Manuel  Becher  explizit  den Auftrag, den Tourismus in der festspielfreien Zeit anzukurbeln. Noch mehr Gäste zur Wagner-Saison könnte Bayreuth nicht verkraften.  „Pro Tag haben wir 2000 Plätze im Festspielhaus bei insgesamt 2000 Betten, da geht nichts mehr.“