Essen. Gekonnt komponiert, aber angreifbar: Erneut baut Florian Illies aus Mosaiksteinen des Klatsches eine Epoche: „Liebe in Zeiten des Hasses“
Heute hätten sie alle eine Anzeige an der Backe. Brecht, der gleich nach seiner Hochzeit mit Helene Weigel zum Bahnhof fährt, um seine Geliebte Carola Neher abzuholen. Den Brautstrauß hat er noch in der Hand und überreicht ihn ihr, was die gar nicht lustig findet und den vor seine Füße pfeffert. Oder Erich Kästner, der, wenn er nicht gerade wegen eines Trippers das Bett hüten muss, sich die Abendstunden mit einer zwanzigjährigen Schauspielerin vertreibt, die ihn seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr liest, wie er stolz seiner Mutter schreibt.
Nicht zum ersten Mal lässt Florian Illies („1913“) aus vielen Momentaufnahmen das Mosaik einer Zeit entstehen. Und weil man Erfolgsrezepte nicht ändern soll, legt der 1971 in Schlitz geborene Illies mit „Liebe in Zeiten des Hasses“ die „Chronik eines Gefühls 1929-1939“ vor. Er beschwört eine fiebrige Stimmung herauf.
Florian Illies erzählt in „Liebe in Zeiten des Hasses“ aus der Zeit ab 1929
Der Erste Weltkrieg ist noch nicht vergessen, der Zweite zieht schon auf. „Niemand hofft 1929 noch auf die Zukunft“, wie er schreibt. „Und niemand will an die Vergangenheit erinnert werden. Darum sind alle so hemmungslos der Gegenwart verfallen. Romantik gibt es nicht mehr. Jeder betrügt jeden. „In der heutigen Zeit Liebe? Lieben Sie? Wer liebt denn heute noch?“, antwortet exemplarisch Kurt Tucholsky als sein Verleger Ernst Rowohlt ihn dazu ermutigen will, mal wieder eine „kleine sommerliche Liebesgeschichte“ wie „Rheinsberg“ zu schreiben.
Die Geschlechter befreien sich, Männer lieben Männer, Frauen lieben Frauen. Alles scheint möglich. Das Nachtleben in Berlin brodelt. Bis die Nazis 1933 die Macht ergreifen, auf einmal Reichstag und Bücher brennen, jüdische Geschäfte boykottiert werden und erste Todeslisten kursieren.
Was Rang und Namen hat, geht ins Exil. Thomas und Heinrich Mann, Walter Benjamin, Kurt Weill- Jede Woche vermisst der Schwergewichtler Max Schmeling einen anderen seiner Freunde im Romanischen Café. Florian Illies hat das alles unterhaltsam aufgeschrieben, fleißig recherchiert und feuilletonistisch verdichtet. Genau so, wie man sich das wünscht. Es liest sich am Anfang süffisant, schleift sich dann aber immer mehr ab. Irgendwie erinnert es, indem Florian Illies sich auf Beziehungen und Seitensprünge fokussiert, ein wenig an voyeuristische Boulevard-Magazine im Vorabendprogramm. Da schreibt Lisa Matthias über ihre Affäre mit Kurt Tucholsky, sie sei nachts ins Gästezimmer geflohen, weil der Dichter zu laut geschnarcht habe. Und Schriftsteller F. Scott Fitzgerald beichtet, dass Ehefrau Zelda seinen Penis als zu klein befinde, was Ernest Hemingway auf der Toilette in Augenschein nehmen muss, um als „Sachverständiger“ zu urteilen: „alles normal“.
Übersät mit Stars und Sternchen ist dieses unterhaltsame Werk
Gekonnt pointiert Illies die historischen Korrespondenzen und Tagebucheinträge, die ihm als Quellen dienen, und spitzt sie zu Anekdoten zu. Viel ist zu erfahren in seinem Buch. Indem er aber sein Hauptaugenmerk auf die Liebeleien der Stars und Sternchen geworfen hat, glättet er die Geschichte und gibt ihr aus heutiger Sicht eine Tendenz. Das mag populär sein. Doch die Welt besteht nicht nur aus Bettgeflüster und Anekdoten.
Florian Illies: Liebe in Zeiten des Hasses. S. Fischer, 432 S., 24 Euro.