Essen/Köln. Dieser Mann ist kein Malergott – und doch ein unverwechselbarer Künstler von Weltrang: Gerhard Richter wird jetzt 90 Jahre alt. Eine Würdigung.
Es gibt ein grandioses Porträt von Gerhard Richter, das dem Kamerakünstler Anton Corbijn gelungen ist. Da blicken wir auf einen gestriegelten Kurzhaar-Hinterkopf und die abgeschabte Bürostuhl-Lehne aus Holz darunter, und unscharf im Hintergrund verrät ein Bild den Beruf dieses Mannes, dessen Eitelkeit darin besteht, sich nicht wichtig zu finden. Man nimmt es dem meist sehr nüchtern, manchmal streng wirkenden, zierlichen Mann tatsächlich ab, dass er gern hinter seiner Kunst verschwindet. Vielleicht ist sie deshalb so groß.
Aber Gerhard Richter, der heute vor 90 Jahren in Dresden zur Welt kam (was sich bis heute zart in seinem Zungenschlag bemerkbar macht), ist alles andere als glücklich damit, der bedeutendste und auch der teuerste lebende Maler darauf zu sein: Zum einen verhindern die hohen Preise seiner Kunst, dass sie weite Verbreitung in öffentlichen Einrichtungen findet – und zum anderen sind es vor allem Galerien und Auktionshäuser, die von den märchenhaften Wertsteigerungen seiner Bilder profitieren, und nicht der Maler selbst. Immerhin: Für ein Haus mit vorgebautem Atelier-Riegel im Kölner Villenviertel Hahnwald, wo der Künstler seit fast vier Jahrzehnten lebt, hat es gereicht.
Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie
Als Richter an der Dresdner Kunstakademie schon ein Meisterschüler-Atelier hatte, entschied er sich 1961 trotzdem dafür, in den Westen zu fliehen, weil er es vorzog, sich nicht dauernd entscheiden zu müssen. An der Düsseldorfer Akademie studierte er noch einmal, neben Sigmar Polke, Kuno Gonschior, HA Schult und Konrad Lueg, mit dem er im Möbelhaus Berges den „Kapitalistischen Realismus“ als ironische Antwort auf die US-Pop-Art schuf und nach einem Weg in die Kunst-Szene suchte, die damals noch nicht wie ein Markt aussah, ihn aber heute längst im realen Kapitalismus vereinnahmt hat.
Dabei hat sich Richter dem Markt, der Wiedererkennbarkeit fordert, auf ganz eigene Weise zu verweigern versucht, indem er den Mythos vom Künstler als Schöpfer-Gott ad acta legte: Er malte unscharfe Fotos noch unschärfer ab, malte Bilder aus bunten Quadraten, als wäre die Farbtafel einer Lackiererei in Unordnung geraten (das berühmteste Werk dieser Art bildet ein Glasfenster im Kölner Dom und macht dort dem Dreikönigsschrein als Besucherattraktion Konkurrenz); er malte gestochen scharfe Landschaften wie die filigran wirkende Autobahnbrücke überm Ruhrtal, ließ Offset-Auflagenwerke wie die heute ungemein begehrte „Kerze“ drucken, er malte Wolkenbilder wie ein Caspar David Friedrich des 20. Jahrhunderts, aber auch eine ganze Serie von „Grauen Bildern“, die tatsächlich kaum mehr waren als das: grau. Bis zum Grauen.
Hochpolitischer Blick auf die deutsche Geschichte
Es ging Gerhard Richter, möchte man meinen, bei alledem vielleicht noch mehr ums Malen als um die fertigen Bilder. Aber zweimal verarbeitete er ausdrücklich und hochpolitisch deutsche Geschichte: Sein „Baader-Meinhof“-Zyklus mit unscharfen Gemälden der toten RAF-Terroristen zeugte ein Jahrzehnt nach dem „Deutschen Herbst“ von dessen ungeheurem Gewaltpotenzial; und sein „Birkenau“-Zyklus, der zurzeit noch als beeindruckende Rauminstallation in der Kunstsammlung NRW zu sehen ist, bevor er nach Japan reist, erkundet die Grenzen der Darstellbarkeit und der Reflexion, an die ein Künstler in der Auseinandersetzung mit dem Holocaust gerät. Dass es sich die Kulturministerin des Landes nicht nehmen ließ, diese Ausstellung gemeinsam mit der Presse zu besichtigen, auch wenn der öffentlichkeitsscheue Maler dabei durch seine dritte Ehefrau Sabine Moritz vertreten wurde, zeigt etwas von der Wertschätzung, die Gerhard Richter genießt.
Das Gegenteil davon sah der Künstler allerdings in Florian Henckel von Donnersmarcks Film „Werk ohne Autor“, der nicht nur seine Biografie geplündert, sondern alles getan habe, um sein Werk durch Richters Prominenz aufzuwerten.
Kunst als Wirklichkeit, die wir nicht sehen können
Das Reden über Malerei hält Gerhard Richter eigentlich für sinnlos, aber in seinen 22 Jahren als Professor der Düsseldorfer Akademie hat er doch bisweilen Ausnahmen machen müssen. Kunst sei eine Wirklichkeit, die wir nicht sehen könnten, von der wir aber ahnten, dass es sie gibt, hat er einmal gesagt. Vielleicht ist das der Richter-Realismus.