Essen. Im Lockdown hat Elton John befreundete Musiker zu Sessions eingeladen. Dabei entstand ein Welthit - und ein krauses Sammelsurium von Album.
Eigentlich wollte der Populärmusiker Elton John sich ja schon längst bei der Rentenkasse für den Ruhestand angemeldet haben. Aber wie das so ist, wenn man nur noch diesen einen, letzten Job zu erledigen hat: Es kam ordentlich was dazwischen, Eltons seit 2018 laufende „Farewell Yellow Brick Road“-Tour musste wegen der Pandemie und einer Hüftoperation verschoben werden, weshalb man den hinausgezögerten Abschied wohl am besten mit Eltons eigenen Worten umschreiben könnte: „And I think it’s gonna be a long, long time.“
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Aber der 74-Jährige konnte mitten im Lockdown das Klimpern nicht lassen, es war ja auch sonst nicht viel los. Da hat er sich mit einer ganzen, kleinen Kompanie von internationalen Stars zum Zoom-Videocall getroffen – und fröhlich drauflos musiziert. Das erste Ergebnis seiner nun auch in Albumlänge erschienenen „Lockdown Sessions“ (Universal) läuft schon seit Monaten erfolgreich im Radio rauf und runter.
„Rocket Man“ und „Sacrifice“ durch den Fleischwolf gedreht
Es nennt sich „Cold Heart ft. Dua Lipa (Pnau Remix)“ und ist Eltons größter Hit seit Langem, in England seine erste Nummer 1 seit 16 Jahren – in Deutschland immerhin Top 10. Dabei sind die entscheidenden Verschnittstücke des Songs gar nicht neu, sondern ein Mash-up aus Fetzen von „Rocket Man“ und „Sacrifice“, vermischt mit mit R’n’B-Beats, wodurch es einen halbwegs frischen Anstrich bekommen hat. Und ehe jetzt jemand fragt, was ein Mash-up ist: Man nimmt ein paar gute Stücke aus mehreren Songs, dreht sie zusammen durch den Fleischwolf – und richtet sie anschließend möglichst appetitlich an.
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Das Prinzip des Alles-wild-Zusammenwerfens ist übrigens das eine Prinzip, nach dem die „Lockdown-Sessions“ funktionieren. Es kommen etwa noch weitere Wiederverwertungen von altem Elton-Material vor, mehrere Cover-Versionen und ein paar unveröffentlichte Songs. Das andere Prinzip ist, dass immer ein weiterer, mindestens halbwegs populärer Musiker mit dabei sein muss.
Schlappe Sünde
Dabei sind nicht ausschließlich Höhepunkt entstanden, wie man an den beiden prominentesten Cover-Versionen ablesen kann: „It’s A Sin“ von den Pet Shop Boys hat Elton gemeinsam mit Years & Years gespielt, was schon bei den diesjährigen Brit-Awards zum Vortrag kam – und deutlich schlapper als das Original herüberkommt. Einen weiteren Gipfel der Rockgeschichte möchte Elton unter anderem mit Miley Cyrus erklimmen, aber ihrer Version von Metallicas „Nothing Else Matters“ geht schon die Luft aus, bevor sie das Basislager erreicht.
Dass Elton nicht krampfhaft versucht, sich mit seinen Kooperationen eine Frischzellenkur zu gönnen, sieht man spätestens, wenn er gemeinsam mit Eddie Vedder den rockigen, aber etwas altbackenen Boogie „E-Ticket“ hinlegt, gemeinsam mit der tollen Stevie Nicks (die hier keinen besonders gut zu ihrer Stimme passenden Song erwischt hat) die Piano-Ballade „Stolen Car“ anstimmt – oder mit Stevie Wonder (ja, der lebt auch noch!) eine sentimentale Lebensbilanz namens „Finish Line“ stemmt. Leider klingt Stevies Mundharmonika-Solo immer so, als wollte er noch ein „And I mean it from the bottom of my heart“ hinterherschieben.
Was unterm Rock geschah
In Eltons-Grabbelkiste findet sich auch eine Menge Disco-Pop („Orbit“ ft. SG Lewis), Country („Simple Things“ ft. Brandi Carlisle) und nicht-jugendfreier Hip-Hop („Always Love You“ ft. Nicki Minaj und Young Thug), bei dem man besser nicht so genau hinhören sollte, was nach dem Heben des Röckchens passiert.
Eine Mischung, der man die schiere Freude an der Musik und auch an neuen Einflüssen anhört, Die aber zugleich bedeutet: Jeder kann sich etwas herausgreifen, das ihm gefällt – aber an allem zusammen kann letztlich niemand Geschmack finden.