Essen. „Ententraum“, das zweite Album der Essener Band International Music, wird derzeit von Kritikern gefeiert – und gleichermaßen von den Fans.

„Die Insel der Verlassenheit hab‘ ich im Traum gesehen, die Höhle der Vernunft, sagt man sich, sei wunder-, wunderschön…“ Drei Männer singen dies im Chor, im Hintergrund läuft ein sitar-artiges, psychedelisches Gitarrenriff, orientalisches Flöten – und sofort fragt man sich, ob man auf einen schrägen Trip gekommen ist. Aber nein. Es ist nur ein prägnanter Moment auf „Ententraum“, dem zweiten Album der Essener Band International Music. Sie wird derzeit nicht nur von Kritikern, sondern erfreulicherweise auch von den Fans gefeiert.

Was umso erstaunlicher ist, als dass die Songs des Indie-Trios mehr komplexen Kunstcharakter haben, als dass man sie mal eben so weghören könnte. Man denkt unwillkürlich an surreale Poesie, künstlerische Traumvisionen, Dada-Improvisationen und… Drogen? „Nein, mit Drogen hat das nichts zu tun“, sagt Bassist Pedro Goncalves Crescenti lächelnd. „Der Refrain mit der ,Insel der Verlassenheit‘ ist unserem Gitarristen Peter Rubel im Proberaum eingefallen – und ich weiß, dass er sich in dieser Zeit sehr viel mit Surrealismus auseinandergesetzt hat. Und mit Gauguin, der ja diese postexpressionistischen Tropen-Landschaften gemalt hat.“

Das Trio gibt Erläuterungen zur eigenen Musik ab: „Gerad‘ war’s leise, jetzt wird’s laut“

Wobei: „Die Insel der Verlassenheit“ und „Die Höhle der Vernunft“, das klingt alles auch nach „Die Festung der Einsamkeit“, Supermans arktischem Refugium, was wiederum ein Versatzstück aus einer vollkommen anderen Ecke des Kultur-Multiversums wäre, aber durchaus passt. „Was uns an Sprache interessiert, das ist ein disruptives Arbeiten mit den Wörtern und Sätzen, repetitiv, collagierend, neu zusammensetzend. Wenn es irgendwie zu langweilig wird, versuchen wir da noch einen Twist rein zu bekommen.“

Man merkt, wie sehr die Band die Sprache selbst als spielerisches Element ihrer Musik begreift. So taucht auf einmal eine fremde, strenge Stimme aus dem Off auf. „SCHMITT. Gedankenzähler“, schnarrt es. Oder das Trio gibt Erläuterungen zur eigenen Musik ab: „Gerad‘ war’s leise, jetzt wird’s laut.“ Danke für den Hinweis…

Wie die Drei selbst im Song „Misery“ singen, der Deutsch und Englisch mischt: „Die Sprache ist eklektisch.“ Und das gilt natürlich nicht nur für die Sprache. Selten sah man auf einem Album einer deutschen Band eine durcheinandergewürfeltere Stilmischung. In „Misery“ trifft ein Widerhall der Beachboys auf lateinamerikanische Elemente. Aber es finden sich auch Noise- und Krautrock, Punk, Indie, Psychedelic und Folk darin. „Es ist nicht so, dass wir unsere Songs so bauen wie Neubausiedlungen, wo es hier immer die Türen, da immer die Fenster und 15 Quadratmeter Garten gibt. Bei uns wäre das eine ganz schön bunt zusammengesetzte Siedlung“, sagt Pedro Goncalves Crescenti.

„Die Erosion meiner Lust ist die Korrosion unserer Liebe“ – ein assoziationsreicher Satz

Selten zielen Songs in eine einzige Richtung. So kann man etwa „Spiel Bass“ schon als Ausreißer ansehen, weil er größtenteils als geradliniger Punk-Song daherkommt. Aber er ist einer von 17, in denen man stöbern und versinken kann wie in Treibsand, in immer neuen Chiffren wie „Die Erosion meiner Lust ist die Korrosion unserer Liebe“. Ein assoziationsreicher Satz, den man am Ende vielleicht gar nicht näher entschlüsseln muss.

Nun könnte man noch über den ebenfalls eher verwirrenden Albumtitel „Ententraum“ und einen in die Irre führenden Bezug zu Karl Valentin fabulieren, aber viel besser sollte man vielleicht einfach eintauchen in den „Ententraum“ – Köpfchen in das Wasser, Gedanken in die Höh…

International Music: Ententraum (Staatsakt). www.internationalmusic.band Live (je nach Corona-Lage): 11.6. Essen, Zeche Carl, 4.10. Köln, Gebäude 9, 12.10. Dortmund, FZW, 21.10. Düsseldorf, Zakk