Köln. Unheilig hat den Sprung von der Monstermucke zu Mainstream geschafft. Der Graf ist stolz, dass zum Konzert in Köln auch 1000 Kinder kamen. Allerdings ging Unheilig auch musikalisch und bei der Show auch kein Risiko ein.
Wenn Grundschulkinder aus voller Kehle „Das sind unsre besten Jahre, das ist unsre beste Zeit“ singen, dann kann man das für unreflektiert halten. Oder auch für beängstigend klug. Weil es niemals wieder besser sein wird als jetzt. Am Samstagabend im Stadion in Köln-Müngersdorf, wo Unheilig von 32 000 Fans gefeiert werden. Wo die „Lichter der Stadt“ über die Bühne flimmern, während sonst schon längst Bettruhe angesagt ist.
Wo man nicht nur toben darf, sondern auch toben soll („Wollen wir alle gemeinsam springen?“), die Erwachsenen bereitwillig Limo, Pommes und Weingummi spendieren und man noch keine Ahnung von Ängsten hat, die Steuererklärung, Schufa oder Stromnachzahlung Jahre später auslösen können. „Es sind heute 1000 Kinder hier“, ruft der Graf triumphierend aus.
Unheilig wechselt von Monstermucke zu Mainstream
Grund zum Triumph hat der Sänger der Band, die noch vor gut zehn Jahren auf dem Wave-Gotik-Treffen in Leipzig oder dem Doomesday Festival in Dresden spielte, fürwahr. Ihm ist es gelungen, die Zugehörigkeit zur, von besorgten Vätern und Müttern eher argwöhnisch betrachteten, Schwarzen Szene, zu relativieren. Deren Fans sagen würden: zu verwässern.
Schon das letzte Studioalbum „Große Freiheit“ war eher Mainstream als Monstermucke. Ähnlich ist es mit „Lichter der Stadt“. Statt schwarz höchstens anthrazit, mit Metal-Light-Elementen, starker Pop-, wenn nicht gar Schlagernote und Texten, in denen immer wieder von Träumen die Rede ist, vom kleinen Glück und davon, dass das Leben schön ist.
Nun eint der Graf die Generationen. Das Stadion wird zur Familiengruft. Mit unheiligem Kinderland, in dem weder geraucht noch Alkohol getrunken werden darf, wo man sich aber abwaschbare Airbrush-Tattoos auf den Hals sprühen lassen und ausprobieren kann, wie sich gesampelte Musik anhört, während man eine Gitarre in Händen hält oder ein Schlagzeug bedient.
Mehrzahl der Stücke entstammt dem „Lichter der Stadt“-Album
Im Innenraum des Stadions ist eine relativ kleine Bühne aufgebaut, mit einer PA, die für eine Lautstärke sorgt, die auch Siebenjährigen nicht weht tut. Rammstein klingen anders. Obwohl sich manche der Nachwuchs-Fans trotzdem die Ohren zuhalten. Was aber auch an der Dauerbelastung liegen mag. Einlass ist um 16 Uhr, das Konzert endet um 23 Uhr. Mit Wartezeiten, den Auftritten von Andreas Bourani und Staubkind, zwei Umbaupausen plus fast 120-minütigen Hauptprogramm, macht das sieben Stunden. „Nachtschicht“, wie der Graf in einem seiner beiden neuen Stücke singt.
In punkto Ablauf ähnelt die eigentliche Unheilig-Show sehr der letzten. Diesmal ist nicht das Meer Mottogeber, sondern die Stadt. Anstelle von „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ erklingt „New York New York“, statt des aufragenden Schiffsbugs bestimmt eine funkelnde Skyline das Bühnenbild, die Einspieler zeigen den Grafen nicht am taghellen Meer, sondern unterwegs auf nächtlichen Straßen. Die Mehrzahl der Stücke entstammt dem „Lichter der Stadt“-Album. Mit „Unter deiner Flagge“, „Große Freiheit“, „Abwärts“, „Geboren um zu leben“, und der zweiten Zugabe „Für immer“ sticht Bernd Heinrich Graf erneut in See.
Die Anhänger der Schwarzen Szene tummeln sich woanders
Ansonsten geht der Graf kaum ein Risiko ein. Die brachiale „Maschine“ der Gründerzeit mutiert zum harmlosen, mit Mädchenstimmen aufgehellten Techno-Maschinchen, die letzte Zugabe „Stark“ hat einen Refrain, der mit „Auf Wiedersehen“ beginnt, und sich perfekt dazu eignet, traurige Fans zu trösten. Die gutturale Zweitakter-Singweise des Grafen ist unverändert, ebenso wie sein Outfit, sein Aussehen, seine Art, sich zu bewegen oder das Publikum zu animieren („Ich kann euch nicht hören! Zeigt mir eure Hände! Könnt ihr noch?“).
Unterstützt wird Unheilig von drei Musikern (Gitarre, Schlagzeug, Keyboard), zeitweilig kommen die „Lucky Kids“, der Kölner Kinderchor und Kinder aus dem Publikum hinzu. Die Anhänger der Schwarzen Szene tummeln sich derweil woanders. In Deutz, am Tanzbrunnen, wo Samstag und Sonntag das Amphi-Festival mit über 30 Bands läuft. Selbst da gibt es inzwischen ein Familien- und Kinderprogramm. Die Zeiten ändern sich.