Dortmund. Der Dortmunder Verein „Machbarschaft Borsig 11“ sorgt für „soziale Kreativität“ und ein Kulturprogramm. Auftakt unserer Serie „Interkultur Ruhr“.
Marlene Paul steht in der Küche des „Chancen-Café 103“ und brät „Jamaican Pattys“, Teigtaschen, gefüllt mit Hackfleisch, Paprika und Kartoffeln. Schaut sie aus dem Fenster, sieht sie Dortmunds Nordstadt. Zumindest einen kleinen Teil davon: die Kreuzung von Oesterholz- und Robertstraße. Ein breiter Bürgersteig, Asphalt, Straßenbahnschienen, Kiosk und ein Obstladen. Marlene Paul aber sieht etwas anderes: „Es ist ein magischer Platz. Hier geschehen Wunder“.
Um zu verstehen, was sie damit meint, bietet sich eine kleine Zeitreise an: zurück ins Jahr 2010, als das Revier sich rühmte, Europas Kulturhauptstadt zu sein. Der Konzeptkünstler Jochen Gerz hatte damals in Dortmund, Duisburg und Mülheim an der Ruhr das Projekt „2-3 Straßen“ an den Start gebracht. Menschen waren eingeladen, ein Jahr lang mietfrei in einer Gegend zu wohnen, die manche als „sozialen Brennpunkt“ bezeichnen würden. Sie hatten das Ziel, Alltag in Kunst zu verwandeln – indem sie aufschreiben, was sie bewegt. Eine „öffentliche Autorschaft“, allein, mit Nachbarn und Besuchern. Nicht die Kunst sollte die Straßen verändern. Die Idee war vielmehr, dass „Kunst sich auflöst in Gesellschaft wie Aspirin im Wasser – und wirkt”, sagte Gerz damals.
Das Ziel: Die Arbeit des Projektes „2-3 Straßen“ fortsetzen
Als das Kulturhauptstadtjahr rum war, wurden die Texte der „2-3 Straßen“-Autoren in einem dicken Buch veröffentlicht. 3000 Seiten stark ist das Werk. Es eroberte zwar nie die Bestseller-Listen, war aber ein schönes Geschenk für Onkel und Tanten. Und während viele Teilnehmer mehr oder weniger zufrieden mit der Aktion ihre Koffer packten, blieben manche zurück – und sagten: „Das kann doch jetzt noch nicht alles gewesen sein“.
2011 gründeten sie den Verein „Machbarschaft Borsig11“, der sich das Motto „soziale Kreativität“ auf die Fahnen geschrieben hat. „Eigentlich tun wir nicht mehr, als Menschen zu zeigen, dass sie einen wertvollen und wichtigen Beitrag zu einem gemeinsamen Werk leisten können“, sagt „Borsig11“-Vorstand Guido Meincke. „Was dann entsteht, ist und bleibt immer wieder überraschend. Die Dortmunder Nordstadt mit ihrer kulturellen Vielfalt ist dafür ein ideales Pflaster. Das ist ein endloser Strom an kreativen Impulsen, für die wir versuchen, eine Infrastruktur herzustellen, um sie wirksam zu machen.“
Manche Projekte des Vereins sollen Jugendlichen bei der Berufsorientierung helfen, andere den Tourismus fördern und wieder andere sollen helfen, die Nordstadt insgesamt voranzubringen. „Wir wollen das Klischee ,Nordstadt’ auf den Kopf stellen“, sagt Sabitha Saul, Gründungsmitglied der „Machbarschaft“.
Als im Jahr 2014 mit dem „Faktor Kunst“-Preis dank einer Bonner Stiftung ein Geldsegen über den Verein hereinbrach, verwandelten die Mitglieder die harten Euros in eine Kreativwährung namens „Chancen“ und brachte sie in der Nordstadt unters Volk. „Damit konnten die Leute zwar nichts kaufen“, erklärt Sabitha Saul, „aber wenn sie eine Idee hatten, von der das ganze Quartier profitiert, konnten sie die ,Chancen’ bei uns einlösen – und wir haben dann das Stiftungsgeld dafür eingesetzt, die Ideen in die Tat umzusetzen.“
Hochbeete wurden angelegt, Tanz-, Musik- und Theaterprojekte realisiert
Mehr als 500 Menschen haben sich an der Aktion beteiligt. In der Folge wurden beispielsweise Hochbeete angelegt, Tanz-, Musik- und Theaterprojekte realisiert. Außerdem öffnete erstmals das „Chancen-Café 103“ seine Türen, als „Magnet sozialer Kreativität“ im Viertel, als Anlaufstelle und Treffpunkt.
Gefördert mit Mitteln von Interkultur Ruhr kann das Café derzeit ein interkulturelles Programm anbieten. Beliebt sind die „Nordstadt Sessions“ mit Live-Konzerten auf dem Bürgersteig vorm Café. Es gibt aber auch Workshops zu Malerei oder Tanz, außerdem werden im „Chancen-Café“ Fahrräder repariert, Kleider geschneidert, Schach gespielt – oder Marlene Paul lädt zum gemeinsamen Kochen: „Jeder Mensch hat besondere Fähigkeiten. Hier kann er sie einbringen. Und alle haben was davon. Deswegen kann ich behaupten: Hier geschehen Wunder.“