Essen. Schweine pfeifen, Ziegen moppern – und der Dodo von Wanne-Eickel ist auch dabei: ein Sammelband mit „Tiergeschichten aus dem Ruhrgebiet“.
Nie war das Interesse am Bergbau größer als in den Jahren, in denen es mit ihm zu Ende ging. Da ist es hoffentlich kein böses Omen, dass in letzter Zeit ausgerechnet den Tieren des Ruhrgebiets vermehrt Aufmerksamkeit gewidmet wird. Zuerst zeigte das Ruhrmuseum auf dem Essener Welterbe-Gelände Zollverein im vergangenen Jahr „Mensch und Tier im Revier“, dann nahm im Sommer dieses Jahres das LWL-Industriemuseum auf der Bochumer Zeche Hannover den Wandel der „Beziehungen von Mensch und Tier“ unter dem Titel „Boten, Helfer und Gefährten“ unter die Lupe.
Und jetzt ist im Bottroper Verlag Henselowsky Boschmann ein Sammelband mit Erzählungen über Tiere im Ruhrgebiet erschienen. Hohe Tiere kommen darin nur am Rande vor, dafür aber Wellensittiche („Kurt Georg“), Molosser-Kampfhunde, ein Mini-Schwein namens Purple Haze und ein völlig verrückter Hahn, dem irgendwer den Namen Agamemnon verpasst hatte, weil er sich in Sachen Kampfeslust mit dem griechischen Sagenhelden messen konnte und angeleint in den Garten ausgeführt wird: „Hinterher sah ich aus, als hätte ich mich durch eine Rolle Stacheldraht gekämpft“.
Die Meise von Sigi Domke und der Osterhase von Ludger Claßen
Selbstverständlich hat das halbe Ruhrgebiet einen Vogel, also Elstern („Willi“), aus dem Nest gefallenen Küken („Felix“) oder auch ne Meise, die bei Sigi Domke über der Tür vom Wintergarten zur Terrasse nistet zum Nachdenken über die Grenzen des Wachstums bringt. Einen ganz speziellen beschreibt der Science-Fiction-Autor Hartmut Kasper in dem wunderbar mit Seemannsgarn zusammengestrickten „Dodo von Wanne-Eickel“.
Und als ob wir es geahnt hätten, war das Ruhrgebiet natürlich schon immer ein tierisches Einwandererland, wobei das mit dem Schmelztiegel im Tierreich an artbedingte Grenzen stößt. René Schiering erzählt aus den Augen der Kessler-Grundel, wie es sie aus ihrer Heimat am Schwarzen Meer in den Kanal nach Essen-Karnap verschlagen hat. Ludger Claßen klärt auf über die unaufhaltsam sich vermehrende Spezies des Osterhasen und darüber, dass man Kaninchenköttel für einen Beweis seiner Existenz halten kann. Und Gerd Herholz lässt literarisch ausgefeilt in „Sieben Leben“ die Katzen seines Werdegangs Revue passieren, von denen nicht alle tierischer Natur waren...
„Inne Uhr sein“, „Kröpper“ und anderes Brieftaubenzüchterdeutsch
Ein kleines Juwel des Bandes ist der Beitrag des Germanisten Joachim Wittkowski; er erklärt Wörter wie „Krätzer“ (verwilderte Brieftaube) oder „Kröpper“ (leistungsschwache Brieftauben, die sich den Kropf vollschlagen, statt für ihre Besitzer Siegprämien zu erringen). Wussten Sie, dass die Redewendung „inne Uhr sein“ für „kaputt“. „defekt“ oder „erschöpft“ aus der Taubenzüchtersprache kommt? Gezählt hat die Flugleistung der erschöpften Tauben erst, wenn ihre Uhr angehalten war, wenn sie „inne Uhr“ waren. Mit Wittkowskis Aufsatz liegt der nächste Fall von Wertschätzung im Moment des Niedergangs vor, es sind „Notizen zum verblassenden sprachlichen Erbe der Brieftaubenzüchter im Ruhrgebiet“. Durch diesen Band ziehen sie sich aber fast wie ein roter Faden. Hätte ja sonst doch was gefehlt!
Tiergeschichten aus dem Ruhrgebiet. Wo Schweine pfeifen, Ziegen moppern und Tauben an das Gute glauben. Henselowsky Boschmann, 256 S., 14,50 Euro.