An Rhein und Ruhr. Viele Buchhändler in der Region erleben eine große Welle der Solidarität. Kunden bestellen online oder per Telefon. Trotzdem bleiben Sorgen.
Als es beschlossene Sache war, dass wegen des Coronavirus die Geschäfte schließen müssen, war bei den Buchhändlern die Sorge groß. „2019 war für die Buchbranche ein gutes Jahr“, meldete der Börsenverein noch im Januar – und nun, knapp zwei Monate später, fürchteten viele Buchhändler plötzlich um ihre wirtschaftliche Existenz.
Im Vergleich zum Vorjahr ist der Umsatz des Buchhandels im Monat März 2020 bundesweit um 30 Prozent eingebrochen. Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin im Börsenverein des Deutschen Buchhandels, bezeichnete die Situation im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur als „dramatisch“. Zugleich warnte Schmidt-Friderichs vor Verzweiflung angesichts der Corona-Auswirkungen: „Wer Kreativität, Engagement, Optimismus und Kraft hat, der hat in dieser Phase eine gewisse Chance, nicht unterzugehen.“
Für Elisabeth Röttsches war es ein Schock
Ohne den hohen Einsatz der Buchhändler wäre der Umsatzeinbruch im März wohl noch dramatischer ausgefallen. Auch an Rhein und Ruhr tun die Händler alles, um die Läden am Laufen zu halten, das zeigt der Blick in die Region.
„Die Nachricht, dass wir schließen müssen, war für uns ein Schock“, sagt Elisabeth Röttsches, die Inhaberin der Buchhandlung im Literaturhaus Herne. „Es war beklemmend, die Tür von außen zu zu ziehen und den Schlüssel umzudrehen.“ Ihre Sorge, dass die Umsätze bei Null landen würden, hat sich aber nicht bewahrheitet. Röttsches und ihre Kollegen haben reagiert: Sie nehmen Bestellungen per Telefon an, Bücher verschicken sie per Boten oder mit der Post. „Da die Leute jetzt zu Hause bleiben, brauchen sie was zu lesen. Vom Kinderbuch bis zum Krimi läuft alles gut“, sagt Röttsches. „Das klingt jetzt zwar positiv, aber ich hoffe, dass diese Zeit bald endet – sicher ist nämlich auch: Einbußen werden wir haben.“
Lieferdienst bei Junius in Gelsenkirchen wird gut angenommen
Dass die Kunden ihren Buchhändlern in der Krise die Treue halten, beobachtet auch Sabine Piechaczek. Die Inhaberin der Buchhandlung Lothar Junius aus Gelsenkirchen setzt auf einen Lieferdienst, die Empfänger zahlen per Rechnung. „Das Angebot wird gut angenommen, mit so einer Resonanz hätte ich nie gerechnet“, sagt Piechaczek, „sogar meine Mitarbeiter kann ich weiter beschäftigen“.
Elisabeth Evertz von der Duisburger Buchhandlung Scheuermann sagt, sie habe trotz all der schlechten Nachrichten, die in diesen Corona-Wochen auf uns einprasseln, jeden Tag ein „Lächeln im Gesicht“. Der Grund dafür sei die „unglaubliche Solidarität“ ihrer Kunden. Die Buchhändlerin erhalte via Telefon, Mail und Online-Shop derzeit jede Menge Bestellungen. Besonders hoch im Kurs stünden zudem Gutscheine. „Das hilft uns in dieser Zeit sehr.“ Dann berichtet Evertz von einer „grandiosen Geste“, die sie besonders berührt hat: „Ein Kunde hat um eine Rechnung gebeten, obwohl er noch Gutscheine von uns zu Hause hat. Die will er aber gar nicht mehr einlösen.“
Der Mercator-Verlag vermisst die Laufkundschaft
In Duisburg-Ruhrort vermisst Susanne Nagels die Laufkundschaft. Touristen und Binnenschiffer bleiben fern in Corona-Zeiten. Die Folge: Duisburg-Souvenirs, etwa Postkarten oder Tassen – normalerweise wichtige Umsatzbringer – verstauben in den Regalen. Knapp 22 Quadratmeter misst ihr Laden an der Horst-Schimanski-Gasse, den sie gemeinsam mit ihrer Schwester Jutta führt. Trotzdem ist genug Raum für die kontaktlose Übergabe von Büchern: Kunden klingeln, Susanne Nagels stellt die Bestellung vor die Tür, der Kunde nimmt sein Paket und zahlt später per Rechnung oder Paypal. „Das klappt gut“, sagt sie, „besonders aus der Nachbarschaft erfahren wir eine große Solidarität“. Schwieriger sei es da, ihren Mercator-Verlag durch die Krise zu bringen: „Im Verlagsgeschäft spielt sich gerade nichts mehr ab“, sagt Nagels. Frisch gedruckte Bücher, etwa regionale Garten-Ratgeber, lägen im Lager und die Betreiberinnen säßen auf den Kosten. „Kann sein, dass nach der Krise die Verkäufe wieder anziehen – aber wir wissen nicht, was kommt.“
Der Essener Buchladen Proust richtete sich gleich nach der Zwangsschließung online an seine Kunden: „Als kleine Buchhandlung werden wir eine längere Phase der Schließung nicht überleben; ein dramatischer Umsatzeinbruch bräche uns das Genick“, war dort zu lesen. Und heute? „Keine Zeit zum Telefonieren“, heißt es, als wir bei Proust anrufen. Der Laden scheint zu laufen, Bestellungen kommen per Telefon oder online, kontaktlose Lieferung und Abholung sind möglich.
„Wie Weihnachten und Schulbuchgeschäft zusammen“
Im Essener Stadtteil Rüttenscheid betreibt Susanne Böckler die Buchhandlung „Alex liest Agatha“. 2017 drohte dem Laden das Aus, eine Insolvenz konnte erst in letzter Sekunde verhindert werden. Nicht zuletzt, weil Stammkunden gespendet hatten, um die Buchhandlung zu retten. Diesmal muss Böckler keinen Hilferuf aussenden: „Ich erfahre viel Solidarität aus dem Stadtteil, aber auch aus der ganzen Stadt“, sagt die Buchhändlerin. „Das Bestellaufkommen ist wie Weihnachts- und Schulbuchgeschäft zusammen.“ Besonders ihre älteren Kunden suchten den Kontakt per Telefon, so wird die Buchhändlerin zuweilen zur Seelsorgerin. „Viele sind froh, dass sie in mir einen Gesprächspartner haben. Das vermittelt ein Gefühl von Normalität in dieser schwierigen Zeit.“
Was Händler am Niederrhein nun erleben
Auch am Niederrhein spüren Buchhändler die Veränderung durch Corona. Kathrin Olzog von der Barbara-Buchhandlung hatte zeitweise Muskelkater: Statt der wenigen Schritte im Laden ist sie nunmehr täglich mehrere Stunden unterwegs, um in Moers und Umgebung mit ihrem knallroten Auto Bücher auszuliefern. Andere Mitarbeiter versorgen die Innenstadt, die Kollegin, die in Repelen wohnt, nimmt die Bücher auf dem Heimweg mit. Derzeit versucht sie, mit dem Ordnungsamt zu klären, ob auch ihr gestattet wird, was die Filiale einer Buchhandelskette macht: einen Abholservice anbieten.
Im Ergebnis bleibt: Statt der liebgewordenen Buchberatung ist Bürokratie gefragt: Jeden Tag muss sie nun Dutzende Kontoauszüge mit den ausgestellten Rechnungen abgleichen. Aber immerhin: „Unsere Kunden halten uns die Treue, wir haben sogar den Eindruck, dass wir viele Menschen beliefern, die vorher nicht zu unseren Stammkunden gehörten“, freut sie sich.
Auch in Emmerich gibt es einen Bücherlieferdienst. Lydia Klar von Lese-Lust?Klar! liefert aus, ab fünf Euro Bestellwert. Da ihre Buchhandlung gleichzeitig Paketshop ist, darf sie jedoch sogar öffnen. Doch die Buchverkäufe fangen nicht auf, was ihr an Osterkarten und Kommuniongeschenken entgeht, sagt sie.