Essen. Für den Sänger und Songwriter Clueso ist sein neues Album mit dem Titel „Album“ Musik 2.0. Jetzt freut er sich auf die Tour im nächsten Jahr.
Seit über 20 Jahren ist Clueso bereits auf den Bühnen Deutschlands unterwegs. Immer wieder erfindet er sich neu und hat schon mit vielen Künstlern zusammengearbeitet. Los ging es mit Rap, mittlerweile ist der 41-Jährige eher in der Popszene angekommen. Er legt aber weiter viel Wert auf Vielseitigkeit, was auch sein neues Album, das am 1. Oktober erschienen ist, zeigt. Wieso die Musikszene ein Marathonrennen ist, weshalb er sich manchmal als Astronaut fühlt und wie er die Corona-Krise erlebt, hat er im Interview mit Maximilian Villis verraten.
Ihr neues Album hat den einfachen Titel „Album”. Wie kam es dazu? Ist weniger manchmal mehr?
Clueso: Ich stehe total auf solche Namen. Der Titel ist aber gar nicht von mir, sondern von Benjamin von Stuckrad-Barre. Wir waren zusammen in Berlin spazieren und er kennt eigentlich alle Songs vom Album. Irgendwann habe ich gesagt, dass ich keinen Titel habe und dann hat er gesagt: „Nenn es doch einfach Album“ (lacht). Er meinte, dass es eigentlich das Clueso-Album der letzten Jahre ist und da würde der Name passen. Dann habe ich gesagt, „Danke nehme ich, das ist geil“. Es gab natürlich auch Angst, weil die Leute sich fragen könnten, welches Album ist es denn jetzt eigentlich. Aber Google löst das schon für uns. Ich finde, dass der Name was Poppiges hat.
Auf dem neuen Album sind auch wieder einige Feature-Gäste am Start. Erfinden Sie sich selbst auf dem Album wieder einmal neu?
Ich glaube, mich hat das Ganze am meisten selbst überrascht. Ich wusste nicht, was dabei herauskommt. Ich habe mich mit vielen Leuten getroffen und das Album ist peu a peu entstanden. Man merkt die Musikverliebtheit. Ich mache es an und sage „Yeah“. Es ist wirklich 2.0. Eigentlich schade, dass es im Oktober rauskommt, weil es irgendwie eher ein Sommeralbum ist.
„Klassische Corona-Songs sind mir zu platt“
Die Single „Willkommen zurück” beschreibt die wiedergewonnene Freiheit in diesem Sommer. Wie wichtig war es Ihnen, das Ganze in einem Lied aufzuarbeiten?
Das ist ein sehr energetischer Song – vom Feeling her eher so „Mach neu“. Es schwingt eine gewisse Sehnsucht mit. Ich hatte Bock, das zu Papier zu bringen, ohne einen klassischen Corona-Song zu machen. Das finde ich nämlich zu platt.
In dem Song heißt es „Ich hab’ schon vergessen, wie’s war dich zu treffen”. Wie oft haben Sie solch einen Moment in den letzten Wochen und Monaten selbst erlebt?
Total oft. Wir hatten jetzt die ersten Konzerte und plötzlich sieht man auch wieder andere Bands. Wir waren wie so Astronauten, die ihre Social-Skills erstmal wieder antrainieren mussten (lacht). Dann haben wir direkt an der Bühne eine Bar aufgebaut und so konnten wir das brechen und haben uns unsere Drinks gegönnt. Mir geht es aber ständig so, dass einfach total Vieles surreal ist.
Ist es auch surreal, wieder vor Publikum aufzutreten?
Nein, das auf keinen Fall. Du verlernst es nicht, auf der Bühne zu stehen. Aber es fallen einem Dinge auf, die vorher selbstverständlich waren. Zum einen die immense Lautstärke und das Vibrieren der Bühne, wenn jemand ein Instrument spielt. Natürlich ist die Resonanz der Leute auch wichtig. Was macht das mit uns? Was macht das mit unserer Musik? Ich kann da auch Helge Schneider verstehen. Wir haben einen Tag vorher selbst dort gespielt (Strandkorb-Open-Air in Augsburg, Anm. d. Red). Ich fand das Konzept nicht schlecht, aber ich kann seine Situation verstehen. Er braucht die Interaktion mit dem Publikum, wir können mit Lautstärke viel wettmachen. Es sind aber auch die Dinge, dass du sagst „One, two, three, four“ und es geht los. Und es ist einfach geil, Applaus zu bekommen.
„Ich zahlte meiner Band eine Tourausfall-Gage“
Hatten Sie denn durch die Corona-Krise Verlustängste?
Ja und Nein. Es geht natürlich allen so, dass keiner mehr Bock darauf hat. Verlustängste hatte ich zum Glück aber bisher nicht, weil ich gut gewirtschaftet habe. Ich konnte auch meine Band unterstützen und habe ihnen eine Tourausfall-Gage gezahlt.
Hat die Krise die Musikszene enger zusammengeschweißt und weiß man es mehr zu schätzen, jetzt wieder gemeinsame Projekte machen zu können?
Ich fand es zumindest faszinierend, dass vielen Künstlern Songs gefallen haben, wo ich nicht damit gerechnet habe. Dass die harten Jungs, die krassesten Rapper, die emotionalste Ballade abfeiern, ist schon geil. Es ist schon so, dass wir alle zusammenhalten. Wir haben ja keine Gewerkschaften, die für uns sprechen. Ich fand deswegen auch die Aktion von Till Brönner und anderen gut, einfach mal den Mund aufzumachen. Es hätte aber ruhig auch mal schneller jemand laut sein können. Das Problem ist, dass es da öfters aufs Maul gibt, selten gibt es Applaus.
Wie gehen Sie denn mit so Komplimenten von Kollegen oder Kolleginnen um?
Ich finde das total toll, dass Leute überhaupt erstmal Bock haben, mit mir zusammenzuarbeiten. Natürlich sind es hier und da auch Eigeninteressen. Es ist für mich tatsächlich immer das Ziel, meine Kolleginnen und Kollegen zu begeistern.
Sie engagieren sich schon lange sehr in der Arbeit „gegen Rechts“. Wurden Sie hier in den letzten Monaten oder anderthalb Jahren bestätigt?
Natürlich darf man nicht aufhören, sich da zu engagieren. Es fehlt für mich aber in der Politik grundsätzlich an Leadern, die menschlicher sind. Man will von den Politikern doch auch mal Sachen hören, die sich so anhören, wie ich es sagen würde. Es wird aber immer so gesprochen, dass es keine Sau versteht. Die Politik wirkt einfach so unmodern und nur deswegen haben so viele Pappnasen ja auch eine große Chance. Man muss aber auch sagen, dass man ja direkt einen reinbekommt, wenn man als Politiker was sagt.
Überlegt man sich da selbst dann auch mal, ob man sich öffentlich überhaupt noch äußert?
Ich finde, dass Musiker sich gar nicht so oft äußern müssen, denn wir sind selten eine gute Reklame für irgendwas. Musiker und Musikerinnen sind zum größten Teil Egoisten (lacht).
Zu ihrem 40. Geburtstag haben Sie gesagt, dass die nächsten zehn Jahre „cool werden“. Würden Sie das heute immer noch so sagen?
Eigentlich schon. Wenn es so weitergeht wie gerade, wäre das der Hammer. Es könnte aber noch geiler sein. Ich laufe als Musiker natürlich auch einen Marathon mit anderen, die gedopt sind – also im Hinblick auf das Kaufen von Klicks oder wirklich gedopt (lacht). Es ist ja mittlerweile schon so, dass ganze Abteilungen einen Hit schreiben. Da ist es schwer, mitzurennen. Es wird weiter Bewegung geben und Up and Downs.
„Könnt Ihr nicht auch mal einen Newcomer spielen?“
Mit „Willkommen zurück” sind Sie bereits zum 20. Mal in den Charts gelandet. Freut Sie diese Zahl oder macht es eher Angst, wie schnell die Zeit doch rennt?
Natürlich denke ich mir auch „Krass, wie schnell ging die Zeit um“. Auf der anderen Seite sage ich: Wenn die Charts anders aussehen würden, wäre ich ganz oben (lacht). Ich muss mir immer einen abbrechen, damit bei den Leuten was hängen bleibt, aber auch die Radiolandschaft bedient wird, das Ganze aber gleichzeitig auch noch Anspruch hat.
Was genau meinen Sie damit?
Naja, irgendwie wird ja immer das Gleiche gespielt. Songs, die eine Hookline haben und Themen ansprechen, kommen auch in die Charts. Wir haben so viele Musiker da draußen, die eine schwere Zeit hinter sich haben. Da frage ich mich einfach „Könnt ihr nicht auch mal einen Newcomer spielen oder die Leute vorstellen?“ Sich einfach mal etwas trauen, vor allem was die Öffentlich-Rechtlichen angeht. So wie es jetzt ist, ist es furchtbar.
Für 2022 ist Ihre große Tour zum Album geplant. Worauf freuen Sie sich beim Touralltag am meisten?
Genau das Wort fasst es gut zusammen. Einfach auf den Touralltag! Diese Shows sind was Besonderes. Der ganze Tag ist auf den Abend ausgelegt. Irgendwann ist 19 Uhr und du bist ready und automatisch fit. Aber auch die kleinen Sachen. Mit dem Busfahrer zu reden oder zu Kollegen zu sagen „Ich glaub, mein Fernseher hat einen Wackelkontakt, kannst du mal gucken“? (lacht). Ich finde das einfach geil. Wir haben Bock darauf, diese Reise zu machen.
>>> Clueso live: 1.2. Dortmund (Warsteiner Music Hall), 10.+11.2. Köln (Palladium, 11.2. bereits ausverkauft). Karten ca. 49 €.