Die Kinofilme „Bis wir tot sind oder frei“, „Bis wir tot sind oder frei“ und „Abteil Nr. 6“ erzählen einfühlsame, bewegende Geschichten.

Neu im Kino: Eine verhinderte Liebe, eine ungewollte Schwangerschaft und ein Trip durch Russlands Norden

„Bis wir tot sind oder frei“ mit Jella Haase und Marie Leuenberger

Zürich 1980: Studentenunruhen. Der flüchtige Kriminelle Walter Stürm lässt der Anwältin Barbara Hug eine Akte zukommen, die Hinweise auf Vorgänge wie Isolationshaft in Schweizer Gefängnissen enthält. Fortan kreuzen sich ihre Wege immer wieder. Stürm wird wegen seiner Ausbrüche aus Haftanstalten zur Ikone der politischen Linken; die seit ihrer Kindheit verkrüppelte und schwer nierenkranke Barbara Hug zur Vorkämpferin gegen unwürdige Haftmaßnahmen. Aber werden sie ein Paar?

Weitgehend auf reale Ereignisse zurückgreifend beschwört Regisseur Oliver Rihs eine „amour fou“, in der die Liebenden weder mit- noch ohne einander klarkommen. Was als Geschichte auf Dauer eher unbefriedigend ist. Stark ist die Besetzung mit Jella Haase (im abnutzungsgefährdeten Rollentypus der renitenten Göre ohne Verantwortungsgefühl) und Joel Basman, der sich hier als legitimer Erbe von Horst Buchholz etabliert. Die Sensation aber ist die sonst eher lieblich verhuschte Marie Leuenberger in einer burschikos schroffen und zugleich bestürzend verletzlichen Charakterrolle als Barbara Hug. Im besten Sinn ein echter Schauspielerfilm.

„Das Ereignis“

Es war nur eine Partynacht, die im Bett eines Kommilitonen endete. Aber jetzt ist Anne schwanger, als Frau ohne Ehemann gesellschaftlich geächtet, das Ende ihrer akademischen Laufbahn besiegelt. Eine Ehe mit dem Vater? Kein Thema. Anne will abtreiben, solange noch Zeit dafür ist. Dieser Akt aber ist im Frankreich der frühen 1960er-Jahre mit Gefängnis belegt.

Nach dem gleichnamigen autobiografischen Roman von Annie Ernaux inszenierte Audry Diwan ein zunehmend verzweifeltes Melodram um eine junge Frau vom Lande, die wegen einer Dummheit alles zu verlieren droht und deshalb zum Äußersten entschlossen ist, auch wenn schlimme Verletzungen damit einhergehen. Die nicht immer sattelfeste Regisseurin setzt ihr Publikum in den Abtreibungsszenen schweren Belastbarkeitsprüfungen aus, was in seiner Intensität dem Spiel der außerordentlich sinnlichen und ausdrucksstarken Hauptdarstellerin Anamaria Vartolomei zu danken ist. Die gebürtige Rumänin mit französischem Wohnsitz ist schon mit 22 eines der meistversprechenden Talente im europäischen Kino. Sie macht diesen Film fast im Alleingang zum Ereignis.

„Abteil Nr. 6“

Eine Finnin in Moskau – dazu kam es, weil Laura die russische Sprache erlernen und Archäologie studieren will. Die geplante Reise zu den Petroglyphen nördlich von Murmansk muss sie jedoch ohne ihre Freundin Irina antreten. Im Zugabteil trifft sie auf Ljoha, einen etwa gleichaltrigen Russen, der vor keiner Frau Respekt zu haben scheint und für jeden Unsinn zu begeistern ist. Man muss kein Hellseher sein, um zu erraten, dass diese so ungleichen Reisegefährten erst gar nicht und dann immer besser miteinander klarkommen werden.

In diesem nordischen Roadmovie kann sich Regisseur und Co-Autor Juho Kuosmanen unverstellt auf den Reiz der Situation und das Charisma seiner beiden Hauptdarsteller Seidi Haarla (unsicher, aber stur) und Juri Borisow (Russenpunk mit sanftem Kern) verlassen. Der hypnotische Fluss der Reise per Bahn und Auto im fremden Land ist eine Einladung zum Schauen in Gesichter als Spiegel der Gefühle. Am Ende steht ein befreites wie befreiendes Lachen.