Essen. Zum fünften Mal beim Klavierfestival Ruhr gefeiert: Ovationen im Stehen für Chilly Gonzales in der Essener Philharmonie.
Selten dürfte Chilly Gonzales seinen Hit „Music is back“ mit einer derartigen Inbrunst, mit fast wütendem Stolz gespielt haben wie am Donnerstagabend in der ausverkauften, wenn auch nicht vollbesetzten Essener Philharmonie, die ihn vor und nach der ersten wie auch der zweiten Zugabe mit Ovationen im Stehen und Jubel bedachte. Spätestens da war klar, warum Franz Xaver Ohnesorg als Intendant des Klavierfestivals Ruhr zu Beginn des zweieinviertelstündigen Abends versichert hatte, man „eigentlich kein Festival mehr ohne ihn veranstalten“. Zumal am Abend zuvor noch Alice Sara Ott ein Stück von Gonzales in ihrem Programm zelebriert hatte.
Gonzales wiederum spielte den Ball zurück und behauptete keck, in den zwei konzertlosen Pandemie-Jahren habe ihm eigentlich weniger das Geld oder der Beifall gefehlt, sondern „der Druck“, den ein klassisches Klavier-Publikum auf ihn ausübe. Dem Publikum hingegen mag der begnadeter Entertainer Gonzales mit der riesigen Klaviatur wegen seines schier unstillbaren Abwechslungsbedürfnisses gefehlt haben. Es macht jeden Konzertabend mit ihm wieder anders, lässt ihn voller Variationen in jeder Hinsicht sein – bis hin zum güldenen Muster der obligaten Morgenrock-Seide.
Chilly Gonzales mit neuen Stücken, Gedichten und über Stuhlreihen kletternd
Diesmal spielte er ausgiebig und halb ironisch mit Minimal-Music-Patterns, führte sein „Solo Piano“-Konzept zwischen Bach und Keith Jarrett spazieren, streute gekonnt Dis- und cis7-Harmonien in Boogie-Takte, ließ seine Finger auf den Tasten Fangen und Verstecken spielen und hatte neue Stücke (das blueslastige „Turtle Neck“ und den rockig umherbollernden „Grizzly Bob“) sowie vertonte Gedichte dabei, mal surreal, mal bizarr-kritisch wie in „Open the Kimono“. Dass er zum Zwecke der fortgesetzten Schnurrbartbewunderung über die Stuhlreihen der Philharmonie hinwegkletterte, wird den meisten ebenso in Erinnerung bleiben wie seine Versicherung, sich - wie er selbst - einen Schnörres stehen zu lassen, bringe zehn Prozent mehr Pornografie ins Leben.
Dagegen arbeitete Gonzales‘ Gast Malakoff Kowalski mit viel Besinnlichkeit und sorgte als Brahms unter den Jazz-Pianisten für ein meditativ-melancholisches Intermezzo von höchster Kontrastwirkung sorgte. Und mit seinem Freund Chilly am Ende eines klangbunten Abends als beseelten Rausschmeißer einen schönen Standard dahinhauchte.