Düsseldorf. Die Menschen ereifern sich im Netz über den Pulli von Olaf Scholz. Dabei wurden auch andere Politiker schon für ihren lockeren Stil belächelt.
Der Bundeskanzler trägt Pulli – und in den Sozialen Medien diskutieren die Menschen eifrig: Darf er das, sich auf dem Flug in die USA so leger vor den Journalisten zeigen? „Baumarkt-Look“ spotten die einen, andere wollen wissen, wo Olaf Scholz das gemütliche Teil denn her habe. Auch die Presse beschäftigt sich mit der Pullitik. Wie Äußerlichkeiten die Wirkung beeinflussen, das erforscht Ulrich Rosar, Soziologie-Professor an der Heinrich-Heine-Uni in Düsseldorf. Maren Schürmann sprach mit ihm über die Maschen der Macht.
Was haben Sie gedacht, als Sie die Fotos von Kanzler Scholz im grauen Pulli gesehen haben?
Ulrich Rosar Im ersten Moment dachte ich auch: ungewöhnlich. Es gibt zwei mögliche Deutungen: Es war ein langer Flug, es war relativ spät, und natürlich gilt auch für PolitikerInnen, wenn sie sich zurückziehen, dass sie sich legerere Kleidung anziehen. Olaf Scholz ist noch mal herausgekommen für ein Hintergrundgespräch mit der Presse und hatte vielleicht einfach keine Lust, sich umzuziehen. Es war ja kein hochoffizieller Termin.
Und die zweite Deutung?
Die andere ist, dass er ganz bewusst etwas kommunizieren wollte. Er gilt ja als eher steif und zurückhaltend, sehr hanseatisch. Das wollte er vielleicht ein Stück weit durchbrechen, indem er über seine Kleiderwahl signalisiert, dass er auch eine etwas lockere Seite hat. Die Frage ist, ob das angekommen ist. Es gab jede Menge Diskussionen im Netz, ob die repräsentativ sind, sei dahingestellt, aber da wurde er als Leiter einer Kaffeefahrt verrissen, der im Bus am Mikro steht. Wenn sich ein solches Bild durchsetzt, ist die Inszenierung nicht gelungen.
Zu welcher Deutung tendieren Sie?
Olaf Scholz ist ein Profi, ich kann nicht ausschließen, dass das den Umständen geschuldet war, aber es würde mich doch wundern, wenn nicht zumindest eine spontane Absicht dahintergesteckt hat.
Helmut Kohl und Gorbatschow trafen sich 1990 in Strickjacken – das war doch auch eine Inszenierung?
Ja, natürlich. Spitzenpolitikerinnen und -politiker versuchen, sich mit ihrer Kleiderwahl der Situation anzupassen und diesen Spagat zwischen der Förmlichkeit und der situativen Angemessenheit hinzubekommen. In den USA gibt es viele Beispiele dazu. Angela Merkel hat man jedoch außerhalb des Sports eigentlich nie ohne Hosenanzug gesehen. Das hat unser Bild von Kanzlerschaft 16 Jahre lang geprägt.
Dann trägt sie doch mal ein ausgeschnittenes Kleid in der Oper in Oslo – und die Häme ist groß.
Frauen in der Öffentlichkeit können es sowieso nie recht machen, insbesondere, wenn sie den Kontext des Auftritts wechseln. Wäre Angela Merkel in einem Kleid aufgetreten, das an einen Hosenanzug erinnert, hätte man ihr wahrscheinlich das unter die Nase gerieben. Man sollte allerdings solche Kleidungsfragen auch nicht zu stark gewichten. Wir leben in einer Aufregungsgesellschaft. Über manche Sachen, die heute groß und breit erörtert werden, wäre man früher schulterzuckend hinweggegangen.
Warum bekommt Kleidung nun so viel Aufmerksamkeit? Es gibt doch wichtigere Fragen. Scholz war auf dem Weg ins Weiße Haus, um über die Ukraine-Krise zu sprechen.
Es wurde schon immer über Kleidung gesprochen, es war halt vor den Sozialen Medien nicht so sichtbar. Aber der Hauptpunkt ist, dass Politik komplex ist und wir dazu neigen, uns auf Personen zu fokussieren, auf deren Eigenschaften, auch sachfremde. Als Normalbürger und -bürgerinnen können wir keine Lösungsstrategie für die Ukraine-Krise entwickeln. Aber wir trauen uns zu, einzuschätzen, ob das politische Personal dazu in der Lage ist. Dazu gehört nicht nur die Kompetenz in der Sache, sondern auch Verhandlungsgeschick, Überzeugungskraft. Aber das können wir den Menschen nicht ansehen, wir basteln uns daher kognitive Brücken und dazu gehört das Auftreten der Menschen. Jemand, der seriös auftritt, dem unterstellt man, dass er seriös ist.
Wie wichtig ist für den Erfolg in der Politik die Kleidungswahl?
Es lässt sich nicht quantifizieren, aber es ist wichtig, den Dresscode zu kennen. Es ist vielmehr eine notwendige Voraussetzung. Sie bekommen nicht unbedingt Pluspunkte, wenn sie sie erfüllen. Aber wenn sie sie nicht erfüllen und dabei der bewusste Stilbruch nicht gelingt, dann fällt ihnen das auf die Füße.
Als Joschka Fischer bei seiner Vereidigung zum ersten grünen Minister Turnschuhe getragen hat, war das ein Skandal. Heute tragen Geschäftsführer Turnschuhe, um fortschrittlich zu wirken.
Joschka Fischer war da ein Eisbrecher. Wobei er meiner Erinnerung nach keine neuen Schuhe getragen hat. Eine Führungskraft würde mit Sicherheit nur stylishe, teure Sneaker tragen. Fischer hat bewusst eine Gegeninszenierung geschaffen: Ich bin anders als das politische Establishment. Das war eher an die eigene Klientel gerichtet, die mit dieser Erwartung, damals zumindest, die Grünen gewählt hat. Die ersten grünen Bundestagsabgeordneten hatten ja Strickpullis an. Man kann allgemein beobachten, dass sich der Dresscode verändert. Früher war man locker, wenn man die Krawatte gelockert hat. Nun sieht man Spitzenpolitiker bei öffentlichen Auftritten auch ohne Krawatte.
Viele Grüne fallen auch heute noch auf: Anton Hofreiter trägt langes Haar, Agnieszka Brugger ein Piercing in der Lippe.
Aber die Grünen sind eben mittlerweile auch Anzugträger bzw. Kostümträgerinnen. Optisch gesehen sind sie nicht mehr die Grünen von 1983, die sich bewusst auch über Kleidung abgesetzt haben. Anfangs hatte das Piercing von Frau Brugger bestimmt einen rebellischen Touch. Inzwischen ist es ihr Markenzeichen, ein Ausdruck ihrer individuellen Persönlichkeit und es hat auch einen Wiedererkennungswert.
Wie der gelbe Pullunder von Genscher. Ist es gut fürs Image, solch ein Markenzeichen zu haben?
Es ist immer gut, wenn PolitikerInnen ein Alleinstellungsmerkmal haben. Wenn es akzeptiert wird und nicht dazu führt, dass man sich über sie lustig macht, dann verleiht es ihnen eine individuelle Note. Es signalisiert auch, dass sie ein normaler Mensch sind und nicht abgehoben.
Wird Scholz den Pulli einmotten?
Das wird davon abhängen, wie sich die Resonanz entwickelt, immer unterstellt, dass es eine absichtsvolle Inszenierung war. Wenn das Experiment scheitert, wird er weiter den klassischen, von ihm bekannten Dress tragen. Lockerheit wird er dann darüber signalisieren, dass er maximal die Krawatte abnimmt und den oberen Knopf öffnet.