Washington. Joe Biden hat Olaf Scholz am Montag im Weißen Haus empfangen. Über was der deutsche Bundeskanzler mit dem US-Präsidenten beraten hat.
Im Kamin knistert ein Feuer, die Flammen spiegeln sich in dem blanken Marmorboden. Es ist gemütlich warm im Oval Office. Links und rechts des Kamins sitzen Joe Biden und Olaf Scholz auf gepolsterten Stühlen, beide mit schwarzen FFP2-Masken über Mund und Nase. Der US-Präsident hat die Beine lässig übereinandergeschlagen, der deutsche Kanzler stützt sich mit dem linken Arm auf der Stuhllehne ab und hört dem US-Präsidenten mit übereinander gelegten Händen aufmerksam zu.
Biden will den Gast aus Deutschland offenbar so warm begrüßen, wie das Feuer in den berühmten Raum im West Wing des Weißen Hauses strahlt. Der US-Präsident liest von einem Blatt ab, da die Mimik der beiden Männer hinter den Masken verschwindet, wirkt die Situation aber eher steif als herzlich. „Ich bin erfreut, dass Kanzler Scholz heute hier ist“, sagt der US-Präsident und betont, dass es der erste Besuch des Kanzlers im Weißen Haus ist.
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Insofern sei dies eine gute Gelegenheit, sich noch besser kennenzulernen. „Um das Offensichtliche noch einmal zu sagen: Deutschland ist einer von Amerikas engsten Verbündeten“, versichert Biden. „Wir arbeiten an vielen Schritten, um russische Aggressionen weiter abzuschrecken.“ Biden zählt weitere gemeinsame Herausforderungen auf: China, die Corona-Pandemie, Klimawandel. „Wir haben viel zu besprechen, Herr Bundeskanzler.“ Er freue sich auf die enge Zusammenarbeit.
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Scholz nickt zufrieden, hinter seiner Maske scheint er leicht zu lächeln, an seinen Augenwinkeln bilden sich zumindest kleine Falten. Scholz bedankt sich für den Empfang und versichert ebenfalls: „Wir sind engste Verbündete.“ Der Kanzler betont die intensive Zusammenarbeit. Dies sei erforderlich, um gemeinsam die russische Aggression gegen die Ukraine einzudämmen. „Das ist ein wichtiges Treffen zu einer wichtigen Zeit.“
Mit einem kurzen „Danke an alle“, gibt Biden das Zeichen, die Reporter nach den knappen Äußerungen aus dem Raum zu führen. „Mr. Präsident, tut Deutschland genug gegen Russlands Aggression?“, ruft eine US-Journalistin mehrfach. Doch mit einem energischen „Danke, Leute, let’s go, raus hier“, befördern die Presseleute des Weißen Hauses die Reporter aus dem Raum. Die Beratungen hinter geschlossenen Türen beginnen. Erst beraten Biden und Scholz unter vier Augen, dann im Kreis ihrer engsten Berater. Lesen Sie auch: Ukraine: Welche Waffe Russland am meisten fürchtet
Tut Deutschland genug? Das ist die große Frage, der sich Scholz in Washington stellen muss. Zwei Monate nach seinem Amtsantritt ist der Bundeskanzler in die US-Hauptstadt gekommen, um Zweifel an der Verlässlichkeit Deutschlands in dem Konflikt mit Russland auszuräumen. Der Kurztrip nach Washington ist weit mehr als ein normaler Antrittsbesuch: Scholz ist auf der Mission Schulterschluss in Washington.
Angesichts von rund 100.000 russischen Soldaten an der Grenze zur Ukraine und einem drohenden Krieg in Europa treten die Deutschen so manchem in Washington zu hasenfüßig auf. Besonders die Weigerung der Bunderegierung, die Ukraine angesichts der russischen Drohkulissen mit Waffen zu versorgen, stößt auf Unverständnis. Die Lage sei so „einzigartig“, dass „Deutschland seine Haltung überdenken sollte“, fordert etwa der republikanische Senator Jim Risch.
Parteiübergreifend wird in den USA zudem der Schlingerkurs Deutschlands zu der Ostseepipeline Nord Stream 2 kritisiert. Zufrieden wird jedoch wahrgenommen, dass die Bundesregierung die umstrittene Gasröhre inzwischen ausdrücklich nicht mehr von Sanktionen ausschließt, sollte der russische Staatschef Wladimir Putin die Ukraine angreifen. „Alles liegt auf dem Tisch“, lautet die Sprachregelung der Bundesregierung, die Scholz in Washington wiederholt. Doch reicht das Biden?
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Scholz ist voll von seiner Linie überzeugt. Auf dem zehnstündigen Flug in einem Airbus A340 der Luftwaffe von Berlin nach Washington kommt er aus der Kanzlerkabine zu den mitreisenden Journalisten, um in einem vertraulichen Hintergrundgespräch lange seine Sicht der Lage zu erläutern. Scholz macht einen selbstbewussten Eindruck vor der bisher schwersten Auslandsreise seiner noch jungen Amtszeit. Der Kanzler ist locker, er trägt einen gemütlich sitzenden grauen Pullover statt Hemd oder sogar Sakko.
Bilder von dem Reiseoutfit des Kanzlers werden in Deutschland engagiert im Netz diskutiert. Fast könnte man meinen, wenigstens geht es diesmal nur um den Pullover des Kanzlers. Zuletzt war Scholz vorgeworfen worden, inmitten der größten Bedrohung für den Frieden in Europa seit Jahren abgetaucht zu sein. Partner-Staaten nahmen die Haltung der Bundesregierung als wankelmütig gegenüber Russland wahr. Im Kanzleramt wird dieser öffentlichen Darstellung widersprochen. Scholz sei hinter den Kulissen intensiv in die internationalen Bemühungen für eine friedliche Lösung des Konflikts mit Russland eingebunden gewesen sei, heißt es.
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Bei der gemeinsamen Pressekonferenz nach dem Treffen bekommt Biden erneut die Frage nach dem deutschen Engagement in dem Konflikt mit Russland gestellt. Ob er von dem Kanzler die Versicherung bekommen habe, dass Deutschland dem Projekt Nord Stream 2 den Stecker ziehe, wenn Russland die Ukraine angreife, wird Biden gefragt. Wenn Russland mit Panzern oder Soldaten in die Ukraine einmarschiere, „dann wird es kein Nord Stream 2 mehr geben“, antwortet Biden entschieden und unmissverständlich.
Scholz ergreift das Wort auf Englisch, spricht von harten und gemeinsamen Sanktionen gegen Russland in dem Fall eines Angriffs. Er will in der US-Öffentlichkeit gehört und verstanden werden. „Wir werden dieselben Schritte ergreifen“, verspricht Scholz, allerdings wieder einmal ohne die Pipeline explizit zu nennen. Biden und Scholz wirken jetzt lockerer als zuvor bei der Begrüßung im Oval Office. Sie haben die Masken abgenommen, lächeln, wenden sich einander zu. Biden nennt den Kanzler Olaf, Scholz duzt den US-Präsidenten.
Ob der Kanzler Vertrauen in Deutschlands Verlässlichkeit zurückgewinnen müsse, wird Biden gefragt. „Er hat unser volles Vertrauen“, sagt der US-Präsident. „Es gibt keinen Zweifel an Deutschlands Partnerschaft.“ Biden lobt ausdrücklich den finanziellen Einsatz Deutschlands für die Ukraine in den vergangenen Jahren und will auch in der Frage der Waffenlieferungen keinen Riss im deutsch-amerikanischen Verhältnis erkennen lassen. „Deutschland und die Vereinigten Staaten sind enge Freunde und verlässliche Partner“, sagt Biden. „Wir können aufeinander zählen.“
Bei allen Irritationen über die deutsche Haltung zu Nord Stream 2 haben Biden und sein Team kein Interesse daran, auf der Weltbühne für Putin ein Stück über die Zerstrittenheit der Nato-Partner aufzuführen. Sie wollen gegenüber dem Machthaber im Kreml mit einer Stimme sprechen. Auch für die US-Regierung hat sich bei dem Besuch des deutschen Kanzlers der Mission Schulterschluss verschrieben. Auch interessant: Wie sich Ukrainer auf eine mögliche Invasion vorbereiten