Essen. 50 (!) Jahre nach ihrem Plattendebüt legen die Scorpions ihr 19. Studioalbum ‘Rock Believer’ vor. Am 19. Juni live in Dortmund.

Neben Rammstein sind sie Deutschlands Rockexport Nummer eins. „Rock Believer“ heißt das neue Werk von Klaus Meine, Rudolf Schenker & Co. Mit dem Album im Gepäck gehen die Scorpions auf Welttournee, die sie auch ins Ruhrgebiet führt: Am 19. Juni spielen sie in der Dortmunder Westfalenhalle. Frank Grieger sprach im Video-Interview mit den Hannoveranern über Rock in Zeiten von Corona, die besonderen Fans im Ruhrpott und, ja, auch das Älterwerden.

Als ich euer neues Album gehört habe, dachte ich: Hätte ich’s nicht gewusst – nie und nimmer wäre ich auf das Entstehungsjahr gekommen. Es könnte aus den 1970ern stammen, aus den 80ern, oder eben von 2022. Das ist klassischer Scorpions-Stoff: Zeitlos, erdig, mit Schweiß und Pathos. War das so gewollt?

Klaus Meine: Ein guter Freund und Metalfan aus alten Zeiten hat uns das sozusagen als Herausforderung in den Kopf gesetzt: Leute, ihr müsst mal wieder so ’n geiles Album machen wie „Blackout“. Okay, das ist 40 Jahre her. Aber wir haben uns damit auseinandergesetzt. Das wurde dann unser Plan: Herz, Seele und Attitude einzubringen. Der Kompass war: Wir machen ein Album mit Spaß, das einfach losrockt.

Der Sound ist sehr direkt und ungeschliffen. Klingt fast wie: Die ganze Band live in einem Raum, und dann einfach mitschneiden?

Matthias Jabs: Schon richtig, ja. Die Basic Tracks haben wir alle gemeinsam eingespielt: Da merkt man sofort, wo es noch hakt, was schon gut ist, wie es zusammen klingt… Natürlich gab es dann später noch Overdubs. Aber im Kern ging es um diesen Grundcharakter.

Ihr seid vor etwa zwei Jahren auf Tour in Südostasien von Corona überrascht worden und habt noch mit knapper Not dem Absprung nach Hause geschafft. Danach war Lockdown, da ging wenig bis nix mehr. Wie seid ihr durch die Coronazeit gekommen? Oder anders gefragt: Ist das Album sogar ein Resultat der Pandemie?

Klaus Meine: Nein, das nicht. Wir hatten das letzte Konzert im März 2020 in Singapur gespielt, danach ging Corona los. Zu dem Zeitpunkt hatten wir aber schon 20, 30 Songs für die Preproduction des Albums vorbereitet. Geplant war, für die eigentliche Produktion nach Los Angeles und danach zu unseren Konzerten zwei Monate lang nach Las Vegas zu gehen, aber wir saßen nun ja in Deutschland fest. Es wurde schnell klar, dass wir mit unserem amerikanischen Producer nicht allein mit täglichen Zoom-Konferenzen arbeiten können. Und da haben wir beschlossen, das Album selbst zu produzieren und nicht auf das Ende der Reisebeschränkungen zu warten. Das war gut, um die Essenz herauszuarbeiten. Wir waren in unserer eigenen Blase, haben die Tür zugemacht und die Pandemie draußen gelassen. Musik ist ja auch Seelenfutter. Deshalb haben wir das Thema weitgehend außen vor gelassen, um die dunkle Realität gerade in den letzten zwei Jahren auszublenden.

Classic Rocker vor klassischer Architektur: Die Scorpions mit (v.l.) Rudolf Schenker, Pawel Maciwoda, Klaus Meine, Mikkey Dee und Matthis Jabs.
Classic Rocker vor klassischer Architektur: Die Scorpions mit (v.l.) Rudolf Schenker, Pawel Maciwoda, Klaus Meine, Mikkey Dee und Matthis Jabs. © art photographyQ | Marc Theis

In der Single „Peacemaker“ heißt es übersetzt: „Friedensstifter, Friedensstifter – begrabt den Undertaker.“ Also den Bestatter. Können Sie das mal einordnen?

Klaus Meine: Im übertragenen Sinne hat das schon ein bisschen mit Corona zu tun. Der Undertaker machte Überstunden in dieser Zeit. Das Wortspiel hat mich gereizt: mit dem Peacemaker, der für eine friedliche Zukunft nach Covid19 steht, und dem Undertaker, der Tod und Dunkelheit verkörpert.

Nun war der „Peacemaker“ im Wilden Westen ja auch eine Waffe, ein Trommelrevolver. Das hatten Sie aber nicht im Sinn?

Klaus Meine: (lacht) Absolut nicht. Der Peacemaker ist der Friedensfürst. Wer ist der Peacemaker? Am liebsten jeder von uns. Indem er allen, die er trifft, mit Liebe und Respekt begegnet. Nur gemeinsam können wir den Problemen unserer Zeit begegnen. Wir müssen zusammenhalten. Die Musik ist in dem großen Puzzle ein kleiner Teil davon.

Euer erstes Album kam vor ziemlich genau 50 Jahren raus. 50 Jahre! Da war der Vietnamkrieg in vollem Gange. Willy Brandt war Bundeskanzler, Richard Nixon US-Präsident und das World Wide Web noch fast 20 Jahre lang Science Fiction…

Rudolf Schenker: Totaler Wahnsinn, ja. Die Schnelligkeit, mit der sich die Dinge seitdem gesellschaftlich entwickeln, ist gar nicht mehr nachvollziehbar. Musik hatte einen besonderen Charakter damals, einen sehr politischen. Viele junge Menschen waren über ihre Eltern noch vom Zweiten Weltkrieg geprägt. Die haben gesagt: Wir wollen keinen Krieg! Wir wollen unsere Jugend genießen. Und wir sehen keinen Sinn in einem sinnlosen Gemetzel in Vietnam. Da hat Musik eine wesentliche Rolle gespielt, noch mehr als heute.

Man spricht ja eigentlich nicht übers Alter, aber: Klaus und Rudolf sind 73, Matthias 66. Wie haltet ihr euch fit, um bei den aufwändigen Bühnenshows noch genug Benzin im Tank zu haben, um auf den Album-Opener „Gas In The Tank“ anzuspielen?

Klaus Meine: Na ja, wir gucken uns gegenseitig beim Älterwerden zu. (lacht) Wir haben das Glück, vor drei Generationen spielen zu dürfen. Live zu spielen ist ungeheuer motivierend. Manche fragen uns: Warum tut ihr euch das immer noch an? Die Antwort ist: Wir geben viel Energie, wenn wir auf der Bühne stehen oder ein Album einspielen, aber wir kriegen unendlich viel zurück. Das hält uns jung im Herzen. Na ja, und hin und wieder macht man ein bisschen Muskelaufbau.

Anders als die schnelllebige Popszene ist der Rock erstaunlich konstant. Viele Künstler, gerade in Deutschland, sind seit Jahrzehnten am Start. Neben euch Udo Lindenberg oder Peter Maffay, auch Westernhagen, die Hosen und die Ärzte. Eigentlich erstaunlich, oder?

Rudolf Schenker: Wenn ein Künstler lange dabei ist, wenn er sich gut, stark und kreativ fühlt, wenn er die Fanbase hat – dann ist er auch in der Lage, immer wieder eins draufzulegen. Guck dir die Stones an. Die haben ein Versprechen gegeben: Wir gehen noch mal raus. Nicht mal der Tod von Charlie Watts konnte sie davon abhalten. Weil da draußen so viele sind, die viel dafür geben, sie noch einmal zu sehen. Aber die Touren sind nicht nur kräftezehrend, man zieht auch so viel Energie daraus. Das ist unser Lebenselixier. Solange wir können, machen wir weiter. Die Straße ist nicht mehr endlos lang, das wissen wir allerdings.

Unsere Zeitung hat kürzlich eine Karikatur zur SPD-Russlandpolitik veröffentlicht. Da sitzt die Parteispitze zusammen und sinniert: Wir sollten vielleicht die Scorpions bitten, mit „Wind Of Change“ wieder nach Moskau zu fahren.“ In dem Spott liegt ein Körnchen Wahrheit, oder?

Rudolf Schenker: Es ist immer unsere Philosophie gewesen, Brücken zu bauen. Zwischen Ländern, Kontinenten, Sprachen und Ansichten. Das hätte uns keiner zugetraut. Aber wir haben es durchgezogen. Ich habe kürzlich ein Interview mit Metallica gesehen. Frage: In wie vielen Ländern habt ihr gespielt? Da sagte Kirk Hammett: Auf jeden Fall in weniger als die Scorpions. Wir haben uns immer erst hingetraut, wenn die Scorpions schon da waren. (alle lachen) Wir haben in über 80 Ländern gespielt. Wir haben einen riesigen Kreis von Rockbelievern rund um den Globus.

Klaus Meine: Egal in welchem Land du spielst, du musst die Menschen immer mit Respekt behandeln. Das ist der Schlüssel. Deswegen spielen wir nicht nur in Europa und Amerika, sondern auch in Russland und der Ukraine, nicht nur im Libanon, sondern auch in Israel.

Klaus, Sie sind mit Michail Gorbatschow befreundet, der bald 91 Jahre alt wird. Haben Sie noch Kontakt zu ihm?

Klaus Meine: Freundschaft ist ein großes Wort. Wir kennen uns seit 1991, als er uns in den Kreml eingeladen hatte. Es gab viele weitere Begegnungen. Ich habe ihn 1999 in Moskau anlässlich des 30. Jahrestages des Mauerfalls getroffen und zu unserem Konzert eingeladen, aber leider war er gesundheitlich angeschlagen. Dennoch war es ein großartiger Moment, ihn zu erleben, noch dazu mit Lech Walesa.

Vor 50 Jahren, im Februar 1972, erschien mit „Lonesome Crow“ das erste Scorpions-Album, da waren Klaus Meine (M.) und Rudolf Schenker (l.) schon am Start. 1979 ersetzte Matthias Jabs (r.), der sich gegen 140 Bewerber durchsetzte, Michael Schenker an der Gitarre. Pawel Maciwoda (2.v.r.) kam 2003 dazu, Drummer Mikkey Dee (2.v.l.) 2016.
Vor 50 Jahren, im Februar 1972, erschien mit „Lonesome Crow“ das erste Scorpions-Album, da waren Klaus Meine (M.) und Rudolf Schenker (l.) schon am Start. 1979 ersetzte Matthias Jabs (r.), der sich gegen 140 Bewerber durchsetzte, Michael Schenker an der Gitarre. Pawel Maciwoda (2.v.r.) kam 2003 dazu, Drummer Mikkey Dee (2.v.l.) 2016. © art photographyQ | Marc Theis

„Wind Of Change“ ist ein Jahrhunderthit. Die Scorpions sind neben Rammstein der wohl größte deutsche Rockexport aller Zeiten. 120 Millionen Tonträger verkauft. Mehr als 5000 Konzerte in aller Welt. Trotzdem kennt man von euch keine Allüren, keine Skandale, keine Großmannssucht. Ihr wohnt nicht in Vegas oder auf den Caymans, sondern seid noch immer die netten Jungs aus Hannover. Erklärungen?

Rudolf Schenker: Viele Bands werden über Manager aufgebaut und schnell groß, auf einmal springen die Egos zickzack. Bei uns ging das von der Pike auf. Das war wie eine Lehre. Und da haben wir festgestellt, worauf es ankommt. Wir mussten die deutschen Grenzen sprengen. Auf den langen Fahrten mit unserem damaligen steinalten Bus haben wir endlos diskutiert, was wir machen wollen. Das war ein großer Vorteil, auch weil alle an einem Strang gezogen haben und auf dem Boden geblieben sind.

Klaus Meine: Wir sind im Nachkriegsdeutschland aufgewachsen. Alles, was aus England und den USA kam, hat uns inspiriert. Englischsprachige Rockmusik war die Stimme der Freiheit. Wir sind dann immer wieder weggegangen, aber auch zurückgekommen. Hannover war unsere Homebase. Dort konnten wir uns immer wieder erden, auch wenn wir vorher ausverkaufte Konzerte im Madison Square Garden gespielt hatten.

Sie sprechen von englischen Texten. Ich musste lange suchen, um mal einen deutschsprachigen Song von den Scorpions zu entdecken: „Fuchs geh voran“, 1975 als Cover von „Fox On The Run“ der Teenieband The Sweet eingespielt. Warum habt ihr nie deutsch gesungen?

Klaus Meine: In unserer Generation haben lange Zeit alle englisch gesungen. Es hat ja viele, viele Jahre gedauert, bis Deutsch als Rocksprache cool wurde. Dass eine Band wie Rammstein mit deutschen Texten erfolgreich wurde, hängt auch damit zusammen, dass die Scorpions die Tür aufgemacht haben. Wir wurden Teil der internationalen Rockfamilie, haben uns gemessen mit Van Halen, Aerosmith, AC/DC und so weiter, und das ging nur auf Englisch. Bei uns allerdings mit einer einzigen Ausnahme. „Fuchs geh voran“ war das erste, was wir mit unserem dann langjährigen Produzenten Dieter Dierks gemacht haben. Wo immer der Text herkam: Von uns kam er nicht. (lacht) Das war wie ein Test. Da sind diese jungen Burschen aus Hannover, mal gucken, was die draufhaben.

Ihr spielt im Rahmen eurer Welttournee auch in Dortmund, im Juni. Was verbindet ihr mit dem Ruhrgebiet?

Klaus Meine: Da gibt es Super-Rockfans. Wir haben so oft in der Westfalenhalle gespielt. Das ist eine der Arenen in Europa, die ganz besondere Vibes haben. Großartig für Rockbands. Die wunderbaren Schwingungen in dieser Halle, und die Energie, die da von den Fans rüberkommt: Da ist ganz viel Herz dabei.

Ihr seid auch mal in Gelsenkirchen aufgetreten, im Amphitheater am Rhein-Herne-Kanal…

Klaus Meine: Stimmt! Obwohl wir eigentlich lieber in der Schalke-Area gespielt hätten. (lacht)

Na dann Hand aufs Herz: Schalke oder Dortmund?

Matthias Jabs: Hannover 96!

Klaus Meine: Zum Niveau von Schalke oder dem BVB fehlt aber noch ein bisschen.

Na ja, Schalke spielt ja momentan wie 96 in der Zweiten Liga.

Klaus Meine: Stimmt, da ist noch Hoffnung. Wir arbeiten dran!

50 Jahre nach dem Platten-Debüt: Neues Scorpions-Album „Rock Believer“

Das Cover zum neuen Scorpions-Album „Rock Believer“
Das Cover zum neuen Scorpions-Album „Rock Believer“ © Unbekannt | Universal

Am 9. Februar 1972 erschien mit „Lonesome Crow“ das erste Scorpions-Album. Fast genau 50 Jahre danach legen die Hannoveraner am 25. Februar mit „Rock Believer“ ihr 19. Studiowerk vor. Auf den Standardversionen (LP und CD) sind elf Tracks zu hören, darunter die vorab ausgekoppelten Singles „Peacemaker“ und „Shining Of Our Soul“. Erhältlich sind auch Deluxe-Versionen mit 16 Titeln sowie diverse Bundles u.a. mit T-Shirts, Gitarrenplektren und Drumsticks (siehe auch the-scorpions.com).

Am 19. Juni live in Dortmund

Die „Rock Believer“-Tour führt die Scorpions im März und April zunächst ins Planet Hollywood Resorts & Casino in Las Vegas. Danach beginnt die Europatournee. Im Juni machen die Hannoveraner in Stuttgart, München, Frankfurt, Berlin und Hannover Station, ehe sie am Sonntag, 19. Juni, um 20 Uhr in der Dortmunder Westfalenhalle gastieren (mehr Infos hier). Tickets kosten ca. 70 bis 100 € plus Gebühr.

Mehr Infos hier.