Dortmund. 28 Karikaturisten versammelt eine brisante Ausstellung in Dortmund: „Der totgeglaubte Krieg“ gilt allein Putins Angriff auf die Ukraine.
Sie haben schnell reagiert in Dortmunds kleinem städtischen Museum mit dem Namen „Schauraum comic+cartoon“, und das weltumspannend. 28 Länder haben geschickt, 58 Karikaturen sind zu sehen. Ihr Thema eint sie nicht zuletzt in der titelgebenden Bestürzung, dass „Der totgeglaubte Krieg“ als grässlich lebendiger Leichnam auferstanden ist.
So spiegeln Zeichnerinnen und Zeichner – etwa aus Tansania und den Arabischen Emiraten, aus Ungarn und Belgien, aus dem Iran und Israel – nicht zuletzt das erschütterte Staunen der Welt, wie es so weit hat kommen können, dass Russland einen Krieg anzettelt, der von globaler Reichweite ist.
Dortmund zeigt mit „Der totgeglaubte Krieg“ eine Schau zu Russlands Angriff auf die Ukraine
Schnell sieht man allerdings, dass die Dimension und der Abgrund des Schreckens in diesem Fall einen typischen Wesenszug der Karikatur nahezu ausgelöscht haben: Das, was die Engländer „the shiver under the laughter“ nennen (also den Schauer des Betrachters nach dem ersten Moment der Amüsiertheit), fehlt den vielen, sehr starken Beiträgen weitgehend. Sie trauern, sie klagen an, sie schreien wortlos auf.
Und sie variieren auf ihre Weise vielfach den Wahrnehmungsverlust des russischen Präsidenten. Da sitzt beim deutschen Zeichner Agostinos Tale an jenem pompösen Tisch, an dem so viele Politiker in den letzten Wochen ihn haben umstimmen wollen, Putins liebster Gast: sein Spiegelbild. Der Präsident selbst hat den Weg dorthin allerdings nicht ohne Makel geschafft, auf dem schönen Kreml-Teppich: blutige Fußspuren. Anderen ist Putin ein tragisches Monster namens „Vladzilla“; Jean Gouders lässt es durch verbrannte Ruinen tapsen, ein alles zerstörendes Wesen ohne Sinn und Verstand. Dazu passt des Ukrainers Oleksiy Kustovskys „Zombieland“. Das „Z“ der Russen schreibt er der von Propaganda erblindeten Masse auf die Stirn.
Pietà und Stillleben: 58 Karikaturen aus 28 Ländern im Schauraum „Comic+cartoon“
Mancher greift nach den Metaphern abendländischer Kulturgeschichte. Der Italiener Pietro Lombardi entwirft eine finstere Pietà und zeigt den gierig säugenden Baby-Putin an der skelettierten Brust von „Mother War“ (Mutter Krieg). Der Russe (!) Igor Smirnov lässt uns erst im zweiten Blick den Bruch mit der Schönheit eines barocken Stilllebens entdecken: Geschält ist die altmeisterlich gemalte Zitrone eine todbringende Handgranate. Und der Deutsche Guido Kühn zeichnet Putin, der sich so gern oberkörperfrei zu Pferde inszeniert, als hinter seinen Idolen hertrabenden Neuzugang der apokalyptischen Reiter.
Alte, der politischen Karikatur Europas vertraute Symbole und Chiffren, kann auch „Der totgeglaubte Krieg“ nicht verdrängen. Zigmal entwirft die Dortmunder Schau das Bild des Zaren. Dass er Kaisers neue Kleider trägt und ein halbnackt-primitiver, auf Gebeinen stehender Kriegstreiber ist, enthüllt Markus Grolik. Marian Kamensky zeigt Putin im Panzer: Triumph auf dem Kartenhaus. Das alte Motiv „David gegen Goliath“ spinnt der Australier „Broelman“ tierisch weiter – ein fetter Bär unterschätzt die Wehrhaftigkeit der blau-gelben Bienen beim Griff in den Honigtopf.
Fake News heißt die Waffe: Atomkoffer mit Facebook, Twitter, Instagram
Am stärksten, das Nachrichtliche überdauernde, sind am Ende vielleicht doch die abstrakten Beiträge zum Thema. Die drei Knöpfe des Atomkoffers heißen bei Miguel Morales Facebook, Twitter und Instagram (Passwort „Fake News“). Apropos Errungenschaften: Die intelligenten Waffen unserer Tage schultert bei George Riemann ein Neanderthaler. Mancher Verstand ist einfach nicht mitgewachsen.
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DIE AUSSTELLUNG KOMMT GRATIS INS HAUS
Ausnahmsweise spricht unsere Kulturredaktion keine Empfehlung aus, eigens nach Dortmund zu reisen. Denn bis zum Ende der Schau am 30. Juni ist „Der totgeglaubte Krieg“ für Computerbesitzer Tag und Nacht gratis zugänglich. Über https://bit.ly/39CN2pu. werden die 58 Karikaturen im Stil einer 15-minütigen Dia-Show gezeigt. Vielleicht ist das sogar die angenehmere Art der Betrachtung. Denn auch im „Schauraum comic+cartoon“ (Max-von-der-Grün-Platz 7) sind die Zeichnungen auch nur auf einem Bildschirm zu sehen, von draußen – und teils blendet dort die Sonne.