Duisburg.. Unsere neue Serie zeigt extreme Jobs: Die Männer im Hochofenbetrieb von Thyssen-Krupp in Duisburg-Hamborn arbeiten neben einem glühenden Eisenstrom.
Wie ein orange-glühender Lavastrom fließt das Roheisen durch eine Rinne. Funken sprühen, als ob jemand dutzende Silvesterknaller entzündet hätte. Hier braucht einem keiner zu sagen, dass man Abstand halten soll. Das befiehlt einem schon der Überlebenswillen. Den scheint der Mann jedoch zu überhören, der mit seinem silberglänzenden Mantel aussieht, als käme er gerade vom Mond. Mit gezielten Schritten nähert er sich der Lava, steht nun keinen Meter von ihr entfernt. Dann sticht er mit einer Lanze in den heißen Strom, um mit diesem speziellen Thermometer die Temperatur zu messen: 1500 Grad Celsius.
Wer direkt vor dem flüssigen Roheisen steht, spürt die brennende Hitze im Gesicht. „Wie im Solarium“, zieht Ergjan Gashi einen Vergleich – und untertreibt damit stark. Schließlich trägt er ein schützendes Gitter vor dem Gesicht, das die Hitze abhält. Und trotzdem: „Man sieht es am Abend im Spiegel, da ist die Haut rot.“ Entspannen wie auf der Sonnenbank darf er sich bei der Arbeit am Hochofen 8 in Duisburg-Hamborn niemals. „Es ist gefährlich!“, betont der 22-Jährige, der kurz vor dem Ende seiner dreieinhalbjährigen Ausbildung zum Verfahrensmechaniker steht und derzeit die Station des Schmelzers bei Thyssen-Krupp durchläuft. „Man darf den Respekt vor der Arbeit nicht verlieren.“ Manche Aufgaben lässt er sich sehr genau durch den Kopf gehen, bevor er sie tut. „Damit mir nichts passiert.“
„Wir haben Unfälle“, sagt Betriebsleiter Sören Ellerik (23). Aber die Firma sorge vor. „Meist sind es Kleinstverletzungen, weil jemand ausrutscht. Ich weiß nicht, wie oft ich in meinem Leben schon gestolpert bin, aber vor dem Ofen noch nie.“
Ergjan Gashi nähert sich wieder dem „Lavastrom“. Dieses Mal hält er einen Löffel in der Hand – so groß, dass ein Riese damit seinen Kaffee umrühren könnte. Gashi nimmt eine Probe des Roheisens, füllt sie in einen Behälter, um sie abkühlen zu lassen. Im Labor wird die Qualität überprüft, der Gehalt von Kohlenstoff oder Silicium. Ist die Probe abgekühlt, kann Gashi sie gegen einen festen Gegenstand schlagen – und sie zerspringt. Denn das, was hier produziert wird, ist kein Stahl. Noch nicht. Es ist Roheisen, das zunächst von der Schlacke getrennt und dann 24 Stunden am Tag abwechselnd über zwei Luken in die Torpedopfannen gefüllt wird: „Zigarren“ nennen sie auch diese Waggons, die das flüssige Roheisen auf Schienen über das stadtgroße Gelände ins Stahlwerk bringen, wo der Stahl nach rund 2000 Rezepten gekocht wird. Denn für ein Auto braucht man eine andere Sorte als für einen Kochtopf.
Der „Lavastrom“ fließt in die Abstichhalle
Doch zurück auf Anfang: Für das Roheisen braucht man Eisenerz, das zum Beispiel aus Brasilien über Rotterdam und den Rhein nach Duisburg-Schwelgern gebracht und dort aufbereitet wird, erklärt Vorarbeiter Holger Reupke (50). Koks und weitere Zusätze, wie etwa Kalkstein, werden hinzugefügt und schließlich – verkürzt erklärt – in einen Hochofen gefüllt, wo das Gemisch mit Heißluft erhitzt wird. Unten sammelt sich das flüssige Roheisen. Eine Art Bohrer öffnet den Hochofen und lässt den „Lavastrom“ in die Abstichhalle fließen – Gashis Arbeitsplatz, beim größten Stahlerzeuger Europas.
Mit einem Abbauhammer entfernen seine Kollegen verspritztes Eisen von den Maschinen. Besonders das Abstichloch, aus dem das Eisen läuft, muss sauber sein. „Damit die Stopfmaschine passgenau sitzt“, erklärt Reupke. Der Boden vibriert. Wie von Geisterhand fährt die besagte Stopfmaschine auf das Loch zu, um es mit feuerfestem Material zu verschließen. Der Abstich ist beendet. Aber nur für kurze Zeit. Alle zwei Stunden wiederholt sich das funkensprühende Spektakel, um täglich an allen Hochöfen in Duisburg zusammen so viel Roheisen zu produzieren, dass man daraus Stahl für mehr als vier Eiffeltürme machen könnte.
Gegen die Hitze helfen nur mehrere Liter Wasser am Tag. Im Sommer lutschen die Hochöfner, die sich selbst wie schon ihre Väter „Hüttenknechte“ nennen: Wassereis. Mehr Kühlung brauchte Gashi bisher noch nicht. Denn bis auf kleine Brandblasen ist ihm nichts passiert bei seiner extremen Arbeit. Aber er ist auch von oben bis unten geschützt: Er trägt ein Sieb vor dem Gesicht und feuerfeste Schmelzerstiefel an den Füßen, Schutzbrille und Gamaschen, Schmelzerhandschuhe und -mantel. Gashi: „Wenn man keinen Mantel an hätte, wäre die Haut schnell ab.“