Frankfurt/M. Egoismus als Tugend? “Quatsch!“ Ulrich Wickert spricht im Interview darüber, warum Werte auch in der Welt des Geldes gelten sollten. Und kritisiert nicht nur die Gier der Männer ...

Wenn der Ehrliche der Dumme ist, dann muss man Gauner eben Gauner nennen. Der frühere Tagesthemen-Moderator Ulrich Wickert hält der Gesellschaft unermüdlich den moralischen Spiegel vor. In der Stadt der Banken und der Bücher redete er mit Britta Heidemann darüber, warum Werte auch in der Welt des Geldes gelten sollten.

Herr Wickert, müssen Unternehmen heute nicht egoistisch handeln, um zu überleben?

Das behaupten viele Ökonomen, aber das sind durch nichts belegte Aussagen. In der Gesellschaft gelten Werte, ethische Regeln – die gelten für die gesamte Gesellschaft. Auch für die Wirtschaft! Wir können nicht hier den Egoismus zur Tugend ernennen, das ist Quatsch. Wir müssen dafür sorgen, dass auch in der Wirtschaft Gerechtigkeit und Solidarität herrschen. 

Warum sollte ein Unternehmer sozial handeln?

Wirtschaft und Ethik gehören zusammen. Die Freiheit hat ihre Beschränktheit in der Verantwortung. Das bedeutet: Ich werde für mein Handeln zur Rechenschaft gezogen.

Sie schreiben, Finanzhaie seien vor allem Männer gewesen, die mit dem Profit auch ihre Erotik maximieren wollten. Aber Frauen spielen ja mit, wenn sie auf die Statussymbole hereinfallen…

Ja – auf diese beknackten teuren Handtaschen zum Beispiel, die die Männer ihnen schenken, ganz furchtbar!

Die Gier wird aber zum systemischen Problem, oder?

In den vergangenen zwanzig Jahren galt die Maxime, dass die Wirtschaft alles darf. Dass Manager am Gewinn beteiligt werden, hat zu unglaublichen Betrügereien geführt. Ich bin ein großer Anhänger der Steuerideen des Herrn Kirchhoff: alle Subventionen weg! Sie dienen nur den Lobbyisten und ihrer Kundschaft.

Was können wir tun?

Es gibt drei Punkte, die mir wichtig sind: Erziehung, Moral und Gesellschaft. Es muss ein Pflichtfach Ethik an allen Wirtschaftsfakultäten geben. Wir müssen dafür sorgen, dass die Regeln der Gesellschaft auch in der Wirtschaft anerkannt werden und durchgesetzt werden. In der Realwirtschaft verbieten wir gewisse Dinge: Es ist erlaubt, Mohn anzupflanzen, was ich sehr befürworte, denn ich liebe Mohnkuchen. Es ist aber verboten, aus Mohn Heroin herzustellen. Warum? Es schadet der Gesellschaft. In der Finanzwirtschaft aber ist ganz viel erlaubt, was der Gesellschaft schadet. Wir müssen Devisenhandel erlauben, der ist wichtig für den Export und Import. Aber wir müssen Devisengeschäfte verbieten, wenn es sich um Spekulationen gegen den Euro handelt.

Und neben Verboten wollen Sie auf das natürliche Schamgefühl des Menschen setzen. Kann das klappen?

Ja! Zumwinkel ist ein gutes Beispiel: Der muss eine Million Strafe zahlen, das macht der aus der Portokasse. Aber viel mehr hat ihn gestört, dass er sich schämen musste, als er abgeführt wurde und das im Fernsehen zu sehen war.

Sind Sie optimistisch?

Ja, absolut. Und es gibt Beispiele, die mich darin bestärken. Was mich beeindruckt hat, ist eine kleine Firma, die Sensoren und Steuerungstechnik herstellt. Sie schreiben auf ihrer Webseite, dass sie nichts an Leute verkaufen, die Waffen herstellen. Und sie haben tatsächlich eine Reihe von Aufträgen abgelehnt. Toll, dass es so etwas gibt!

null

Von Angelika Wölke, Jürgen Overkott