Düsseldorf. Viktor Ullmanns „Kaiser von Atlantis“ aus Theresienstadt hat Kammerspiel-Format, wird aber selten so gut dargeboten wie jetzt an der Rheinoper.

Nur zwei Jahre nach Köln und Bonn nimmt sich auch die Deutsche Oper am Rhein Viktor Ullmanns Oper „Der Kaiser von Atlantis“ an – gezwungenermaßen unter dem Druck der derzeitigen Aufführungsbeschränkungen. Bei jeder Produktion des knapp gebauten Werks stellt sich die Frage, ob nicht die Entstehungsgeschichte spektakulärer ist als seine musikalische Qualität.

Allerdings wäre es zynisch, dem Komponisten vorzuwerfen, dass ihm unter den gegebenen „Arbeitsbedingungen“ kein epochales Werk gelungen ist. Denn entstanden ist das Werk 1943/44 in Theresienstadt, einem Vorzeige-Ghetto mit einer scheinbaren Selbstverwaltung der jüdischen „Einwohner“ und künstlerischen Freiheiten, mit denen die Nazis propagandistisch ein geschöntes Bild der KZ-Wirklichkeit nach außen tragen wollten. Ein Vernichtungslager war das nahe Prag gelegene KZ in der Tat nicht, aber eine Durchgangsstation, der schließlich auch Ullmann und sein Librettist Peter Kien wenig später in Auschwitz zum Opfer gefallen sind.

Mischung aus Totentanz, Satire und barockem Welttheater

Aufgeführt werden durfte die Freiheits-Allegorie 1944 in Theresienstadt ohnehin nicht. Es sind nur Proben dokumentiert, am Entstehungsort hat man es erst 51 Jahre später auf die Bühne bringen können. Es ist eine finstere Anti-Kriegs-Parabel, eine Mischung aus Totentanz, Satire und barockem Welttheater, in der sich der Tod weigert, den letzten Rest seiner Würde aufzugeben und sich weiterhin auf den Schlachtfeldern sinnloser Kriege als Handlanger machtbesessener Tyrannen vorführen zu lassen. Kaiser Overall ist dadurch gezwungen, einen Krieg zu führen, in dem niemand stirbt.

Ohne den Tod als einschüchternden Kumpanen verliert der Kaiser jedoch nicht nur seine Autorität, sondern auch die Basis seiner Herrschaft. Am Ende kapituliert er und kommt der Forderung des Todes nach, die Menschen wieder sterben zu lassen, wenn er sich als erstes Opfer zur Verfügung stellt. Im Schlusschoral heißt es: „Du sollst den großen Namen Tod nicht eitel beschwören!“

Prägnanter Klang eines Kurt Weill oder Ernst Křenek

Es ist ein bizarres Szenario, das Ullmann und Kien hier in Anspielung an die menschenverachtende Absurdität des Nazi-Regimes entwerfen. In schrillen Bildern mit Figuren und Allegorien aus Mittelalter und Barock, einer zynischen Harlekins-Figur, der das Lachen vergeht, fanatischen Einpeitschern und ahnungs- und orientierungslosen Opfern.

Ullmann stand in Theresienstadt ein Orchester von etwa 15 Musikern zur Verfügung, das mit Instrumenten wie Alt-Saxophon, Trompete, Banjo, Gitarre und Harmonium jenen prägnanten Klang anstimmen konnte, den man von Kurt Weill und Ernst Křenek kannte und der einen bunten Stilmix aus Jazz-Elementen, Anleihen an Tanzhaus-Musiken, aber auch Chorälen und Anspielungen an die traditionelle Oper erlaubt.

Hochbegabt und jung: Regisseurin Ilaria Lanzino

Anders als in den rheinischen Nachbarstädten präsentiert die Düsseldorfer Oper das Werk nicht als Kammerstück, sondern stellt es auf die große Bühne, wodurch die visionäre Kraft der düsteren Vision erheblich eindringlicher zum Ausdruck kommt. Zumal die hochbegabte junge Regisseurin Ilaria Lanzino mit feinen, immer werknahen theatralischen Elementen arbeitet und auf einen aufdringlichen moralischen Zeigefinger verzichtet.

Damit entwickelt sie ein spannendes Drama ohne den oft spröden Beigeschmack der meisten Inszenierungen. Hilfreich ist das ebenso einfache wie effektvolle Bühnenbild von Emine Güner, ein raumgreifendes, flexibel wandelbares Geflecht von Seilen und Schnüren, in dem die Figuren wie in einem Spinnennetz agieren oder sich wie von Marionettenfäden gesteuert bewegen. Und die große Bühne nutzt die Regisseurin für ihre präzise Personenführung geschickt aus, so dass sich in keinem Takt ein Anflug von Langeweile einstellt.

Generalmusikdirektor Axel Kober erklärte es zur Chefsache

Dazu trägt auch die vitale und stilistisch flexible Begleitung durch die Düsseldorfer Symphoniker bei. Und zwar unter der Leitung von Generalmusikdirektor Axel Kober, der diese Produktion zur Chefsache erklärte. Und nach der kulturellen Dürre sind auch erstklassige Solisten für diese kleine, aber feine Produktion am Werk. So Emmett O’Hanlon als äußerst präsent auftretender Kaiser von Atlantis, David Fischer als Harlekin mit einer scharfen Charakterisierung der hintergründigen Figur, niemand Geringere als Sergej Khomov und Anke Krabbe als Soldatenpärchen sowie die kraftvoll auftretende Kimberley Boettger-Soller als Trommler. Nicht ganz so pointiert singt Luke Stoker die Partie des Todes.

Insgesamt erfährt das Werk eine beachtliche Aufwertung und lässt Qualitäten erkennen, die man angesichts der oft stiefmütterlich moralisierenden Produktionen kaum vermutet.


Die nächsten Aufführungen im Opernhaus Düsseldorf: am 3., 8., 10. und 16. Oktober sowie am 9., 12. und 19. November (Infos: www.rheinoper.de).