Sind Männer-Freundschaften anders? Warum halten sie, auch wenn es Jahre keinen großen Kontakt gab? Ein Phänomen zwischen Fußball und Schweigen.


Winnetou: „Mein Bruder!“ Old Shatterhand: „Mein Bruder!“ Mit knappen, klaren und nicht sonderlich sprachgewandten Worten hat einst Karl May ein paar wesentliche Dinge über Blutsbrüderschaften gesagt – und damit auch den Mythos der Männerfreundschaft ein Stück weiter zementiert.

Wer nun denkt, dass diese Form von Verbundenheit bis auf die Ebene des roten Lebenselixiers in heutigen Zeiten hoffnungslos überholt ist, hat eine der größten Freundschaftsgeschichten der jüngeren deutschen Literatur verpasst, nämlich Wolfgang Herrndorfs „Tschick“. Denn Tschick und Maik, die ein Auto stehlen und mit ihm auf eine Odyssee durch Deutschland gehen, tun es den Westernhelden beinahe nach: „Tschick wollte dann noch, dass wir alle unsere Finger ritzen und einen Tropfen Blut auf die Buchstaben gießen...“ Nun, sie haben’s doch nicht getan, aber sie waren kurz davor.

Vereint in Schimpf und Spott: Statler und Waldorf aus der Muppet-Show lieben das Meckern.
Vereint in Schimpf und Spott: Statler und Waldorf aus der Muppet-Show lieben das Meckern. © action press | Unbekannt






Natürlich sind die meisten Männer, die einen Freund oder vielleicht sogar mehrere gute Freunde ihr eigen nennen, weit davon entfernt, sich mit der Klinge ins eigene Fleisch zu ritzen. Aber wer seit der Kindheit oder der Pubertät einen Freund hat, mit dem er durch Dick und Dünn gegangen ist, wird diesem Mann gegenüber eine meist unausgesprochene Verbindung empfinden. Wer einmal in die Kategorie „Das ist mein Freund“ gefallen ist, muss schon viel anstellen, um diesen Status wieder aberkannt zu bekommen.

Frauen reden intensiv miteinander

Ist die Freundschaft unter Männern tatsächlich anders als die Freundschaft unter Frauen? Wissenschaftlich spricht einiges dafür, denn bei Frauen lässt sich beobachten, dass sie ihre Freundschaften „face to face“ angehen, also intensiv miteinander reden und sich selbstverständlich auch über das austauschen, was sie gerade bewegt.

„Wissenschaftler, die Männer hauptberuflich erforschen, behaupten aber: Was beste Freunde zusammenhält, sind die Dinge, die sie gemeinsam tun. Sport zum Beispiel. Wandern. Fußball. An Autos rumbasteln“, schreibt Literaturwissenschaftler und FAS-Feuilletonist Tobias Rüther im Buch „Männerfreundschaft“.

Männer offenbaren selten ihre Gefühle

Solche Beschäftigungen nennen sich „side by side“-Aktivitäten. Und man hat beobachtet, dass die Männer dabei eher selten ihre Gefühle offenbaren. „Das muss ja so sein, weil Männer und Frauen unterschiedlich sozialisiert werden, auch heute noch. Den Männern ist es nicht antrainiert worden, sich mit anderen Männern über persönliche Probleme zu unterhalten“, sagt der Psychologe und Psychotherapeut Björn Süfke aus Bielefeld.

Freunde durch Dick und Dünn: Asterix und Obelix sind vereint beim Wildschweinessen und Römerverdreschen.
Freunde durch Dick und Dünn: Asterix und Obelix sind vereint beim Wildschweinessen und Römerverdreschen. © dpa Picture-Alliance | picture alliance / kpa






Dass manchmal schon die gemeinsame Beschäftigung reicht, um tiefe Freundschaft zu begründen, lässt sich an Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller ablesen. Beide konnten einander zunächst nicht leiden. Goethe fand Schiller ungestüm, Schiller fand Goethe steif. Doch als sie zusammen arbeiteten, erwuchs eine tiefe Verbundenheit: „Ich dachte mich selbst zu verlieren, und verliere nun einen Freund“, schrieb Goethe nach Schillers Tod.

Auch Literatur und Film sind vollgestopft mit Männerfreundschaften, zurückreichend bis in die tiefe Mythologie: Gilgamesh und Enkidu, Robinson und Freitag, die Drei Musketiere („Einer für alle, alle für einen!“), Tom Sawyer und Huckleberry Finn, Asterix und Obelix, Bud Spencer und Terence Hill, die Drei von der Tankstelle („Ein Freund, ein guter Freund...“), Batman und Robin.

Männer sind für einander da, wenn es knüppeldick kommt

Die Qualität einer Verbindung zeigt sich erst, wenn es knüppeldick kommt. Was ebenfalls ein Merkmal der Männerfreundschaft ist. Die eher alltäglichen Schwierigkeiten zu bewältigen, das spielt in den Männerbeziehungen zumeist keine Rolle, bis es zu einer echten Lebenskrise kommt.

Dinge wie eine Trennung oder eine schwere Krankheit. „Wenn es solche existenziellen Probleme gibt, wenn jemand also Hilfe braucht, dann sind Männer – dafür würde ich mich sogar fast aus dem Fenster lehnen – sogar schneller und effektiver als Frauen zur Stelle. Das liegt schlicht und einfach an der männlichen Sozialisation. Männer sind auf Handlung gedrillt. Das Gespräch mit einem Psychotherapeuten oder mit einem Freund hingegen wird als sinnlos betrachtet, weil es ja in keine Handlung mündet“, berichtet Björn Süfke aus seiner Praxiserfahrung. „Wenn es wirklich nötig ist, dann fahren die aber auch 1000 Kilometer, um zu helfen.“

Lange Kontaktpausen sind kein Problem


Solch eine Verbundenheit scheint auch von langen Kontaktpausen unberührt zu sein, selbst wenn man zehn Jahre nicht miteinander gesprochen hat. Süfke: „Ich mutmaße jetzt einmal, dass Frauen zunächst einmal gefragt hätten: Warum haben wir so lange keinen Kontakt gehalten? Und dass sie vielleicht gekränkt gewesen wären. Männer hingegen eher nicht.“

Echte Männerfreundschaft? Bei Altkanzler Schröder (l.) und Wladimir Putin geht’s wohl nicht ganz so weit.
Echte Männerfreundschaft? Bei Altkanzler Schröder (l.) und Wladimir Putin geht’s wohl nicht ganz so weit. © imago stock | imago stock&people






Und wie können die Kerle, außer einer solchen Rückversicherung für den Notfall und einer Begleitung für ihre liebsten Freizeitaktivitäten, von der Freundschaft profitieren? Eine Studie der Universität Freiburg hat ergeben, dass Männer, die zu einem Stresstest einen guten Freund mitbringen durften, geringere Herzraten und eine niedrigere Ausschüttung des Stresshormons Kortisol aufwiesen – und eine Erhöhung des Kuschelhormons Oytocin.

Und wenn die Männer ihre Probleme dann doch mal ansprechen, obwohl vielleicht nicht mit weiblicher Tiefe, könnten sie ihrer körperlichen und geistigen Gesundheit eine Wohltat erweisen. Süfke: „Die Gespräche an sich haben eine total entlastende Funktion. Es ist wissenschaftlich mittlerweile bewiesen, dass wenn man sich seiner Probleme und Schwierigkeiten bewusst ist – nur das Bewusstsein darüber also – einen weniger anfällig für Krankheiten und Burn-out macht. Man muss also noch nicht einmal gute Lösungen finden. Da ersetzt der Freund mitunter schon mal den Therapeuten.“