Düsseldorf. Der Niederrheiner Titus Reinmuth hat sich bei einer Erkrankung mit einer Kindheits-Freundin ausgetauscht - und erzählt vom Wert der Freundschaft.

Die schlimme Botschaft kommt am Heiligen Abend: Beim Duschen hat Tim etwas ertastet. Sofort schießt ihm eine Befürchtung durch den Kopf: Was, wenn das Krebs ist? Der Heilige Abend, der schlechteste Moment für solch einen Verdacht – zumal er seiner Frau und Tochter nicht die Feiertage verderben möchte. Was tut Tim? Er wendet sich per Messenger an seine langjährige Freundin Sarah. Es entsteht eine langer Wortwechsel zwischen den beiden, der über ein Jahr geht und viel über Freundschaft, Mut, Zweifel und Hoffnung erzählt. Eine schwere Zeit, die Autor Titus Reinmuth (57) in seinem modernen, autobiografischen Briefroman „Mit Dir geht es leichter“ beschreibt. Georg Howahl wollte von ihm wissen, ob solch eine Freundschaft eine gute Therapie ergänzen kann, wie wichtig die geistige Verbundenheit ist – und ob es seine eigene Hospizarbeit war, die ihm Gelassenheit im Umgang mit den letzten Dingen geschenkt hat.

Wie viel von Ihnen persönlich steckt in der Figur Tim?

Titus Reinmuth: Das bin zu 80 bis 90 Prozent ich, der sich da zeigt. Es ist meine Erfahrung mit der Erkrankung, was ich mir dazu gedacht habe, welche Fragen sie ausgelöst hat. Die Freundschaft im Buch ist auch echt. Es gibt eine echte Sarah, die ich seit dem Kindergarten kenne, und wir haben uns tatsächlich geschrieben. Und trotzdem habe ich mich entschieden, es zu verfremden. Auch weil die echte Sarah sich autobiografisch nicht so sehr outen wollte wie ich.

Sie haben die Form eines Messenger-Dialogs gewählt. Hat Ihnen das genau so geholfen, als wenn Sie persönlichen Beistand in dieser Krise bekommen hätten?

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Dieser schriftliche Dialog ist ja ein gewisser Schutzraum, man kann die Worte noch mal ein bisschen mehr abwägen, spricht nicht ganz so spontan, sondern überlegt sich, was man schreibt. Und man kann in diesem virtuellen Raum sehr, sehr offen und sehr persönlich sein. Aber natürlich habe ich auch persönliche Begleitung erlebt, von meiner Familie, den Freundinnen und Freunden, das ist auch total wichtig.

Kann man in einer Freundschaft Dinge ansprechen und formulieren, die man (noch) nicht mit dem Ehepartner und Kind besprechen kann?

Freundschaften sind genau dafür gut. Dass man etwas vorbesprechen oder vorüberlegen kann, bevor man es mit der Familie thematisiert. Einfach um sich zu vergewissern: Wie geht es mir? Wie mache ich das? Manche Ärzte bewerten Freundschaften ebenfalls sehr hoch.

Inwiefern? Dient Freundschaft da als Teil der Therapie?

Titus Reinmuth(57) ist Stellvertretender Evangelischer Rundfunkbeauftragter beim WDR, schreibt unter anderem für „Kirche auf WDR 2“. Er war zwölf Jahre lang Pfarrer in der Evangelischen Kirchengemeinde Wassenberg-Dalheim am Niederrhein. Er war in mehreren Funktionen in der Hospizarbeit tätig. Er ist verheiratet, hat eine Tochter – und spielt in der Band Kreuzweise.
Titus Reinmuth(57) ist Stellvertretender Evangelischer Rundfunkbeauftragter beim WDR, schreibt unter anderem für „Kirche auf WDR 2“. Er war zwölf Jahre lang Pfarrer in der Evangelischen Kirchengemeinde Wassenberg-Dalheim am Niederrhein. Er war in mehreren Funktionen in der Hospizarbeit tätig. Er ist verheiratet, hat eine Tochter – und spielt in der Band Kreuzweise. © Privat | Privat

Ich habe es jetzt erlebt bei meiner letzten Nachsorgeuntersuchung. Ich habe mein Buch meiner Ärztin, einer Onkologin, mitgebracht und ihr geschenkt. Sie hat sofort gemerkt: Aha, da geht es um eine Freundschaft! Und sie hat mir erzählt: Wenn sie neue Patientinnen und Patienten aufnimmt, erkundigt sie sich zuerst: Haben Sie Eltern, haben Sie Freunde? Und dann erst: Sind Sie verheiratet? Denn ihre Erfahrung nach 25 Jahren als Onkologin ist, dass diese Krankheit Partnerschaften und Ehen auseinander bringt. In 60 Prozent der Fälle, also in einer Mehrheit der Fälle, übersteht eine Ehe oder eine Partnerschaft das nicht. Aber Freundschaften überdauern. Es seien in höherem Maße die Männer, die es nicht aushalten und ihre Frau sitzen lassen, wenn sie eine Diagnose hat. Das ist bitter, aber das ist die Erfahrung der Onkologin. Sie sagt immer: Investiert in Eure Freundschaften! Das ist die sichere Bank, das überdauert alles.

Viele Menschen sehen sich bei einer so schweren Diagnose sofort in Lebensgefahr. Wie konnten Sie selbst so vergleichsweise gelassen bleiben?

Eine solche Angst habe ich vor allem in den ersten Tagen erlebt, als noch unsicher war: Was kommt da auf mich zu? Ist das überhaupt behandelbar? Wird das ein sehr strapaziöser Weg? Das ist vor allem in der Diagnosephase unsicher. Diese Unsicherheit macht Angst. Die Erleichterung bei mir war groß, als es hieß: Es ist behandelbar. Wenn man den Gegner kennt, nimmt die Angst ab. Das kommt auch in dem Nachrichtenwechsel im Buch vor. Sarah bietet ein paar Tricks an: Dass man sich etwa von der Angst nicht bestimmen lässt. Ich bin heute so gebaut, dass ich nicht mit Angst auf den nächsten Kontrolltermin starre, sondern mich dem Problem erst stelle, wenn es da ist.

Warum nicht schon früher?

Dann ist es immer noch früh genug. Man kann ja sonst nur verlieren. Entweder hat man sich die Sorgen umsonst gemacht, weil ja alles gut ist. Und wenn der Krebs zurück wäre, dann hätte man die gute Zeit, die man zwischendurch hätte haben können, mit Sorgen vertan.

Wie viel muss man tun, um eine Freundschaft übers Leben hinweg aufrecht zu erhalten?

Bei der echten Sarah und mir ist es so, dass die Wurzeln der Freundschaft in der Kindheit gelegt waren. Und dass wir uns im Erwachsenwerden, dem Studium und dem Weit-auseinander-Wohnen jahrelang ziemlich aus den Augen verloren hatten. Aber wir konnten wieder anknüpfen. Und dann war sofort wieder alles da. Dann sitzt ein Mensch vor mir, der sich zwar verändert hat. Aber zugleich ist die Vertrautheit aus der alten Freundschaft wieder da. Bei anderen guten Freunden telefoniert man vielleicht nur alle vier bis sechs Wochen. Ich habe aber auch einen guten Freund, den ich nur einmal im Jahr richtig sehe – und trotzdem ist die Verbindung sofort da. Es lohnt sich also, in Freundschaft zu investieren.

Gibt es für Sie einen Unterschied zwischen Männerfreundschaften und Freundschaften zu Frauen?

Ich glaube, Männer unternehmen eher etwas zusammen und verbringen ihre Freizeit miteinander. Die Freundschaft zwischen Frau und Mann ist schon intensiver, weil man in diesen Freundschaften schneller in den tiefergehenden persönlichen Gesprächen ist. Die emotionale, die verletzliche Seite des Lebens, die Sorgen, das kommt schneller zur Sprache in Freundschaften zwischen Frau und Mann. Bei den Männerfreundschaften sind es nicht so viele, mit denen das geht.

Geht man mit einer schweren Krankheit und mit dem Gedanken an den Tod besser um, wenn man sich wie Sie lange im Hospiz engagiert hat?

Bestimmt, weil mir Krankheit und Tod bei anderen schon oft begegnet sind. Und weil ich erlebt habe, wie wichtig dabei nicht nur die Familie ist, sondern auch eine externe Begleitung. Das ist ja die Idee der Hospizarbeit, dass jemand Geschultes zur Verfügung steht. Insofern war ich vielleicht ein bisschen anders vorbereitet. Aber am Ende habe ich dieselbe Begleitung gebraucht wie alle anderen auch.

Titus Reinmuth: Mit dir wird es leichter, Adeo, 192 Seiten, 18 €