Essen. Bei Comedian Özcan Coşar geht es nicht immer 100 Prozent politisch korrekt zu – aber das muss auch gar nicht so sein, wie er im Interview verrät.
Vielseitigkeit ist eine seiner großen Stärken: Als junger Erwachsener gewann Özcan Coşar im Jahr 2000 die deutsche Breakdance-Meisterschaft, wird danach Zahnarzthelfer-Azubi und schließlich Comedian. Im September wird der Stuttgarter mit seinem Programm „Coşar Nostra“ endlich wieder touren – zuletzt bespaßte er sein Publikum vor allem im „Bratwurst und Baklava“-Podcast mit Bastian Bielendorfer. Patrick Friedland sprach mit Coşar (40) über die Tour, wahre Freundschaft, TV-Auftritte und Ethno-Comedy.
Wie geht es Ihnen nach anderthalb Jahren Pandemie?
Özcan Coşar: Mir geht es gut. Ich habe ja damals in Bitcoins investiert …nein, Spaß. Es war eine harte Zeit, es fühlte sich so an, als ob einem einer was wegnehmen wollte. Ich hatte noch Glück, dass ich die Podcasts habe und auch öfter im TV stattfand. Aber jetzt wünsche ich mir auch, dass wir die Tour endlich fortsetzen können.
„Coşar Nostra“ feierte im Dezember 2019 Vorpremiere – inwiefern passen Sie das Programm jetzt an die aktuelle Situation an?
Ich habe mir noch gar nichts vorgenommen. Es ist bei mir immer so: Ich gehe auf die Bühne und schaue, was passiert. Ich bin kein Künstler, der seine Show runterschreibt, sondern nutze nur Stichwörter. Das ergibt eine organische Show, die sich immer wieder verändert. Ich tendiere dazu, einfach mal zu schauen, welche Eindrücke Corona auf die Teile des Alltags hinterlassen hat, von denen ich erzähle. Aber einfache Corona-Gags, da habe ich keinen Bock drauf und die Leute sicher auch nicht. Man kann es einfach nicht mehr hören.
Der Programmtitel führt zwangsläufig zu der Frage, wie viel Mafiosi denn in Ihnen steckt …(lacht)
Es ist natürlich nur ein Wortspiel. Aber so gesehen sind wir alle humoristisch kriminell. Wir versuchen ja, Menschen zum Lachen zu bringen, auch die, die sich vehement dagegen wehren. Und ich hoffe immer, dass wir das für jeden Menschen auf der Erde erreichen.
Laut Ankündigungstext begeben Sie sich in „Coşar Nostra“ auf eine „Expedition, die Formel des Lachens zu finden“. Wie weit sind Sie – und gibt es diese überhaupt?
Ich glaube schon, dass es die gibt. Wenn ich die finde, bin ich der Überchecker der Welt und habe ausgesorgt. Lachen hat ja auch oft was mit Enttäuschung zu tun. Man führt jemanden auf einen Pfad, er denkt, er sei auf dem richtigen Weg und zack – kommt die Kehrtwende. Dann ist da diese Gratwanderung zwischen „Ich find’s lustig“, „Ich find’s zum Schmunzeln“ und „Ich find’s gar nicht lustig“. Aber ich bin in meinem Labor, vielleicht habe ich die Formel ja auch schon und sage es Ihnen nur nicht …
Die Vergleiche zwischen deutsch und türkisch geprägten Gesellschaften machten bei Ihnen ja immer einen Teil des Programms aus. Wie wird das bei „Coşar Nostra“ sein?
Hm. Oft denken die Leute, dass ich zwischen „deutsch“ und „türkisch“ unterscheide. Eigentlich meine ich oft eher soziale Unterschiede. Oder ich spreche über Idiome, über Kommunikationsebenen, die man mit Freunden hat. Mittlerweile reden ja auch Deutsche so: „Was los, Bruder?“ Das ist und bleibt Teil meiner Show, ich kann das nicht ablegen. Wenn ich mit Freunden abhänge, kommt der Punkt einfach irgendwann, an dem ich mich über Griechisches, Spanisches, Albanisches, Türkisches oder Deutsches lustig mache. Eigentlich besteht „Cosar Nostra“ aus Geschichten aus meinem Leben.
„Ich komme aus einem harten Zirkel“
In diesem Leben gab es ja zahlreiche abwechslungsreiche Jobs und Nebenjobs. Zeitungen austragen, Gastronomie, Zahnarzthelfer, Breakdancer, Programmierer – inwiefern hilft Ihnen das für Ihre Kunst?
Ich durfte ein breites Spektrum von Menschen kennenlernen, wollte das aber auch bewusst. Ich konnte nie vier, fünf Jahre das Gleiche machen. Manche Jobs waren auch aus Verzweiflung, aber am Ende ist das alles Inspiration.
Hätten Sie als Zeitungsausträger mal daran gedacht, dass Sie irgendwann selbst regelmäßig drinstehen?
Ja, aber aus kriminellen Gründen (lacht). Nein, mal im Ernst: so schlimm war es nie. Aber: Ich komme aus einem harten Zirkel. Deswegen war für mich die Breakdance-Kunst damals so wichtig. Ich konnte die Ecke, aus der ich komme, repräsentieren und bekam dafür Anerkennung, ohne dass ich Muskelspiele oder sowas machen musste. Deswegen sagten die immer: „Hey, Özcan ist einer von uns.“ Nicht, dass die alle schwer kriminell waren, aber es gab schon Hierarchien.
Wie kamen Sie eigentlich zum Breakdance?
Durch „Karate Tiger“ mit Bruce Lee. Da war ein Junge, der Karate und Kung-Fu lernen wollte. Und in einem Club war da ein Schwarzer, der Breakdance machte. Und ich dachte nur: Oh mein Gott, was ist das? Später sah ich im Jugendhaus eine Gruppe Jungs, die so tanzte. Das war für mich wie Magie. Dann dachte ich: Ich will das auch können. Was so faszinierend daran ist: Es ist jeden Tag eine Challenge, eine harte Herausforderung, ganz anders als beim Fußball, wo man einfach mal so den Ball 20 Meter wegschießt. Das zu lernen, braucht Monate, wenn nicht Jahre.
Wäre es eine Option gewesen, mit Breakdance dauerhaft Geld zu verdienen?
Das habe ich sogar gemacht. Ich bin mit 17 Jahren in Stuttgart in eine Tanzschule gegangen und habe gefragt, ob es dort Breakdance-Kurse gibt. Gab es nicht, also habe ich die selber geleitet, obwohl ich nicht mal wusste, wie man unterrichtet. Einige Zeit später habe ich schon in fünf Tanzschulen in Stuttgart und Umgebung unterrichtet, mit 120 Schülern. Irgendwann habe ich die Kurse nach und nach an meine Kumpels von der Breakdance-Gruppe abgegeben. Auch weil mein Vater meinte, dass es Zeit wäre für eine Ausbildung …
Welche Rolle spielt Breakdance jetzt noch in Ihrem Leben?
Kurse gebe ich nicht mehr. Aber ich moderierte vor Corona immer seit 2004 den „Battle Of The Month“, ein internationales Tanz-Turnier. Das mache ich weiterhin, ich habe die Verbundenheit zum Tanzen nie aufgegeben.
Warum fliegt ein leidenschaftlicher Tänzer wie Sie denn dann bei „Let’s Dance“ als Zweiter raus?
Das ist wie als wenn jemand sagt: „Der ist Schlittschuhläufer, der kann bestimmt auch super Skispringen.“ Nur weil beides auf Schnee und Eis passiert. Beim Breakdance ist man immer allein. Und es gibt keine Regeln. Du bewegst dich nach Gefühl zur Musik. Bei Latein- und Standardtänzen gibt es klare Vorgaben, man hat eine Partnerin. Und: „Let’s Dance“ lebt ja nicht nur von perfekten Tänzen. Die meisten, die da zuletzt gewannen, gingen von „Zero to Hero“.
Wie bewerten Sie die Erfahrung im Allgemeinen?
Es war eine der prägendsten in meinem Leben. Die Show hat mir geholfen, neue Seiten an mir kennenzulernen, ich habe das sehr genossen. Viele Tanzarten haben sehr viel Spaß gemacht. Und: Ich war drei Wochen mal abgeschottet von der Comedywelt und lebte fast wie früher. Morgens aufstehen, frühstücken, Tanztraining. Das war mega.
In der Vorwoche erwähnte ihr Freund Bastian Bielendorfer bei uns, dass er gerne gegen Sie bei „Schlag den Star“ antreten würde. Ihre Meinung dazu?
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Auf jeden Fall. Der kann sich aber schon mal warm anziehen und soll bei Ihnen nichts groß herumposaunen, weil er keine Chance hat (lacht).
Gibt es weitere Ziele für Sie, etwa eine eigene TV-Show?
„Die hatte ich ja schon. Aber nein. Ich habe mir nie Ziele gesteckt, immer das gemacht, was mir Spaß machte. Das hat mir immer diese Glückseligkeit gegeben.
Kommen wir mal zu ihrem Podcast mit Bastian Bielendorfer. Er meinte, es wäre obszön, fürs Quatschen mit einem guten Freund bezahlt zu werden. Empfinden Sie das genauso?
Ja. Wir müssen jeden Tag demütig und dankbar sein, dass wir diesen Beruf ausüben dürfen. Und: Wir sind über den Podcast zu Freunden geworden. Ich wurde also dafür angestellt, einen neuen Freund zu finden.
Was, meinen Sie, gefällt dem Publikum so sehr an „Bratwurst & Baklava“?
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Wahrscheinlich die ganze Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit, die dahintersteckt. Erzählen wir dem anderen eine Geschichte, hört er sie zum ersten Mal. Da ist nix geskriptet. Und interessant ist der Podcast eben auch, weil wir aus komplett verschiedenen Hintergründen stammen. Lehrerkind trifft Ghettokind. Was uns aber immer verbunden hat, waren ethische und moralische Vorstellungen. Nun nutzen wir unsere Treffen, um Neues zu entdecken. Mal den Film gucken, den der andere empfiehlt. Mal mit den Nerd-Kumpels des anderen abhängen. Mal Videospiele zocken wie der andere. Oder, wie Bastian, jetzt auch endlich mal coole Klamotten kaufen, anstatt wie ein Bauer rumzulaufen (lacht).
Gehen wir zurück zu Ihrem Hauptberuf. Wir diskutieren immer mehr, auch in der Comedy, darüber, was „man eigentlich noch sagen darf“. Wie sehen Sie das, gibt es Grenzen?
Hm. Komik ist ja Tragik in Spiegelschrift. Man muss immer die besondere Rolle des Komikers in der Gesellschaft sehen. Da können wir zurück gehen bis zu Aristophanes. Der war damals der erste, der sich über die Aristokratie lustig gemacht hat. Es ist unsere Aufgabe als Komiker, mit den Mitteln der Komik auf Missstände hinzuweisen. Aber: In meiner Comedy will ich meinen ethischen und moralischen Vorstellungen entsprechen. Ich würde nie einen Menschen degradieren, weil er eine andere Hautfarbe oder Religion hat, nie das N-Wort benutzen.
„Wenn sich die Ostfriesen mal wehren würden, hätten wir ein Problem“
Aber?
Das Schlimme ist, dass ich mich als Person heute erstmal vorstellen muss und allen erklären muss, dass ich Kontakte in diese und jene Szene habe, und da und da moderiert habe und die und die Hautfarbe habe, damit mir erlaubt wird, Witze über gewisse Dinge zu reißen. Wenn wir so weitermachen, mit dieser ganzen Cancel-Culture-Geschichte … wissen Sie, wenn die Ostfriesen sich mal wehren würden, hätten wir alle die Arschkarte. Denn die haben über Jahrzehnte alles abbekommen. Letztlich haben die Menschen in den letzten Jahren doch gemerkt, dass wir gar nicht so verschieden sind und fast alle die gleichen Wertvorstellungen haben. Eben weil sie sich zum Beispiel auch Shows von Comedians mit Migrationshintergrund angeschaut und ihren Horizont erweitert haben.
Profitieren Sie davon, sich mehr erlauben zu können, weil sie Einflüsse aus der türkischen und deutschen Community haben?
Ja. Aber schauen sie mal: Ich hatte einige Auftritte mit einem Kollegen, zu dem ich aufschaue: Roland Baisch. Der geht auf die 70 zu, ist ein Künstler vor dem Herrn und ich liebe ihn. Weil er immer jemand war, der nur das gemacht hat, was Spaß für ihn ist. Ich habe ihn dann auf den Gedanken gebracht, mal ins Fitnessstudio zu gehen, wo nur Kanacken sind. Danach meinte er zu mir: „Özcan, ich hatte nie türkische Freunde. Aber jetzt, wo ich Euch kennengelernt habe, merke ich, wie freundlich Ihr alle seid.“ Irgendwann hat er mich auf der Bühne darum gebeten, ihm ein Glas Wasser zu bringen, ich habe es natürlich gemacht und er meinte nur: „Özcan, jeder sollte einen Türken haben.“ Ich habe mich totgelacht über den Spruch, meine ganzen Kanacken-Kumpels im Publikum auch. Wir wussten alle sofort, dass das in keinster Weise diffamierend oder rassistisch gemeint war. Und wenn sich da jetzt ein paar echauffieren und sagen „Ich bin Türke, ich fand das rassistisch“ … wow. Wobei natürlich auch der Ton entscheidend ist. Wenn Höcke auf einem AfD-Parteitag ein paar Türken-Gags raushaut, ist das was anderes.
Sie scheinen dazu eine grundentspannte Haltung zu haben.
Warum sollte der Deutsche nicht auch mal solche Witze machen? Er ist doch auch aufgewachsen mit Rumänen, Albanern, Griechen – und mal ehrlich: Wir haben uns alle untereinander nur gedisst. „Ey, geh Spaghetti fressen; Ey, Ihr stinkt alle nach Knoblauch“ und so weiter. Das sind einfach andere Kommunikationsformen, wie diese Menschen miteinander sprechen. Wenn man das kappen will, geht eine gewisse Magie verloren.
Letzte Frage: Was erhoffen Sie sich für die kommenden zwölf Monate?
Also das mit diesem Eurojackpot, ne? …Ok, mal im Ernst: Ich hoffe für alle Menschen auf der Welt, dass wieder Normalität einkehrt und alle wieder das machen können, was sie lieben. Ich habe bei mir in Stuttgart einen Italiener, der vor 30 Jahren sein Restaurant selbst mitaufgebaut hat und jetzt schließen musste – das zerbricht mir echt das Herz.
>>> INFO: Özcan Coşar live:
Geplante Termine: 16.+ 17.9. Köln (E-Werk), 19.9. Krefeld (Seidenweberhaus), 21.9. Bochum (RuhrCongress), 23.9. Siegen (Leonhard-Gläser-Saal), 24.9. Düsseldorf (Capitol), 25.9. Wesel (Lutherhaus), 14.10. Issum (Bürgersaal), 28.10. Borken (Stadthalle Vennehof), 10.11. Castrop-Rauxel (Stadthalle), 11.11. Dortmund (Westfalenhalle 2), 25.11. Monheim (Aula am Berliner Ring). Karten und weitere Termine auf cosar.tv.