Essen. Der Schriftsteller Alexandre Dumas erfand im Paris des 19. Jahrhunderts die Bestsellerfabrik. Lange galt sein letztes Werk als verschollen. Nun liegt Dumas' gewaltiger Napoleon-Roman endlich vor: „Der Graf von Sainte-Hermine”.

Dies ist der jüngste Roman eines Bestsellerautors sondergleichen. Der Roman erzählt Geschichte, dass einem die Haare zu Berge stehen, er hat Feuer, Brisanz, er erzählt, wie Politik funktioniert und blickt tief in des Menschen Herz. Ein echter Dumas eben.

Der Name kommt Ihnen irgendwie gestrig vor? Der Autor dieses neuen Romans ist jetzt 139 Jahre tot. Alexandre Dumas: Musketiere, Monte Christo, über 200 Romane, dicke Auflage, in 100 Sprachen übersetzt und ihr Schöpfer so reich wie kein Dichter seiner Zeit, dennoch immerzu pleite, diese große Schwäche für ausufernden Lebensstil, die dazu unpassenderweise passenden Damen, der Privatzoo, die beiden Segelschiffe . . .

Wie von Dumas erfunden

Das ist lange her. Und doch gibt es 2009 einen neuen ungekannten Roman von ihm. Es war sein letzter, er schrieb ihn (die Formulierung könnte nun fast Dumas sein) schon im Angesicht des Todes. Dann ist der Schmöker verschollen. Gefunden hat ihn Claude Schopp durch die Zettelwirtschaft eines abgehalfterten Pariser Archivs, „das überall undicht war und auf Spitzhacke und Abrissbirne zu warten schien”. Auch wieder so, dass es von Dumas erfunden sein könnte.

Dieser dem Wurmfraß entsteißte Roman „Der Graf von Sainte-Hermine” beantwortet nicht zuletzt die Frage, wo denn eigentlich Dumas' großer Roman über das napoleonische Zeitalter blieb. Das ist er. Und weil Dumas ist, wie er ist, treffen wir Napoleon in der Badewanne (er lässt sich dort aus den Zeitungen vorlesen, nur nicht aus den französischen, „die drucken nur das, was ich ihnen erlaube”): Wir begegnen seiner schönen Frau, in Tränen aufgelöst, denn 40 000 Francs Schulden bloß für schöne Handschuhe, das ist ihr nun leider passiert und genau sowas hat doch damals bei Marie Antoinette dazu geführt . . .

Fingierter Besuch bei Goethe

Man fängt das an und möchte nicht mehr aufhören. Man möchte aber auch nicht fragen, was davon gut ist und was gut erfunden. Dumas (1802-1870), dieses von Minderwertigkeitskomplexen befeuerte Genie, fingierte für seine Autobiografie ja sogar einen Besuch bei Goethe. Der Mann beherrschte auf eine abgebrühte Art, die erst in Hollywood groß Schule machte, die Selbstverständlichkeit der Geschichte Geschichten auf den Leib zu schreiben, dass Kreti und Pleti, sofern sie lesen konnten, selbst komplexe bilaterale Verhandlungen mit Wonne fraßen.

Und Dumas, dauernd unterwegs und auch noch so verrückt, Garibaldi Uniformen und Waffen zu finanzieren, schrieb nur einen Bruchteil selbst. Dumas, dieser schillernde Typ, dessen dunkle Hautfarbe der schwarzen Großmutter, einer Sklavin, geschuldet war, ließ schreiben. Eine ganze Werkstatt schuf und schuftete im Geistes des Mannes, den Hochmütige verächtlich „Neger” nannten. Dumas besaß praktisch eine Fabrik der Unterhaltungsliteratur, hexte mit genialischer Begabung in die von Mitarbeitern entwickelten Stränge seine berüchtigt heißblütigen Dialoge hinein, borgte in Zeitnot bei sich selbst und zitierte ungeniert und mitunter seitenweise aus Reisebeschreibungen, historischen Wälzern etc.

Oft war die Hauptfigur – so auch der Titelheld des letzten Romans – erfunden. Umso lieber ließ Dumas sie dann in verwickelten Abenteuern mit den Größten der Geschichte zusammentreffen. Saint-Hermine zum Beispiel plauscht mit Napoleon und verpasst Admiral Nelson die letale Kugel: „Durch den Rauch erkennt er Nelson auf der Schanz. Er läuft mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu, als Nelson plötzlich wie vom Blitz getroffen zu Boden fällt. Es war genau Viertel nach ein Uhr.”

Ein Ken Follet des 19. Jahrhunderts

Und doch fühlte Dumas, dieser Ken Follet des 19. Jahrhunderts, sich aufrichtig schuldenfrei, Geschichte zu klittern. „Eher romanhafter Historiker als historischer Romanschriftsteller”, nannt er sich im Falle der Abenteuer um den kurzbeinigen Korsen, um dann doch die Hintertür zu öffnen: „Ohne indessen unsere Erzählung der poetischen Einfälle zu entkleiden . . .”

Dieser Roman, wie viele von Dumas zunächst als Fortsetzung in einer Zeitung erschienen, hat spannende Kapitel, brillante Typen, er erzählt (einsetzend im Jahre 1800) rasant von schwelenden Machtkämpfen und davon, wie oft Geschichte das Ergebnis ist von gekränkter Eitelkeit, Neid, Demütigung, Stolz.

Aber er hat auch empfindlich lange, dem französischen Publikum geschuldete Passagen über Land und Leute, Sippen und alte Fehden, durch die wir Heutige uns eher quälen. Eine Entdeckung bleibt es gleichwohl. Und nicht selten ein Leseglück. Wer immer es geschrieben haben mag.

A. Dumas, Der Graf von Sainte-Hermine, Blanvalet, 1040 S., 24,95 Euro