Waterloo. Die Schlacht von Waterloo ist seit 191 Jahren entschieden. Das hindert Geschichtsenthusiasten nicht, sie jährlich aufs Neue durchzuspielen. Dabei zeigt sich, dass die Neuinszenierung der blutigen Auseinandersetzung gelebte Völkerverständigung ist.

Pulverdampf liegt in der Luft, zwischen markerschütterndem Kanonendonner gellen Befehle über das Schlachtfeld. Die Franzosen geben ihr Bestes, um die Allianz aus Briten, Preußen und Niederländern zurückzuschlagen – doch sie mühen sich auch dieses Mal vergeblich. Die Schlacht von Waterloo ist seit 191 Jahren nicht mehr zu gewinnen.

Liebhaber des „Reenactment", wie die möglichst originalgetreue Neuinszenierung historischer Ereignisse genannt wird, lassen sich davon nicht verdrießen. Etwa tausend von ihnen stellen Napoleons finale Niederlage jedes Jahr am Originalschauplatz nach. Und nicht nur die: Während der Hauptsaison von April bis Oktober zücken Freunde gepflegter Scheingefechte beinahe jedes Wochenende irgendwo in Europa die Waffen.

Neuinszenierung ist gelebte Völkerverständigung

Einer von ihnen ist der 26-jährige Belgier Hans Vermeulen, im Hauptberuf Geschichtslehrer, in der Freizeit französischer Feldwebel. Er hat sich, wie die meisten Uniformierten auf dem Feld von Waterloo, auf die Zeitspanne zwischen 1789 und 1815 spezialisiert. „Man muss die Geschichte lebendig machen", glaubt er. „Ohne Waterloo wäre Europa nicht so, wie es heute ist." Dieses Faible für historische Bedeutsamkeit teilt er mit vielen seiner Mitstreiter. „Das war europaweit ein Wendepunkt in der Geschichte", schwärmt Lothar Jungeblut vom „Braunschweigischen Leibbatallion von 1815".

Wenn das Schlachtfeld ein Jahrmarkt der Eitelkeiten ist, dann haben diese Braunschweiger Streiter das große Los gezogen: Die Truppe aus Niedersachsen zählt sogar Mitglieder in Australien und Frankreich – der schönen schwarzen Uniform mit den türkisfarbenen Aufschlägen wegen. Ästhetische Beweggründe stechen nationale Befindlichkeiten. Überläufer finden sich ohnehin allerorten François Mallevaey beispielsweise reitet als Braunschweiger Kavallerist gegen die eigenen Leute. „In Frankreich gibt es kaum feindliche Truppen. Aber ohne Feinde macht es doch keinen Spaß!", begründet der quirlige Franzose den Seitenwechsel. Etwa alle zwei Wochen ficht er irgendwo in Europa alte Sträuße aufs Neue aus. Geschichte wiederholt sich – und auch wieder nicht. Denn so paradox es klingt, die Neuinszenierung der blutigen Auseinandersetzungen ist zugleich gelebte Völkerverständigung. „Die Kameraderie ist einzigartig", schwärmt der Brite Adrian Lobb, Ordonnanz des englischen Befehlshabers Arthur Wellington. Bei Stabs-Treffen würden manchmal fünf Sprachen gesprochen: „Das ist wie die EU in Miniatur."

Nur spannender. Besonders, wenn Spiel und Wirklichkeit verschwimmen: „Wenn ich mich nur auf mich konzentriere, dann bin ich ganz weg", sagt der Deutsche Robert Kaipert. „Wenn die Kavallerie im Galopp auf einen zureitet, das ist ein Gefühl…", erzählt er und hat gar kein Wort dafür.

Ein Hauch von Geschichte weht durch die Luft

Am historischen Ort fühlt sich so mancher der Beteiligten vom Hauch der Geschichte angeweht. „Offiziersfrau" Angela Parker berichtet von einem Scheingefecht, das auf exakt denselben paar Quadratmetern Boden stattgefunden hat wie sein Vorläufer: „Da hat es mich überwältigt, es war so echt. Die Tränen sind mir übers Gesicht gerollt – und die Franzosen haben wirklich versucht zu stürmen."

Was wohl die Soldaten von damals dazu sagen würden, jene Menschen, für die das Spiel von heute einst bitterer Ernst gewesen ist? Der französische Feldherr selbst wäre sicher begeistert: Tausende Freiwillige, die eine Periode auferstehen lassen, die sie die „napoleonische" nennen! Er ist Teil des europäischen Gedächtnisses geworden. Nur die Schlacht von Waterloo, die würde Napoleon sicher gern vom Spielplan streichen.