Neuss. Wieviel Shakespeare darf’s denn sein? „Maß für Maß“ heißt das Stück, dass die „bremer shakespeare company“ beim Shakespeare-Festival im Globe-Theater in Neuss auf die Bühne brachte.

"Maß für Maß" von William Shakespeare unter der Regie von Thomas Weber Schallauer. (Pressefotos)

Drei gute Dinge vorweg: Gut, dass das Shakespeare-Festival seit 1991 im Globe-Theater in Neuss stattfindet. Gut, dass die „bremer shakespeare company“ seitdem regelmäßig dort gastiert. Gut, dass sich die Gruppe aus Bremen dieses Jahr für die Problemkomödie „Maß für Maß“ entschieden hat, deren zeitgemäßer Bezug mehr als deutlich ist: Korruption, Machtmissbrauch, persönliche Bereicherung und Lustgewinn.

Ob im England des 17. Jahrhunderts unter Jakob dem Ersten, dem fiktiven Wien des englischen Dramatikers oder den lässig-liberalen von der Wirtschaftskrise gebeutelten Medien-Demokratien heute – die grundlegenden Fragen ähneln sich doch sehr: Was ist Recht, was ist unrecht? Richtet das Gesetz, der Glauben oder die Moral? Wie ist es um diese Dinge eigentlich bestellt, wenn alles nur so drunter und drüber geht, der Herrscher abwesend ist und die Menschen schwach oder lasterhaft?

Weniger ist mehr

Nein, neiden sollte man schon mal nicht. Nichtsdestotrotz kann ich mich diesem Laster nicht immer ganz verwähren. Da wäre beispielsweise mein guter Freund Reinhold: Als junger Mann und Hochschullehrer hielt er sich in den 70er Jahren mehr als einmal in den Vereinigten Staaten zu Forschungszwecken und geistigem Austausch auf. Er küsste Allen Ginsberg auf die Backe, kaufte hervorragende Schallplatten und Bücher für ein kleines Geld und besuchte eine Vorlesung zu William Shakespeare gehalten von Jorge Louis Borges.

Der damals Mitte Siebzigjährige, vollständig erblindete Nobelpreisträger trat vor das Auditorium, um sein Manuskript zu lesen und folgendes geschah: Aufgrund eines defekten Mikrofonkabels versagte die Übermittlung der Worte fast vollständig und alles, was das Publikum in der nächsten Stunde zu hören bekam, waren die leisen Worte „Shakespeare… Shakespeare… Shakespeare…“ umgeben von sphärischen. elektronischem Rauschen der Lautsprecheranlage. Das lässt viel Raum für die Imagination des Rezipienten und erinnert an die berühmten Geschichten des Autors, die gekonnt mit der Vorstellungskraft und Wahrnehmung des Lesers spielen.

Sparsame Mittel - größtmögliche Wirkung

Ebenso gekonnt leuchtet die „bremer shakespeare company“ unter der Regie von Thomas Weber-Schallauer diesen Bereich der Imagination auf Bühne des Globe-Theaters in Neuss aus. Es ist wohl die Herausforderung, die das Globe-Theater an ein Ensemble stellt, auf dieser Bühne mit sparsamen Mitteln eine größtmögliche Wirkung beim Zuschauer zu erzielen.

Thomas Weber-Schallauer gelingt dies beispielsweise hervorragend in Zusammenarbeit mit dem Komponisten Roland Techet. Die Musik, mit ihren Elementen aus Renaissance, neuer und elektronischer Musik, will, so Techet, die gesellschaftlichen Auflösungsprozesse auf der Bühne beschreiben und dies gelingt außerordentlich akzentuiert: klare Motive werden verfremdet und was bleibt ist geräuschhaftes Rauschen.

Gleiches mit Gleichem

Auch das Bühnenbild und die Kostüme von Heike Neugebauer sind überzeugend und Ideenreich. Einfache Raumteiler stehen da wie Stelen und der Mitte mahnt ein Galgen. Die zeitgemäßen Bezüge werden unaufdringlich an den Kostümen deutlich: Wachtmeister Ellbogen (klasse: Petra-Janina Schultz) kommt als Mischung aus debilem Mann aus dem Volk mit zerbeulter Knickerbocker und kleiner Deutschlandfahne, was aber gleichzeitig surreal von einem Freischwimmerabzeichen, der aufs Kostüm genäht wurde übersteigert wird. Und zwischen den Vorstadt-Ganoven und Zuhältern steht Gunnar Habeland als Schaum im Harz 4-Schick in bunt bedruckter Ballonhose. All das ist wirklich gekonnt.

„Lüge fängt nun den, der log/ Falschheit wird mit Falsch vernichtet/ Die alte Ordnung neu errichtet.“ So die schlechtgelaunten Worte, die Shakespeare dem Herzog (Erik Roßbander) in den Mund legt. Im Stück selbst wird dann auch alles gut. Aber damit sollte man es wohl besser auch belassen, bevor man spekulative Aussagen über den Zerfall der heutigen Gesellschaften und ihrer Werte machen will. Denn das ist zumindest eine Lehre des Stückes: Wer richten will, sollte sich auch stets selbst prüfen. Wer lästert, hängt schnell selbst am Galgen.