Düsseldorf. .
Harte Kost im Düsseldorfer Schauspielhaus. Elfriede Jelineks „Rechnitz (Der Würgeengel)“ über eine Blutorgie zum Zeitvertreib der Nazi-Prominenz ist bewusst brutal und höhnisch.
Man kann sich gut vorstellen, wie Elfriede Jelinek reagierte. 2007 hatte der Autor einer Thyssen-Chronik für neue Schlagzeilen über das Massaker von Rechnitz gesorgt; David R. L. Litchfield berichtete in der FAZ über die Gräfin Margit Batthyány-Thyssen, Enkelin des Stahlbarons August, als „Gastgeberin der Hölle“: Im März 1945 ermordete ihre Gesellschaft im Rahmen eines Schlossfestes nah der ungarischen Grenze 180 jüdisch-ungarische Zwangsarbeiter. Drei Stunden soll es gedauert haben, bis die betrunkene Nazi-Prominenz die wehrlosen Menschen erschossen oder erschlagen hatte. Eine Blutorgie zum Zeitvertreib. Jelinek schrieb sich die Wut vom Hals. 100 Seiten umfasst ihr Text „Rechnitz (Der Würgeengel)“, ein zorniges Pamphlet im typischen Stil, bewusst brutal und höhnisch. Unspielbar, eigentlich. Nun hat es nach Jahren wieder jemand versucht. Hermann Schmidt-Rahmer, nachgeboren 1960, brachte „Rechnitz“ für das Düsseldorfer Schauspielhaus auf die Bühne.
Atemlose Abrechnung
Vorab: Dies ist zentnerschweres, schonungsloses Theater, bei dem es sich im Anschluss kaum beschwingt am Champagner nippen lässt. Obwohl Schmidt-Rahmer und sein famoses Ensemble alles daran setzen, den Abend so kurzweilig wie möglich zu gestalten. Dagegen spricht die Macht der Geschichte ebenso wie der schwer verdauliche Text. Eine atemlose Abrechnung mit Deutschland ist das, bei der man erst nicht weiß, ob man die Autorin in dieser Zeit eines neuen vergnügten Nationalfähnchenschwingens belächeln - oder ihr vielleicht doch auf die zornig verkrampfte Schulter klopfen möchte. Wobei: Wenn Theater gesellschaftlich relevant sein muss, dann durch Stücke wie dieses.
Es beginnt im 70-Jahre-Stil: orangegrüne Vorhänge, plüschige Stühle, deren Lehnen Stickereideckchen schonen. Hier nehmen die Boten Platz, die Protagonisten: Historische Figuren, Zeugen, Journalisten und Forscher, die der Welt vom Massaker berichten. Am Ende wird der Dialog des „Kannibalen von Rotenburg“ mit seinem Opfer stehen, mit dem Jelinek den Text lustvoll grausam beschließt.
Schmidt-Rahmer arbeitet mit Film und Video. Handlung schafft er durch viele Schnitte, kurze Szenen. Kaum hat sich Daniel Christensen in Fahrt gebrüllt, unterbricht Kollege Miguel Abrantes Ostrowski: „Das war gut, aber was ist mit der historischen Distanz?“ Techniker werden dazugeholt („Entschuldigung, hat Ihr Opa Menschen vergast?“). Wieder ein Schnitt. Die Hinterbühne öffnet sich. Eine Steinschlucht, ein Kaminfeuer. Janina Sachau zerrt einen Bücherwagen herein - wenig später wird die gedruckte Last der Geschichte hundertfach von oben auf die Bühne krachen. Dann ein Quiz. Ein TV-Talk. Eine Computer-Suche nach den Gräbern der Ermordeten - die meisten wurden nie gefunden. Tage nach dem Massaker kam die Rote Armee, das Schloss wurde niedergefackelt. Die Gräfin setzte sich in die Schweiz ab, wo sie Pferde züchtete. Der Hauptverantwortliche, NSDAP-Ortsgruppenleiter Franz Podezin, tauchte in Südafrika unter.
Drei Stunden spielen sich die acht Ensemblemitglieder die Seele aus dem Leib. Mal mit Deutschmichel-Mütze, mal als dekadente Schlossgäste mit Koks in Lack und Leder. Sie lachen, sie höhnen. Sie lächeln, wo’s nichts zu lächeln gibt. Sie huren, schießen, saufen. Sie brüllen gegen die Ungerechtigkeit an. Laut, aber immer noch nicht laut genug, denkt man. Dass man sich ein Beispiel nehmen müsste und viel öfter wütend sein, denkt man. Bleibt zu befürchten, dass viele das alles nicht (mehr) wollen. Da traut sich einer was - und vermutlich guckt wieder kein Schwein.
Karten/Termine www.duesseldorfer-schauspielhaus.de