München. .
Am Anfang war es eine Mischung aus Pferdesport, Schützenfest und Landwirtschaftsschau. Heute strömen Millionen auf die Wiesn. Das Münchner Oktoberfest wird in diesem Jahr 200 Jahre alt.
Ludwig II. war’s. Der menschenscheue, kunstsinnige, dem Wagner wahnhaft verfallene Märchenschloss-König. Fünfmal nur soll er während seiner Regentschaft das Münchner Oktoberfest besucht haben. Seine Majestät - die Spaßbremse. Was Wunder, dass nach und nach auch das Volk ausblieb.
Ludwig also war’s, der bewirkte, dass sich die Münchner Stadtoberen nach neuen Attraktionen umsahen, um die Leute wieder auf die Festwiese zu locken. Es kamen die Kirmes und der Zirkus - Menschen, Tiere, Sensationen. Das wirkte: Die Zahl der Bier- und Weinstuben (Zelte gab’s noch nicht) stieg rasant. Und 1880 sah sich die Polizei genötigt, eine Dienststelle auf dem Gelände einzurichten. Das Fest hatte sich der Masse, mithin dem Kommerz geöffnet.
Vom königlichen Rock bis zum sexy Dirndl
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Eine von vielen Geschichten um das Münchner Oktoberfest, das heuer seinen 200. Geburtstag feiert. Und das sich in all den Jahren mächtig gewandelt hat. Zwei großartige, mit Dokumenten und Devotionalien gesättigte Ausstellungen geben darüber aufs Schönste Auskunft, zu sehen im Stadtmuseum (Titel: „Wegen Überfüllung geschlossen“) und in der Monacensia, dem Münchner Literaturarchiv („Vorstadtstenz und Wiesnbraut“). Vom königlichen Rock bis zum sexy Dirndl reicht die Palette der Exponate, vom alten Kolossalgemälde hin zum Dokumentarfilm eines Hans-Jürgen Syberberg.
„Volksfeste freuen mich besonders“, erklärte der damalige Thronfolger Ludwig I., und so war seine Hochzeit mit Therese von Sachsen-Hildburghausen am 12. und 13. Oktober 1810 weit mehr als die Festigung der Wittelsbacher-Dynastie im noch jungen Königreich. Die Entscheidung, die Feierlichkeiten ein paar Tage auszudehnen, um dem Volk am Ende ein spektakuläres Pferderennen zu bieten, war die Geburtsstunde dessen, was später als Oktoberfest in die Annalen einging. Der Beginn einer ab 1829 auf 14 Tage festgelegten „Party“, zunächst eine Mischung aus Pferdesport, Schützenfest und Landwirtschaftsschau.
Löwenmenschen und die Dame ohne Unterleib
„Man drängt, stößt, frisst, spielt, säuft, schimpft, haut“, spottete alsbald ein anonymer Zeitgenosse. Das war 1835, als „nur” etwa 80 000 Besucher zur Wiesn strömten. Doch die Vorstellung von Masse ist eben relativ. Thomas Mann sprach in den 1930er Jahren naserümpfend von einer Monstre-Kirmes. Das Volk amüsierte sich auf Kettenfliegern und in Geisterbahnen, fand Vergnügen an Rennen mit Hochrädern oder im Varieté. Ob Löwenmensch oder Dame ohne Unterleib, der Jahrmarkt der Exotik fand Gefallen.
Auch Ödön von Horváth liebte das, beobachtete die Menschen und saugte daraus den Stoff für sein Drama „Kasimir und Karoline“. Dabei sah er hinter der Fassade der von Bier und rasenden Fahrgeschäften geröteten Gesichter manch traurige Realität. Die der Wiesnbraut etwa. Sie verlasse ihr Milieu, gehe mit ihr unbekannten Herren, für die Vergnügungen. Doch sie versinke ins Nichts, sobald die Wiesn aufhört. Das Fest als Podium für Herzensglückssucher: eine von vielen noch heute gültigen Facetten.
6,6 Millionen Liter Bier
Immer größer ist die Wiesn mit den Jahren geworden. Um die sechs Millionen Besucher locken sie mittlerweile jährlich an. Hunger bringen die meisten mit und noch mehr Durst. Allein 2009 vertilgen sie 488 137 Hendl und lassen 6,6 Millionen Liter Bier ihre Kehlen hinunterlaufen. Münchner Bier wohlgemerkt. Denn nichts anderes fließt hier aus den Hähnen. Voll des guten Gerstensaftes lassen sie anschließend 260 Brillen liegen. Und 200 Handys.
Überhaupt diese exzessive Vernichtung von Alkohol. Zu Liedern über rote Pferde, Country Roads und Hände, die zum Himmel gehen. Be-trunkene Menschen sind da zu sehen, wankend, lallend, fallend. „Wie am Ballermann” haben die Einheimischen deshalb vor ein paar Jahren ge-schimpft, nur kälter – und teurer. Auswüchse beim Alkoholkonsum seien „kein Wiesn-Problem“, sondern Zeichen einer gesellschaftlichen Entwicklung, hat Wiesn-Chefin Gabriele Weishäupl jüngst betont. Die Stadt hat deshalb neue Regeln eingeführt. Zu-mindest bis 18 Uhr muss jetzt traditionelles bayrisches Liedgut gespielt werden.
Feiere die Stadt, zeige sie ihr wahres Gesicht, schrieb Erika Mann 1929. Es war als ehrliche Sympathiebekundung gemeint.