Düsseldorf. .

Die Ausstellung „Parallelprozesse“ zeigt zur Quadriennale in Düsseldorf den ganzen Beuys aus der Perspektive der Nachgeborenen. Wie sieht man heute auf die Ikone der Avantgarde?

Ein Gesicht, das in ein Straßenbahngleis geschnitten wurde und Teil der Installation Straßenbahnhaltestelle aus dem Jahr 1976 ist. Foto: Kai Kitschenberg / WAZ FotoPool
Ein Gesicht, das in ein Straßenbahngleis geschnitten wurde und Teil der Installation Straßenbahnhaltestelle aus dem Jahr 1976 ist. Foto: Kai Kitschenberg / WAZ FotoPool © WAZ FotoPool

Er ist zurück! Ja, war Joseph Beuys denn überhaupt weg? Zumindest irgendwie unsichtbar, überlebt geglaubt, von Vorurteilen, Urteilen und Rezeptionsgeschichte längst abgehakt. Jetzt trumpft sein vielschichtig verwobenes Werk auf rund 3000 Quadratmetern in drei Hallen der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen energiegeladen auf und beweist, dass die Magie (fast immer) auch ohne den Meister der Aktion auskommt.

Mit der rund 300 Arbeiten umfassenden Ausstellung „Parallelprozesse“ zur Quadriennale gibt Direktorin Marion Ackermann, gemeinsam mit Isabelle Malz, ihre Visitenkarte als akribische, ehrgeizige Kuratorin ab. Nicht eben tief gestapelt ist ihr Anspruch, den „ganzen Beuys“ zu zeigen. Der Lockruf reichte immerhin bis Kamerun. Die Resonanz der internationalen Presse sei enorm, hieß es.

Es ist die Perspektive der Nachgeborenen, die den Schamanen, seine Aura, seine Fluxus-Auftritte nicht mehr erlebt haben. Sie changiert von sinnlich bis sachlich. Kathedrale Kühle verströmt die neue, hohe, Paul Klee gewidmete Halle der Landesgalerie, mit der der Besucher in die Beuysschen Parallelprozesse einsteigt. Die frische Temperatur scheint die Wirkung seiner typischen Werkstoffe Filz, Fett, Honig und Kupfer förmlich herauszufordern. Wie Fundstücke, archaisches Gerät sind die Exponate auf dem glatten Granitboden platziert.

Verdichtet, aber nicht überfrachtet ist die Schau.

Wie sieht man heute auf die Ikone der Avantgarde? Der Blick fällt auf die wunderbare eiserne „Rückenstütze eines feingliedrigen Menschen (Hasentypus) aus dem 20. Jahrhundert“. Die Utopie von der künstlerischen Kreativität als Stütze und Motor einer besseren Gesellschaft können wir im 21. umso mehr gebrauchen.

Der Filzhut ist Tteil der Installation Konzertflügeljon aus dem Jahr 1969. Foto: Kai Kitschenberg / WAZ FotoPool
Der Filzhut ist Tteil der Installation Konzertflügeljon aus dem Jahr 1969. Foto: Kai Kitschenberg / WAZ FotoPool © WAZ FotoPool

Verdichtet, aber nicht überfrachtet ist die Schau, die zehn große Installationen in den Mittelpunkt rückt, darunter auch das erstmals in Europa gezeigte „Stripes from the House of the Shaman 1964-72“. Reich bestückte Kabinette geben den zarten und rostrot glühenden Zeichnungen Intimität und bieten Bezüge an. In der Sichtachse hängt ganz unspektakulär, aber zentral das letzte Beuyssche Kreuz aus zwei dünnen Rosenholzzweigen von 1985, das Eva Beuys zur Verfügung stellte.

Den unmittelbaren Zugang zu Beuys ermöglichen Marion Ackermann und Isabelle Malz auch ganz körperlich, indem sie weitestgehend auf museale Absperrungen verzichten, etwa „Das Rudel“ mit den 24 Schlitten und dem Bulli dem Beuys-Wanderer geradezu in den Weg legen. Nur bei fragilen Stücken gibt es Berührungsschutz - wie bei jener von zwei Kugeln in der Balance gehaltenen Hühnerleiter, einer der letzten Installationen vor dem Tod 1986.

Hinterlassenschaften sprechen für sich selbst

40 Jahre hat der Künstler, Akademie-Revolutionär und frühe Grüne in Düsseldorf Leben und Arbeit miteinander verschmolzen. Ein speziell auf die Stadtereignisse zugespitztes Heimspiel hat die Kunstsammlung zum Glück nicht inszeniert. Nur sparsam sind Film-Dokumente als bewegte Zeitbilder in die Schau eingestreut. Beuys Hinterlassenschaften sollen für sich selbst sprechen. Und sie tun es!

„Neeneeeneeneenee, jajajajaja...“ Zum Schmunzeln verführt die Akustik-Collage, die in die erste Etage lockt. Wie niederheinisches Schafgeblöke dringen die Stimmen von Beuys und Co. ans Ohr. Die lichte Weite oben gibt den fünf Basaltsteinen und dem beinlosen Flügel mit Filzhut und Notenständer samt Sauerkraut (ist das wirklich noch von 1969?!) viel Wirkungsraum. Nur die Honigpumpe am Arbeitsplatz liegt mit demontierten Schiffsmotoren und Schläuchen am Boden. Da fehlt dann doch der betreibende Schöpfer des erweiterten Kunstbegriffs: Hier ist der energetische Saft raus.

Vielleicht ist Beuys ja in Krisenzeiten, 25 Jahre nach seinem Tod, auch deshalb wieder gefragt, weil er mit seinen natürlichen Energien, seiner Theorie von der sozialen Plastik Sehnsüchte anspricht. Als Grenzen überschreitende Inspirationsquelle für die Kollegen heute ist er ohnehin weiter auf Sendung - und selbst die fröhliche Wissenschaft hat noch nicht ausgeforscht.

„Joseph Beuys. Parallelprozesse“, 11. September 2010 bis 16. Januar 2011, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen