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Das Tanzprogramm der Ruhr Triennale ist eine Klasse für sich. In diesem Jahr sind vier Produktionen zu erleben, die sich dem Thema von Willy Deckers Triennale nähern - den Urmomenten, in denen Spiritualität und Kreativität entstehen, am Beispiel des Islam.

Stefan Hilterhaus, künstlerischer Leiter des Choreografischen Zentrums NRW, PACT Zollverein, verantwortet die Tanzlandschaft Ruhr bei der Ruhr Triennale. Er spricht mit Leidenschaft über die Künstler, die in diesem Jahr eingeladen sind und die jeder einen unbedingt eigenen Zugang zum Tanz repräsentieren; am wärmsten vielleicht spricht er von William Forsythe, den er „einen der wachsten, experimentellsten, wandelbar vielfältigsten Künstler weltweit“ nennt.

Das Tanzprogramm beginnt mit „You’ve Changed“ von Thomas Hauert. Mit der belgischen Company ZOO zeigt er ein Stück, das Musik, Tanz und Video virtuos mischt. „Die Tänzer werden zu sozialen Skulpturen“, sagt Hilterhaus, „Skulpturen aus Aufmerksamkeit und Konzentration; ihre Bewegungen sind Dialoge, Gespräche.“ Dabei gebe es eine starke Interaktion mit der Musik, die für das Stück geschaffen wurde - nicht als Folie, auf der Bewegung entsteht, sondern als Antwort darauf. Herausfordernd nennt Stefan Hilterhaus diese Produktion, die in ihrer Zeichenhaftigkeit an Sufis erinnere - asketische Mystiker des Islam.

„Hoch energetisch, sehr virtuos“

„Vertical Road“ ist wie „You’ ve Changed“ eine deutsche Erstaufführung. „Akram Khan ist ein unglaublich toller Tänzer“ sagt Hilterhaus, „hoch energetisch, sehr präzise, sehr virtuos.“ Khan ist in London geboren, seine Eltern stammen aus Bangladesh; er lernte früh den indischen Tanz Kathak. „Er verbindet die traditionelle Tanzsprache mit modernen Elementen, schafft die Verbindung spiritueller Welten mit Technologie“, sagt Hilterhaus. Für „Vertical Road“ ließ Akram Khan sich mit seiner multikulturellen Kompanie inspirieren von universellen Mythen der Engel, er thematisiert die Suche nach Gott - die „vertikale Straße“ ist die Jakobsleiter, sie gibt auch die Richtung des Denkens vor. „Akram Khan hat eine sehr genaue Lichtregie und schafft eine wirklich überraschende Athmosphäre.“

Ganz anders, ganz besonders ist die Choreografin Nacera Belaza, Französin algerischer Herkunft. Sie tanzt mit ihrer Schwester Dalila „Le Cri“, ein Stück, das die kreisenden Tänze der Derwische aufnimmt und dieses rituelle, sehr reduzierte Bewegungsmaterial mit modernem Tanz konfrontiert. Die Musik dazu ist eine Collage aus arabischer und westlicher Musik, von Amy Winehouse bis Maria Callas. „Es entsteht ein Bild, das sich ganz langsam zusammensetzt.“

Die Zeit verrauscht

„Nacera Belaza befragt die Zuschauer extrem selbstbewusst: Was ist euer Verständnis von Tradition?“ sagt Stefan Hilterhaus. Nachdenklich fügt er hinzu: „Die Zeit verrauscht bei diesem Stück, es kommt einem zu kurz vor - obwohl sie ganz wenig tun. Es ist ein Sog.“

Die letzte Tanzpremiere gehört William Forsythe. Er zeigt „The Defenders“ (Die Verteidiger) als Gastspiel; im nächsten Jahr wird er eine eigene Choreografie für die Ruhr Triennale und die Jahrhunderthalle erarbeiten. Stefan Hilterhaus ist besonders glücklich über diesen Gast, denn der amerikanische Choreograf, der 20 Jahre lang das Frankfurter Ballett leitete, war im Ruhrgebiet bisher kaum präsent.

Die Forsythe Company zeigt eine Produktion, die erschrecken, aber auch belustigen kann. Forsythe, der immer wieder die Möglichkeiten des Körpers, die Bandbreite des Ausdrucks erforscht, lässt ein riesiges weißes Rechteck in die Bochumer Jahrhunderthalle hängen, das gibt ihr eine eigene Akustik. Bis zur Tanzfläche bleibt nur ein Meter frei, die Choreografie ist auf diesen be-grenzten Raum angewiesen; aufrechter Gang ist nicht möglich. „So verdichtet sich der Tanz. Für Forsythe ist immer ganz wichtig auch das Nichtwissen, das Nichtverstehen“, sagt Stefan Hilterhaus.

Die Dimension eines Ge-dankens spüren zu lassen, ohne ihn bis ins Letzte auszuleuchten - es ist das Geheimnis von Kunst, dass sie diesen scheinbaren Widersinn immer wieder zu glücklichen Mo-menten formen kann.