Bochum. .
Die diesjährige Ruhr-Triennale wurde mit großem Theater eröffnet. „Leila und Madschnun“ in der Inszenierung von Intendant Willy Decker ist kein lautes Ereignis, aber ein beeindruckender Abend.
Ein ausgebrannter Militär-LKW steckt im Sand wie ein toter Saurier, ein Countertenor klagt grelle Trauer; ein Akkordeon, durch das der Wüstenwind pfeift und die Geschichte einer Liebe, die Wahnsinn, Krieg und Tod bringt – kann das ein schöner Theaterabend werden? Nein. Nicht schön. Aber großartig.
Wer zur Eröffnung der Ruhr Triennale liebe alte Erwartungen mitgebracht hatte, wurde enttäuscht. Keine rollenden Tribünen, kein Orchester auf Rädern. Die Jahrhunderthalle ist sich selbst genug. Auch kein uralt bekannter Stoff wie bei Schönbergs „Moses und Aron“, sondern ein altpersischer Mythos, umgedichtet in hoch emotionale, rhythmische Sprache. Dazu Klänge, in denen der Sturm heult; auch der innere, der die Seele umtreibt. Und eine Bühne, die den Irakkrieg in die Jahrhunderthalle holt. Willy Decker, der Intendant, geht in seiner Eröffnungs-Inszenierung entschlossen einen schwierigen Weg, und er hat Recht. Kunst, die den Namen verdient, darf das Experiment nicht scheuen, auch wenn es wehtut. Aida kann jeder.
Überwältigende Bühne
Ja, es tut weh. Warum? Es stimmt doch alles; die Bühne ist überwältigend, Sand deckt die Halle wie Schnee. Eine Wüste des Krieges, kalt. Dann plötzlich Hitze: Kriegsgetümmel und -geschrei, Schüsse, zuckendes Licht; da vorn liegt ein Mensch. Auch er zuckt.
Und spricht, einen unendlich schönen, ergreifenden Monolog: „Nie wird sterben, wer Leben durch Liebe empfing.“ Da setzt die Musik ein und antwortet kraftvoll den einsamen Worten, bis der Sprecher den Dialog aufnimmt; die Klänge begleiten ihn sausend und von hinten kommt einer wie ein Märchenwesen, fast scheint er zu schweben, mondsüchtig tanzend, und sagt zu dem anderen: „Steh auf!“ Es ist Madschnun, er kommt aus der Vergangenheit des uralten Epos’ zu Salam, dem jungen Soldaten der Gegenwart. Da kann der Kriegs-Koloss plötzlich fliegen und hebt sich zur Decke, Sandfahnen fallen still aus Reifen und Gestell.
Rasend im Anspruch
Doch, das kann verwirren. Sollte dies nicht eine Oper sein? Eine über die ganz große Liebe? Wo sind die Arien, und wo ist die elegische Sanftmut, die wir an Romeo und Julia so lieben?
Nichts davon. Madschnun, von dem das Stück erzählt, ist nicht sanftmütig, sondern ra-dikal in seiner Liebe zu Leila, die sie ihm weggenommen haben, kaum dass sie sich in die Augen sahen. Madschnun, das heißt: der Wahnsinnige; er rast in seiner Sehnsucht. Und so ist auch das Stück, rasend in seinem Anspruch, auch in seiner Zumutung. In seiner Sprache. Albert Ostermaier, der Dichter dieser oft verstörend pathetischen Verse (aber ist die Liebe, die große, nicht immer pathetisch?), schlägt mit großer Selbstverständlichkeit den Bogen von der Liebe zum Krieg, sein Thema ist die Verrücktheit des Liebenden vor allem wegen der Unbedingtheit, mit der sie in Tod und Zerstörung mündet. An Madschnuns Verzweiflung zerbricht nicht nur er selbst, sondern auch Leila; und der Mann, den sie seinetwegen zurückweist, seine Eltern, die er verließ und die Soldaten, die für seine Liebe, für seinen mörderisch ausgetragenen An-spruch auf Leila sterben. Madschnun begreift es zu spät.
Grandiose Musik
Das ist unbequem, und fremd. Auch die hinreißende Musik. Die musikFabrik Köln spielt furios, verebbt in Stille und schweigt lange, weht auf, steigert sich zart dröhnend, hämmert, braust, weint. Ein Akkordeon spielt in einem wunderbaren Solo Trauer, Wind und Sehnsucht, eine Blockflöte klagt. Der Bariton-Counter Hagen Matzeit, als Madschnun der einzige Solosänger, beherrscht mühelos und ergreifend die unendlichen Höhen des Wahnsinns wie die tiefe Wärme der Liebe. Und das ChorWerk Ruhr ist erschütternd in Spielfreude und Stimmkraft.
Es ist ein intensives, grandioses Zusammenspiel: Die Musik stellt sich in den Dienst des lyrischen Textes und die Regie schafft Bilder, in denen beide ihre Raum haben.
Ergreifend, zu erleben, wie aus dem Traum der Liebe ein Albtraum wird von Verzweiflung und Tod. Am Ende brüllen wieder Gewehre, zucken Blitze, Leila stirbt und Madschnun verbrennt; er verbrennt sich selbst. Oder ist es Salam, der Soldat?
Leila und Madschnun – es ist kein stürmischer Erfolg zum Beginn der Ruhr Triennale, eher ein leise fließender. Aber ganz großes Theater.
- „Leila und Madschnun“ ist eine Kreation - eine Mischung aus Musik- und Sprechtheater. Großartige Schauspieler ergänzen den Sängersolisten Hagen Matzeit, allen voran Aleksandar Radenkovic als Madschnuns Alter Ego und Nadine Schwitter als Leila. Daneben spielen Irene Kugler (Bettlerin), Daniel Rohr (Leilas Mann)und Michael Prelle (Vater). Die Musik schuf Samir Odeh-Tamimi, Musikalische Leitung hat Peter Rundel. Bühne und Kostüm Wolfgang Gussmann, Regie führt Willy Decker. Mit dem ChorwerkRuhr und der musikFabrik Köln.
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