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Neun Jahre lang wird Mona von ihrem Vater sexuell missbraucht. Und zehn Jahre lang schaut ihre Mutter dabei tatenlos zu. Die heute 45-jährige Autorin schreibt auf 278 Seiten Wut einen Brief an ihre Mutter. „Flüsterkind“ könnte eindringlicher nicht schildern, was Missbrauch der Seele eines Kindes antut.

FLÜSTERKIND von Mona Michaelsen. Verlag: Schwarzkopf & Schwarzkopf
FLÜSTERKIND von Mona Michaelsen. Verlag: Schwarzkopf & Schwarzkopf © Unbekannt | Unbekannt





„Wenn ich nicht in der Schule war, durfte ich nicht nach draußen, damit mich niemand sah. Und mit mir mussten auch meine Geschwister drinnen bleiben, weil es sonst niemanden gegeben hätte, der auf sie aufpasst. So musste ich den Kleinen Bauklötze aufstellen, mit ihnen malen, ihnen etwas erzählen. Aber immer flüsternd, um Dich nicht zu stören. Wir haben ständig geflüstert, wir haben sogar flüsternd geweint.“

Mona ist fünf Jahre alt, als sie anfängt, auf ihre Schwestern aufzupassen, das Geschirr abzuwaschen und die Wäsche aufzuhängen. Und Mona ist fünf Jahre alt, als ihr Stiefvater sie zum ersten Mal missbraucht. Erst begnügt er sich damit, das fünfjährige Mädchen zu baden, dann schleicht er sich in ihr Bett und später missbraucht er seine Stieftochter zu jeder Zeit, wenn es nicht allzu sehr auffällt.


Nicht verzeihende Wut

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Ein Buch, das die Autorin viel Energie und Durchhaltevermögen gekostet hat. Sie hat ihre schreckliche Kindheit beim Schreiben aufgearbeitet. Aber auch ein Buch, das dem Leser starke Nerven abverlangt. Mona Michaelsen beschönigt nicht, lässt kein grausames Detail aus, schont niemanden. Ihre Sprache spricht mit einer Wut, die bis heute nicht verziehen hat, nie verzeihen wird.


Angst, Pflicht und Schuld

Während die Autorin erzählt, reflektiert sie nicht. Entweder, sie richtet sich direkt an ihre Mutter, macht Vorwürfe, schreit Fragen heraus. Oder sie erzählt aus der Perspektive des kleinen Mädchens: Wenn die kleine Schwester „Kacka“ muss und Hilfe braucht. Wie viel Blut muss wohl aus einem Menschen herauslaufen, bis er leer ist? Und wie lange muss man die Luft anhalten, bis man selbst tot ist?

Diese Perspektive fängt den Leser und lässt ihn genau nachvollziehen, wie das Kind gebrochen und zu einem angsterfüllten, pflichtbewussten, nach Liebe heischenden Mädchen voller Schuldgefühle wird. Weil sie ihren Stiefvater nicht so lieb hat, wie er es möchte. Weil ihr Stiefvater säuft, schlägt, erniedrigt, wenn die Kinder ihn stören. Weil die Mutter unglücklich und genervt ist, wenn die Kinder den Haushalt nicht richtig machen. Und weil sie nichts dagegen tun kann, dass ihr Stiefvater irgendwann von ihr ablässt, dafür aber die kleine Schwester Ulla missbraucht.

„Flüsterkind“ ist ein sehr mutiges Buch. Schonungslos offenbart die Autorin alle dunklen Ereignisse in ihrer Kindheit. So wird ganz deutlich, wie sexueller Missbrauch systematisch die Seele der Kinder tötet. Es zeigt aber auch, an wie vielen Stellen unsere Gesellschaft greifen müsste, um diesen Missbrauch zu verhindern.