Salzburg. .
Auf allen Bühnen besinnt sich Salzburg auf antike Mythen. Das passt zum Jubiläum, denn die Festspiele sind selbst zum Mythos geworden. Die Bestandteile: Das einzigartige Miteinander von Kunst und Theater, Society-Glamour und Botox-Schickera.
Hochbetagte provozieren nur im Ausnahmefall, das müssen in diesem Jahr Künstler wie Jonathan Meese als Bühnenbildner für Rihms „Dionysos“-Oper übernehmen. Daniel Richter, der seinen leuchtenden Farbrausch jetzt als Ausstatter von Alban Bergs Oper „Lulu“ auslebte, hält es eher mit der Dekoration. Knallig und expressiv malte er auf Riesenleinwände und verhängte die Felsenreitschule, die so die Magie des Ortes verliert.
Ansonsten: Warm strömender, geglätteter Barock des Mozart-Vorläufers Christoph Willibald Gluck hier, grell flackernde Zwölftonmusik von Alban Berg dort. Der Kontrast zwischen den beiden Opernproduktionen, die am Wochenende die Schönen und Mächtigen anlockte, könnte nicht größer sein. „Orfeo ed Euridice“ und „Lulu“. Nicht nur zeitlich, sondern auch von den Inszenierungen kaum vergleichbar. Der antike Stoff wurde von Urgestein Dieter Dorn und seinem Ausstatter Jürgen Rose mit harmlos schönen Bildern dekoriert. Lulu indes von der kantigen, aber in die Seelentiefe vordringenden Vera Nemirova (bekannt durch drei Belcanto-Inszenierungen in Bonn). In beiden Werken beweisen die Wiener Philharmoniker Vielseitigkeit und exquisite Klangkultur.
Brillanz, Gelenkigkeit und Ästhetik
Am Pult hatte zunächst Riccardo Muti das Sagen: Der italienische Grandseigneur ist Klassizist, liebt Breitwandformat und setzt in „Orpheo ed Euridice“ auf seine berüchtigten schleppenden Tempi. Dennoch entsteht Brillanz, Gelenkigkeit und Ästhetik pur, ebenso wie auf der Bühne. Dass dabei ausdruckloses, altbackenes Rampensingen im Monumentalstil herauskommt, kennt man von Muti. Manche lieben das, bejubeln ihn.
„Endlich was fürs Auge“ schwärmten sie beim Anblick des himmelblauen Elysiums. In Watte gepackt, gefönt und gezuckert wirken die meisten schreitenden Gruppenszenen von Dorn, der seinen Ruf als Fachmann fürs Schöne untermauert. In knapp zwei kurzen Stunden erzählt er die Lovestory über den Tod hinaus zwischen der verblichenen Eurydike und dem Kämpfer Orpheus. Wie ein Promigrab ist ihre letzte Ruhestätte geschmückt, mit Kerzen und Porträtbildern. Doch bei Gluck erhalten Orpheus und Eurydike durch Amor eine zweite Chance und finden zum Eheglück. Ob Letzteres von Dauer ist, lässt Dorn allerdings offen. Zu heftig zanken sich die verschiedenen Paare im finalen Jubel-Chor, schlagen sich zornig Blumensträuße um die Ohren.
„Lulu“ ist sicherlich der schwerste Festspiel-Brocken. Vier Stunden Alban Berg; Dirigent Marc Albrecht wählte die nach Bergs Tod vervollständigte Fassung mit drei Akten, die die männermordende Frau in London sterben lässt. Auch Nemirova wagt wenig. Eher konventionell und mit grellen Richter-Farben erzählt die frühere Konwitschny-Assistentin Nemirova (kürzlich in Wien für eine „Lady Macbeth“ heftig ausgebuht) den Wedekind-Stoff, Mythos einer sexuell besessenen Serienmörderin. Hier ist sie weder Vamp noch Femme Fatale noch Sexmonster.
Strahlender Tenor
Patricia Petibon (expressiv, aber mit wenig sinnlichen Farben und engen, fahlen Höhen) macht daraus die Studie eines unschuldig schüchternen Wesens mit Flügeln. Sie ist besessen von der Idee, Dr. Schön zu heiraten. Weil dieser sie anfangs als Gattin ablehnt und mit anderen verheiraten will, mordet sie zunächst den Maler, später andere, ist ewig auch der Flucht, samt Entourage und wird von Jack the Ripper alias Dr. Schön erstochen. Unter den Sängern fiel Thomas Piffka als Dr. Schöns Sohn Alwa auf. Wie strahlend und metallisch durchdringend sein Tenor sein kann, weiß man aus zahlreichen Auftritten im Essener Aalto-Theater, wo er kürzlich die gleiche Rolle mit Bravour bestand.