Salzburg. .

Es geht um Leben und Tod und ein wenig natürlich um die Wirkung des Mieders. Dass der Jedermann 2010 trotzdem eine Besonderheit ist, dafür sorgen starke Darsteller: Birgit Minichmayr als Buhlschaft und Nicholas Ofczarek als Jedermann.

Die Festspiele haben angefangen, aber nicht mit Opernglanz und zu viel nackten Schultern über zu engen Kleidern. Das kommt noch, in den nächsten Tagen - obwohl: Es gab sie tatsächlich auch auf dem Domplatz, in der kühlen Nacht zum Montag. Hoffentlich haben sich die Damen nicht den Tod geholt, während sie ihm hingerissen zuschauten – einem theatralisch posierenden, bleigrau angestrichenen Ben Becker im fußlangen Mantel.

Die Festspiele haben furios angefangen: mit einem Jedermann, wie es ihn noch nicht gab. Und so war der Applaus erst eher zögernd, bevor er sich in die verdienten Bravos inklusive Trampeln steigerte.

Angestaubte Weihespiele werden zu bunten Stücken

Schräg, aber am Ende leicht betulich war Hofmannsthals Jedermann, seit Christian Stückl 2002 die Regie übernommen hatte. Darin war er dem Passionsspiel ähnlich, das der Oberammergauer einst ebenso entrümpelte wie die Milchkuh der Salzburger Festspiele: Aus angestaubten Weihespielen wurden bunte, lebensvoll witzige, kluge Stücke mit einem horrenden Schluss. Jedermann stieg im weißen Nachthemd in den Sarg. Kitsch als Reminiszenz an den Glauben.

Mit seinen neuen Protagonisten hat Stückl einen neuen Zugang zu dem alten Belehrstück gefunden. Mit Birgit Minichmayr, die einst mit Frank Castorf nach Recklinghausen kam, und Nicholas Ofczarek als Jedermann ist Kitsch nicht zu machen.

Eine Buhlschatf, die den Domplatz füllt

Deshalb ist dieser Jedermann 2010 zwar schrill und vielleicht noch ein bisschen mehr Kasperltheater als sonst, mit lodernder Hölle und einem umwerfenden Peter Jordan als schwarz lackierter Teufel, aber trotzdem so ernst wie vielleicht seit Max Reinhardt nicht mehr. Mit den Jahren war es immer wichtiger geworden, welche Farbe das Kleid der Buhlschaft hat und ob ihr Busen schön wogt – und immer unwichtiger, wie Jedermann stirbt. Das Ende ist ja gottseidank happy, wenn man so sagen darf; der Teufel kriegt ihn nicht, so wenig wie seinen Bruder, den Faust. Ein gütiger Gott, der bei Stückl ein Judenkäppi und Jesuslatschen trägt, nimmt den alten Prasser und Saufaus in Gnaden an – nachdem er eine kleine, späte Reue hingelegt hat. Das könnte beruhigend sein für die Zuschauer, ist es aber dank fröhlicher Selbsteinschätzung selten. Was denn – der da? Gerettet?

Das ist jetzt anders. Bei Birgit Minichmayr, die sich nicht als erste über den Salzburger Busenfetischismus mokiert hat, wogt es unerheblich; aber sie ist eine Buhlschaft, die den Domplatz unvergleichlich füllt. Sie macht aus dem lebensgierigen Sinnenweib eine warmherzige Frau mit Verstand, sie hat Jedermann versprochen: „Dein bin ich heut und ewiglich“, aber als er fragt, ob sie mit ihm sterben will, sagt sie sehr ruhig: Nein. Und endlich wird klar, dass sie Recht hat. Sie weicht nicht vor irgendeiner Verantwortung zurück (welcher denn?), rettet nicht ihre Haut, sondern sie erkennt die Grenze. „Ewig“, das kann nur für das Leben gelten, nicht für den Tod. Zu sehen, wie Birgit Minichmayr diese elementare Erkenntnis in wenigen Sätzen, sparsamen Gesten vermittelt – es ist ein Erlebnis.