Hamburg. .
Der Enthüllungsjournalist Günter Wallraff will Nachwuchs-Journalisten für Undercover-Reportagen gewinnen und plant dazu eine Stiftung: „Die sozialen Missstände nehmen Formen an, dass es mehr als nur einen wie mich braucht“.
Mit einer eigenen Stiftung will der bekannte Under-Cover-Autor und -Journalist Günter Wallraff den Kampf gegen Missstände in Wirtschaft und Gesellschaft ausweiten. Der 67-Jährige kündigte am Wochenende in Hamburg an, ein „Wallraff-Stipendium“ ins Leben zu rufen, das erstmals ab diesem Herbst Nachwuchs-Journalisten für Sozial-Reportagen gewinnen und unterstützen will.
„Die Zustände in immer mehr Wirtschaftsbereichen nehmen frühkapitalistische Formen an“, erklärte Wallraff im Gespräch mit DerWesten. Systematisches Mobbing und das unter Druck setzen etwa von Betriebsratsmitgliedern seien vielerorts Praxis. Wallraff: „Ich bekomme jede Woche Zuschriften, die drastische Fälle schildern“. Daher will er „auch andere ermutigen und fördern, nach meiner Methode zu arbeiten und derartige Zustände öffentlich zu machen“. Die Sozialreportage, ist Wallraff überzeugt, „ist aktueller denn je“.
Under-Cover-Recherche umstritten
Allerdings sind Wallraffs Reportagen nicht unumstritten. Zuletzt löste der 67-Jährige auch unter Zuwanderer ein geteiltes Echo aus, als er im Oktober vergangenen Jahres als Afrikaner Kwami Ogonno verkleidet über seine Erfahrungen mit alltäglicher Diskriminierung in Deutschland berichtete. Ein Projekt, bei dem man ihm vorhält, die Erkenntnisse wären auch ohne Under-Cover-Recherche zu gewinnen gewesen.
Die Stiftung würde zur Hälfte aus seinem eigenen Vermögen getragen, erläuterte Wallraff. Er wolle bis zu fünf Journalisten pro Jahr finanziell fördern, um sie in die Lage zu versetzen, ein bis drei Monate an einem Projekt verdeckt zu recherchieren. Bewerber sollten Projekte vorschlagen, diese würden von einer unabhängigen Jury bewertet.
Der 67-Jährige betont, das Einschleichen in Unternehmen unter anderer Identität mit dem Ziel, dort Missstände aufzudecken, „ist in Deutschland höchstrichterlich abgesichert“. Grundlage dafür gaben seine verdeckten Recherchen als „Bild“-Zeitungs-Mitarbeiter „Hans Esser“, die in den Bestseller „Der Aufmacher“ mündeten, oder als türkischer Leiharbeiter im Buch “Ganz unten“. Stipendiaten sollten allerdings nicht zwingend unter falschem Namen tätig werden, sagte Wallraff: „Als Praktikant hat man heute doch die Chance, überall einen Einblick zu bekommen.“
„Ich hab den Biss wieder“
In seinem nächsten eigenen TV-Projekt will Wallraff die Praktiken unseriöser Anwaltskanzleien aufgreifen, die Unternehmen anbieten, missliebige Mitarbeiter, allen Gesetzen zum Trotz, auf die Straße zu setzen. Die Reportagen dazu sind bereits in seinem jüngsten Buch veröffentlicht; Titel: „Aus der schönen neuen Welt - Expeditionen ins Landesinnere“.
Sich selbst aus dem Metier zurückzuziehen plane der 67-Jährige allerdings noch nicht, betonte Wallraff: „Ich hab’ den Biss wieder“. Nach einer schweren Knochenerkrankung, die ihn in den vergangenen Jahren dazu gezwungen hatte, „das Laufen neu zu lernen“, fühle er sich mittlerweile wieder belastbar: „Ich habe eine gute Maskenbildnerin, die aus mir sogar noch einen früh gealterten 49-Jährigen hervorzaubert“. Aktuell bereitet Wallraff einige neue Projekte vor: „Ich habe den Eindruck, ich werde wieder gebraucht.“