Essen. In ihrem Film „Die Sünderin” war Hildegard Knef nackt zu sehen – unscharf, sehr weit hinten, sekundenlang. Aber es gab noch andere Gründe, den Skandal auszurufen in einem Land, in dem der Aufbruch schon begonnen hatte.
Als die Knef sich auszog, tat sie es nicht, um die Spießer das Fürchten zu lehren. Sie tat es der Kunst wegen; oder, sagen wir: um des Erfolges willen. „Die Sünderin” bot ganz andere Provokationen als ein bisschen Nacktheit, und sie verpackte sie in eine gefühlig pointierte, verkaufstechnisch höchst effektive Geschichte.
Die Prostituierte Marina hat immer nur Schlimmes erlebt. Ihr Stiefvater wurde von der Gestapo verhaftet, ihr Stiefbruder hat sie verführt und der Mann, den sie liebt, hat einen Gehirntumor. Die Kosten für die Operation verdient sie im verrufensten aller Gewerbe, und als nichts mehr hilft, flößt sie ihm Schlaftabletten ein und begeht Selbstmord.
Rigide Normen - aber eine Zeit des Aufbruchs
Hilde
Kinostart: 12. März 2009
Regie: Kai Wessel
Darsteller: Heike Makatsch, Dan Stevens, Hanns Zischler, Monica Bleibtreu, u.a.
Das waren Gründe genug für Priester, Stinkbomben in Kinos zu werfen und für Politiker, Flugblätter zu verteilen: „Ein Faustschlag ins Gesicht jeder anständigen deutschen Frau! Hurerei und Selbstmord! Sollen das die Ideale eines Volkes sein?” Das Volk und die anständigen deutschen Frauen, die an solche Anrede noch gewöhnt waren, interessierten sich umso mehr für den Film.
Das ist kein Wunder, denn 1951 herrschten einerseits rigide, ans Kaiserreich anknüpfende gesellschaftliche Normen. Andererseits aber waren die 50er-Jahre, die im Rückblick so vergilbt und sofaträge scheinen, eine Zeit des Aufbruchs und, immer noch, des Neuanfangs.
Asymmetrisch war plötzlich schön
Der Krieg lag wenige Jahre zurück, Männer und Frauen hatten Chaos und Tod erlebt und waren mit diesen Erfahrungen in ein Leben zurückgekehrt, das sie selbst ordneten. Das konnte der Kirche und einem konservativen Staat nicht Recht sein. Die Menschen erlebten ganz neue Wunder und nannten sie auch so: Wirtschaftswunder, Fräuleinwunder. Arbeitsplätze entstanden und ein unbekanntes Lebensgefühl; vieles an der neuen Sicherheit war Import aus Amerika, das untertrich die Radikalität des Wandels.
Die zeigte sich auch darin, dass der Fortschritt auf der Straße sichtbar und erreichbar wurde. Opel baute den Kapitän, der BMW 501 kostete stolze 14.000 DM; 135 Stundenkilometer fuhr er. Und Nierentisch und Tütenlampen standen auch für die Abwendung von der Starre des Nationalsozialismus – plötzlich war asymmetrisch schön.
Bei der Jugend fing alles an
Als „Die Sünderin” in den Kinos lief oder abgesetzt wurde, war die Bundesrepublik jung, aber ihr Bundeskanzler Konrad Adenauer stand für das bewährte Alte. Trotzdem liegt es nicht daran, dass die 50er-Jahre aus heutiger Sicht so weit weg, so muffig scheinen. Es hat nichts damit zu tun, dass Adenauer eine antikommunistische und antisozialdemokratische Politik machte und beide Bewegungen weitgehend gleichsetzte. Das ist längst vergessen wie die Tatsache, dass er Amtsträger des faschistischen Staates eingliederte und Hans Globke, den Herausgeber des Kommentars zu den Nürnberger Rassengesetzen, zum Leiter des Kanzleramtes machte. Es ist vergessen und verdrängt; die 68er Studenten waren die letzten, die daran erinnerten.
Spießig und verplüscht erscheinen die 50er-Jahre vor allem wegen ihrer engen Sexualmoral. In diesem Bereich hat sich die Gesellschaft weiter entwickelt als in anderen: Damals musste geheiratet werden und an die Pille war kein Denken, die Verhütungsmittel hießen Koitus Interruptus und Knaus Ogino. Das ist den Jungen heute unvorstellbar.
Und doch fing bei der Jugend alles an. Die kleinen Monikas trugen Berchtesgadener Jäckchen, aber ihre großen Schwestern hatten Petticoats und die Brüder Jeans, und sie tanzten Rock 'n' Roll – wenige Jahre später wurde die Musik zum Symbol des Aufbruchs, der am Anfang des Jahrzehnts zu rumoren begonnen hatte.
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