Essen. Prokofjew war Neuland für den kanadisch-polnischen Pianisten – er meisterte ihn bravourös, wenn auch mit Grenzen. Jubel über Chopin.

Ovationen in Hülle und Fülle bei den ersten beiden Abenden des Prokofjew-Projekts, das beim Klavier-Festival Ruhr die Essener Philharmonie zum Jubeln brachte. Und das, obwohl man sich eine homogene Symbiose der kraftbetonten Musik Prokofjews mit der feinsinnigen Ästhetik des polnisch-kanadischen Pianisten Jan Lisiecki nicht so recht vorstellen kann. Und mit den Konzerten 1, 2 und 4, denen im nächsten Jahr die restlichen beiden Konzerte folgen werden, beschreitet der Musiker in der Tat persönliches Neuland.

Jan Liesicki stößt beim Versuch, Prokofjew im „Geiste Mozarts, Mendelssohns und Ravels“ zu interpretieren, an Grenzen

Befürchtungen, die athletischen Anforderungen vor allem des wüsten Zweiten Konzerts könnten Lisiecki an seine konditionellen Grenzen führen, erwiesen sich rasch als haltlos. Sowohl die gewaltige zentrale Solo-Kadenz im ersten Satz, der atemlose Husarenritt des Scherzos als auch die dynamischen Eruptionen des Finales bewältigte Lisiecki mit bewundernswerter Präzision und Mühelosigkeit. Seine Intention, Prokofjew aus dem „Geiste Mozarts, Mendelssohns und Ravels“ zu interpretieren und damit vom Dunst einer sportiven „Mucki-Bude“ zu befreien, ist im Zweiten Konzert allerdings nur begrenzt zu erreichen.

Jan Liesicki spielte in der Essener Philharmonie Chopins „Regentropfen“-Prélude als Zugabe

Im Gegensatz zu den schlankeren Nummern 1 und 4. Gleichwohl nutzte Lisiecki die zahmeren Passagen, um seine bestrickend filigrane Anschlagskultur wirkungsvoll zur Geltung zu bringen. Nur noch übertroffen von Chopins „Regentropfen“-Prélude als Zugabe, mit der er den von Prokofjew aufgeheizten Blutdruck des Publikums aus der gesundheitlichen Gefahrenzone führte.

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Begleitet wurde er zuverlässig und versiert von der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter der Leitung seines „Special Guest Conductors“ Tarmo Peltokoski. Ob man dem 24-jährigen Finnen einen Gefallen tut, ihn mit einem gewaltigen medialen Hype schon jetzt auf den Olymp einer „Jahrhundertbegabung“ zu katapultieren, wird sich zeigen. In der orchestralen Nagelprobe des zweiten Abends, Mozarts Symphonie Nr. 39 in Es-Dur, beeindruckte er durch seine Fähigkeit, das Orchester mit sprudelnder Energie zu befeuern. Allerdings ging die spürbare, jedoch an der Grenze zu überdrehter Rasanz schrammende Spielfreude auf Kosten der klanglichen Transparenz und rhythmischen Prägnanz. Nicht minder in Mozarts „Figaro“-Ouvertüre als Zugabe. Grenzerfahrungen im Umgang mit Mozart, von denen sich das begeisterte Publikum in der Essener Philharmonie von den Sitzen reißen ließ.