Recklinghausen. Im ratzekurzen Bühnen-Solo, uraufgeführt bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen, spielt Hübner einen Schauspieler in Weltverzweiflung.
Er ist schon eine echte Bühnenwucht, dieser Carsten Johannes Marcus Hübner, den alle Welt und er selbst Charly nennt. Man weiß das oder ahnt es, und deshalb ist diese Uraufführung von „Late Night Hamlet“ hoffnungslos ausverkauft, genau wie die beiden folgenden Abende. Hübner spielt darin ein Solo, das aus einer ganzen Reihe von Rollen besteht. Zunächst hören wir nur seine Stimme, am Telefon, wie er dem Regisseur Kieran Joel absagt – und dann fängt in der ersten Reihe einer an zu mosern. Lustvoll, aus lauter enttäuschter Vorfreude. Hubertus Schein, wie sich herausstellt, ein Juwelier aus Göttingen, der sich doch so auf den „Hamlet“ gefreut hatte. Unter der schwarzen Perücke, hinter dem Kunstgebiss steckt natürlich – Hübner. Der nun die Bühne entert und einen Hübner spielt, der eine Art entfesselten Hamlet spielt. Grübler. Wahrheitssucher. Wissender. Vielleicht wäre er im 21. Jahrhundert wirklich ein Late-Night-Talker.
Charly Hübner liest aus der Zeitung Sätze über Charly Hübner vor
Die Bühne ist bei dieser Kooperation mit dem Schauspielhaus Hamburg rechts und links tatsächlich die Kulisse einer Late Night Show mit Schreibtisch (samt Schädel und Buzzer, es gibt auch sarkastische Quiz-Fragen) vor Metropolen-Silhouette zur Rechten und einem riesigen Glühlampen-H zur Linken. Kurz vor dem Finale wird dieser Schein-Hamlet-Hübner dann Yorick hinterhertrauern, der längst zum Schädel geworden ist, und ihn spielen, einen Nonsens-Witz über eine Giraffe in der Bäckerei erzählen. Hamlet, der Melancholiker, der weiß, dass alles nur ein Spiel ist, spielt diesen Yorick, der alles nur zum Spiel macht. Und trauert mit Witz. Verzweifelt mit großem Können, gerade als Künstler. Schwein oder nicht Schwein, das kann auch eine Frage sein.
So ist dieser ganze, 75 Minuten kurze Abend, an dem Charly Hübner auch noch authentische Zeitungssätze über Charly Hübner (51) vorlesen wird: „Shakespeare ist wie Tarantino“ oder „in jeder Faser mit norddeutscher Herzlichkeit erfüllt“. Scherz, Satire, Ironie und schiefere Bedeutung: Zwischendurch ist auch noch Zeit für eine „Tatort“-Parodie (ausgerechnet vom ehemaligen „Polizeiruf“-Kommissarsdarsteller) an der Grenze zum Albernen.
Aber er will sich ja nicht nur einen Jux machen. Und deshalb gibt es auch diesen Moment der Verzweiflung, als Hamlet ein Stück dieser ominösen Masse in Händen hält, die uns allen zwischen den Ohren steckt — und in der Verzweiflung darüber, dass wir einfach nicht gemeinsam, sondern höchstens einzeln zur Vernunft kommen, dieses Hirn in Fetzen reißt. „Ich habe Systemschmerz“ jammert er dann wieder, was soll ich da machen als Künstler?“ Dass er dann auf die Eliten schimpft, die sich selbst bespiegeln, statt vorauszudenken, ergibt prompt einen Szenenapplaus.
Stehende Ovationen für Charly Hübner
Mit Stichworten wie „Mindestlohn“ und „Wehrpflicht“ oder Sätzen wie „Ich bin dafür da, dass Sie in mir Ihr Leben sehen“ rutscht diese „Stückentwicklung“ ein wenig in Richtung nicht mehr so ganz so neues deutsches Diskurstheater. Aber dann wird es am Ende doch noch gelingendes Theatertheater, wenn Hübner mit roter Clownsnase zeigt: „Hinter diesem Vorgang befindet sich das Nichts, die Illusion.“ Aus dem unendlichen Möglichkeitsraum, der darin steckt, macht dieser Abend ein furios gespieltes, zwinkerndes Drama des Künstlers als zweifelnder Mensch.
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Der heftig tosende Applaus, für den bei der Uraufführung am Freitagabend im Ruhrfestspielhaus von Recklinghausen einige schon aufsprangen, kaum dass Charly Hübner gerade an die Rampe zurückgekehrt war, währte nicht allzu lange; er galt in hörbarer Aufwallung aber auch dem Regie-Team.