Recklinghausen. Toni Schumacher auf der Bühne der Ruhrfestspiele: Die Tragödie „Die Nacht von Sevilla“ entstand mit dem Deutschen Fußballmuseum.
90 Minuten dauert „Die Nacht von Sevilla“ im Großen Haus der Ruhrfestspiele, und in dieser Zeit wird der Zuschauer Augen- und Ohrenzeuge einer klassischen Tragödie in fünf Akten über den Zusammenprall zweier Mächte, über Sieger und Verlierer, über strahlende und tragische Helden und nicht zuletzt einen Schurken. Dabei hat die Uraufführung, die in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Fußballmuseum in Dortmund entstand, eben nur diesen Fußball zu Thema, aber der hat ja schon so manchen Mythos begründet.
Und das Halbfinal-Spiel zwischen Deutschland und Frankreich am 8. Juli 1982 in Sevilla, eines der denkwürdigsten Spiele in der Geschichte der Fußball-Weltmeisterschaft, lässt sich nun wirklich nicht unter der Rubrik „wichtigste Nebensache der Welt“ einordnen. Was auf dem Platz geschah, einschließlich Verlängerung und Deutschlands Sieg im Elfmeterschießen, verblasste angesichts des schrecklichen Zusammenpralls von Torwart Harald „Toni“ Schumacher und Frankreichs Abwehrspieler Patrick Battiston, der bei Schumachers nicht geahndetem Foul u.a. einen Halswirbelbruch erlitt. Die Ereignisse während des Spiels drohten sogar zu einer Belastung für die deutsch-französische Freundschaft zu werden.
Stephan Klemms Buch in mitreißende szenische Form überführt
Autor Manuel Neukirchner, Leiter des Fußballmuseum, hat Stephan Klemms 2022 erschienenes Buch bearbeitet, hat Gespräche mit den Protagonisten von damals geführt, hat Aussagen aus Autobiografien, Dokumentationen, aus Zeitungsberichten und Fernsehübertragungen zusammengetragen und alles in eine mitreißende szenische Form überführt.
Auf der Bühne hängt eine gewaltige Scheibe, rund wie ein Ball, aber der Metallrahmen erinnert auch stark an das „Stargate“, das Sternentor aus Film und Serie. Die Fotos, die hier situationsgenau zugeblendet werden, führen wirklich in eine andere Welt. Davor ein Lesepult mit Mikrophonen, ein Stuhl, ein Hocker (auf dem später Toni Schumacher Platz nehmen und seinen Schlussmonolog vortragen wird). Hier schlägt die große Stunde von Peter Lohmeyer, der allen Protagonisten seine Stimme leiht.
- Harald Schumacher: „Ich habe mich nie als Schurke gefühlt“
- Theaterepos mit Peter Lohmeyer und Toni Schumacher: WM 1982
„Die Nacht von Sevilla“, die weniger Theaterstück als hochatmosphärisches Hörspiel ist, beginnt vor dem Anpfiff. Was geht Abwehrspieler Karlheinz Förster in der Kabine durch den Kopf, was empfindet sein französisches Pendant Marius Trésor? Was geben die Trainer Jupp Derwall und Michel Hidalgo ihren Männern mit auf den Weg? Wir begegnen allen Beteiligten, ob Paul Breitner, Pierre Littbarski, Klaus Fischer oder Horst Hrubesch auf deutscher, Michel Planini, Didier Six und Manuel Amoros auf französischer Seite, und es geht ausschließlich um deren jeweilige Gedanken und Gefühle während oder nach einer als bedeutsam empfundenen Situation.
Permanente Wechsel der Stimmen schafft einzigartige Atmosphäre
Zwischendurch kommt ZDF-Fernsehkommentator Rolf Kramer zu Wort oder dessen französischer Kollege. Später, nach dem Elfmeter-Drama, erklingen die gehässigen, meist an Toni Schumacher festgemachten Kommentare. Ständig ändert Peter Lohmeyer Duktus und Tonfall, fügt hier eine französische Klangfärbung zu, deutet da Dialekte (Littbarskis Berlinerisch) nur ganz leise an, und bei Schiedsrichter Corver hört man kaum, dass er Niederländer ist. Dieser permanente Wechsel der Stimmen schafft eine einzigartige Atmosphäre.
Peter Lohmeyer gelingt es allein durch Sprache, durch Sprechkunst, das Drama des legendären Spiels mit all seinen Fassetten in die Köpfe der Menschen zu pflanzen. Dann ist man wieder mittendrin, in dieser Nacht von Sevilla vor 42 Jahren.
- „Die Nacht von Sevilla“ tourt durch NRW: Für den Termin am Mittwoch, 15. Mai, 19 Uhr, im Theater Dortmund, sind nur noch Restkarten erhältlich.
- Tickets gibt es noch für den Termin am Donnerstag, 16. Mai, 19 Uhr, im Musiktheater im Revier (MiR) in Gelsenkirchen.
- Weitere Termine: 31. Mai um 19 Uhr im Theater an der Ruhr in Mülheim sowie am 4. Juni um 19 Uhr im Gürzenich in Köln.