Essen. Der Schweizer Schriftsteller Martin Suter (61) ist ein Meister des zackig reportierten Zeitgeistes - auch im neuen Roman „Der Koch“, der am Montag erscheint. Sein Rezept für eine glückliche Ehe: Liebe, neugierig sein und die Einsicht, dass man im Leben nichts verpassen kann.
Sie beschreiben im neuen Roman die aphrodisierende Wirkung eines ayurvedisch-molekularen Essens. Um gleich die dringendste Frage zu klären: Funktioniert das Menü?
Suter: Ich habe am Schluss die Rezepte checken lassen von Heiko Antoniewicz, dem deutschen Molekularkoch. Er sagte, das funktioniere kulinarisch auf jeden Fall. Ob es auch erotisch funktioniert, hat er nicht verraten…
Wie sind Sie auf die Verbindung von ayurvedischer und molekularer Küche gekommen?
Suter: Ich suchte nach einer Art Zaubermittel. Ich wollte einen Magier als Koch, aber es sollte nicht ein Spitzenkoch sein, sondern einer, der sich gar nicht entfalten konnte, ein Küchengehilfe. In der Schweiz sind dies oft Tamilen. Die ayurvedische Küche hat acht Sparten, eine davon heißt Vajikarana. Da gibt es alte, aphrodisierende und libidosteigernde Rezepte, die man allerdings über längere Zeit anwenden muss. Die Verbindung mit der molekularen Küche erklärt sich einerseits aus dem Ehrgeiz meiner Hauptfigur, Maravan, etwas Neues zu schaffen – und gab mir andererseits eine plausible Erklärung dafür, warum das erotische Menü so schnell wirkt, nämlich im Laufe eines Abends.
Sie sind der Koch in Ihrer Familie - was ist ihr Lieblingsgericht, oder vielleicht: Ihre liebste Art der Küche?
Suter: Ich habe gerne die ganz einfachen Sachen mit zwei, drei Zutaten und ein bisschen Zwiebel, Salz, Pfeffer. Eintopfgerichte, Ragouts. Manchmal aber auch sehr komplizierte asiatische Gerichte, bei denen man alle dreißig Sekunden ins Kochbuch schauen muss. Ich variiere gerne - bei uns zu Hause bin ich meist derjenige, der kocht.
Sie leben seit über 35 Jahren mit ihrer Ehefrau zusammen, der Modedesignerin Margrith Nay Suter – verraten Sie dafür ein Rezept?
Suter: Auf diese Frage habe nicht sehr originelle Antworten, leider. Es ist schon wichtig, dass man sich liebt. Zweitens, dass man neugierig aufeinander bleibt. Und drittens muss man die Einsicht haben, die ich dann irgendwann einmal hatte, dass man im Leben nichts verpassen kann.
Wie meinen Sie das genau?
Suter: Man muss nicht immer die Augen offenhalten nach anderen Abenteuern. Das gilt für alles. Wenn man sich das klarmacht, dann gibt das eine gewisse Entspanntheit im Leben.
Der Autor Martin Suter
Martin Suter wurde 1948 in der Schweiz geboren und fing seine Karriere als Autor in der Werbebranche an. Nach dem er einige Drehbücher für Filme und fürs Fernsehen verfasste, wurde er auch als Kolumnist bekannt. 1997 erschien sein erster Roman „Small World“, darauf folgten „Die dunkle Seite des Mondes“ (2000) und „Ein perfekter Freund“ (2002). In seinem Buch „Der Koch“ (2010) setzt er sich mit der Finanzkrise, Sri Lanka und einem Aphrodisiakum auseinander. Aktuell lebt Suter mit seiner Frau in Spanien und Guatemala.
Sie haben dafür aber gemeinsam mit ihrer Frau sehr viele Wechsel erlebt: Sie leben mit ihrer Familie an drei Orten, in Zürich, Guatemala und auf Ibiza, und Sie haben in verschiedenen Berufen gearbeitet.
Suter: Ja, vielleicht schweißen die Ortswechsel zusammen – andererseits sind sie auch mit Stress verbunden, könnten auch das Gegenteil bewirken. Die Berufswechsel hingegen habe ich nie wirklich als Wechsel erlebt. Ich wollte immer schreiben und habe das auch getan, ob als Werbetexter, Journalist oder Autor.
Sie teilen mit ihrer Hauptfigur Maravan nicht nur die Leidenschaft fürs Kochen, sondern auch die starke Betonung des Familienlebens. Welchen Stellenwert hat die Familie für Sie?
Suter: Meine Einstellung ist bisschen mitteleuropäischer, man lebt schon nicht so in der Sippe wie in Sri Lanka. Aber meine eigene Familie ist mir natürlich das Wichtigste, das Liebste… Wir haben vor kurzer Zeit ein Kind verloren; das war ein Schlag, von dem wir uns nicht mehr erholen werden.
Sie sprechen von ihrem Adpotivsohn Antonio, der im Sommer im Alter von drei Jahren bei einem Unfall starb; ihr Roman ist ihm gewidmet. Sie haben noch eine Adpoptivtochter, die beinahe gleich alt ist – wie geht sie damit um?
Suter: Sie bezieht Antonio in ihre Spiele ein, sie spricht immer noch mit ihm. Sie war von Anfang an dabei, als es passierte, im Spital, in der Gerichtsmedizin, bei der Beerdigung, wir konnten nichts anderes tun als ihr die Wahrheit sagen. Sie weiß, Toni ist jetzt im Himmel. Abends schaut sie sich immer einen bestimmten Stern an…
Ich bewundere sehr, wie Sie diese Tragödie verarbeiten - dass Sie dennoch den Roman beendet haben, Ihrer Arbeit nachgehen.
Suter: Der Roman war damals schon fertig bis auf die Korrekturen, der letzte Satz bereits geschrieben. Ich weiß gar nicht, ob man so etwas je verarbeiten kann, vieles hat mit Verdrängen zu tun. Sich auf etwas anderen zu konzentrieren, für ein paar Stunden die Gedanken beiseite zu schieben, das ist auch eine Entlastung.
Sie haben für Ihren Roman unter anderem beim kantonalen Migrationsamt in Zürich recherchiert, beschreiben die Ausgrenzungen, die Maravan erfährt. Die Schweiz geriet zuletzt in deutsche Schlagzeilen mit dem Minarett-Verbot – spüren Sie einen Rechtsruck?
Suter: Wir haben das alle unterschätzt, waren alle überrascht von diesem Resultat. Zu der Stammkundschaft der Rechten, die wie überall in Europa etwa ein Viertel der Bevölkerung ausmachen, kamen offenbar Menschen mit unterschiedlichen Motiven: Frauen, die nicht von den Kosovo-Albanern angemacht werden wollten. Menschen, die sich über die Autorennen jugendlicher Migranten aufregen. Oder auch Feministinnen, die gegen die Unterdrückung der Frauen im Islam kämpfen. Doch wenn es die Möglichkeit dieser Abstimmung in anderen europäischen Ländern geben würde, ich wäre nicht sicher, ob das Ergebnis anders ausfiele.
Wahrscheinlich dient die Schweiz nur als Seismograph für Europa.
Suter: Ich glaube auch, ja. Die Schweizer sind verunsichert durch die Personenfreizügigkeit. Es passiert, was sie noch nicht kannten: Es kommen hochqualifizierte Leute, gerade aus Deutschland, die den Hochschullehrern die Jobs wegnehmen – und nicht nur den Küchengehilfen. Die ausländerfeindlichen Kräfte sind zudem viel besser organisiert als früher.
Ihr Roman enthält politischen Sprengstoff: Sie beschreiben Waffengeschäfte mit ausgedienten Schweizer Panzern, die auf Umwegen nach Sri Lanka geliefert werden. Erwarten Sie eine Debatte?
Suter: Das ist ja nur eine Geschichte innerhalb dieser beiden Buchdeckel… Ich habe da recherchiert und gemerkt, es gibt eine Lücke für Waffenexporte, über Umwege könnten sie in kriegführende Länder verkauft werden. Die Schweiz ist jedoch verglichen mit allen andern Ländern ein unwichtiger Waffenexporteur, das ist keine große Industrie. Am gleichen Tag, an dem über das Minarett-Verbot abgestimmt wurde, ist eine Initiative für ein Waffenexport-Verbot abgelehnt worden.
Sie thematisieren auch die Finanzkrise, stellen die Frage, wie käuflich die Moral ist. Hat sich durch die Krise das Bewusstsein geändert?
Suter: Ich fürchte nicht, leider. Ich glaube eher, dass die Finanzarbeiter, wenn ich es mal so nennen darf, dadurch, dass viele von ihnen Arbeitslosigkeit am eigenen Leib erfahren haben, nicht mitfühlender, sondern verbissener geworden sind. Weil so viel auf dem Spiel steht, wird eher noch mit härteren Bandagen gekämpft werden. Es kommt darauf an, ob die Staaten es schaffen, das zu reglementieren.
Gerade in der Schweiz haben die Banken eine extrem starke Position.
Suter: Ja, die sind sehr gut verlinkt. Die UBS wurde mit 66 Milliarden Schweizer Franken gestützt, aber die Regierung hat es nicht hingekriegt, die mehr an die Kandare zu nehmen.
Kritiker werfen Ihren Romanen zuweilen vor, zu unterhaltsam zu sein und meinen damit: nicht literarisch. Die NZZ nannte Sie in einer Rezension den Meister des Trash und Schund. Verletzt Sie das?
Suter: Nein – aber der Vorwurf erstaunt mich schon immer wieder. Meine eigenen Lesegewohnheiten sind so, dass mich ein Buch fesseln muss. Ich versuche, die Leser einzubeziehen in meine Geschichten. Die deutschsprachige Literatur hat diese Ratlosigkeit gegenüber Büchern, bei denen man wissen will, wie es weitergeht. Ich habe bereits zwei Krimi-Preise gewonnen – obwohl ich gar keine Krimis schreibe.