Dortmund. Jahresrückblick 2023: Am 27. Mai verspielte Borussia Dortmund auf dramatische Weise die Meisterschaft — das wirkt bis heute nach.

Natürlich ist dieser Tag nicht vergessen, wie könnte er auch. „Das war der schrecklichste Tag meines Lebens“, sagte Hans-Joachim Watzke noch Ende November. Und auch wenn es nicht alle im Borussia-Dortmund-Kosmos so drastisch sehen mögen wie der Geschäftsführer: Der 27. Mai 2023 hat sich eingebrannt ins schwarz-gelbe Gedächtnis und hat dabei tiefe Narben hinterlassen.

Der BVB muss an diesem Samstagnachmittag nur gegen Mainz 05 gewinnen, um nach elf endlos langen Jahren des Wartens wieder die Meisterschale in den Himmel zu stemmen. Die Deutsche Fußball-Liga glaubt an den BVB, sie hat das Original der Schale nach Dortmund geschickt und nur eine Kopie nach Köln, wo der FC Bayern antritt. Aber wer bitte glaubt nicht an den BVB an diesem Tag?

Mainz reist mit vier Niederlagen in Serie und 3:13-Toren im Gepäck nach Dortmund, der BVB ist in fulminanter Form. Die Menschen strömen nach Dortmund, viele Hotels sind ausgelastet, die Gastwirte haben ihre Biervorräte aufgestockt. Die Strecke für den Meisterkorso am Sonntag ist längst eingerichtet, 200.000 Fans erwartet die Polizei.

Plötzlich ist es still im Stadion

Aber dieses eine letzte Spiel, es muss eben noch gespielt werden. Der FC Bayern braucht im Parallelspiel einen Sieg, um die Titelchance zu wahren und führt schnell 1:0. Nicht schlimm, der BVB braucht ja bloß ein eigenes Tor, um die Dinge zu regeln. Doch dann Ecke Mainz, Andreas Hanche-Olsen fliegt heran und drückt den Ball per Kopf ins Tor – und zum ersten Mal ist es mit einem Schlag still im sonst so lauten, so stimmungsvollen Dortmunder Stadion. Aber nicht lange: Raphael Guerreiro fällt im Mainzer Strafraum: Elfmeter! Sebastien Haller, der sich nach seiner Krebserkrankung in der Rückrunde so fulminant wieder herangekämpft hat, den BVB mit wichtigen Toren an die Spitze geschossen hat, schnappt sich den Ball – und verschießt. Und damit nicht genug Drama, fünf Minuten später köpft Karim Oniwiso, Gregor Kobel bekommt die Hände noch an den Ball, der aber trudelt wie in Zeitlupe über die Linie. Und spätestens jetzt kriecht dieser Gedanke in die Köpfe, auf dem Feld wie auf den Tribünen: Das kann heute tatsächlich noch schiefgehen!

Ein paar irre Volten aber soll das Schicksal noch bereithalten an diesem Tag: Raphael Guerreiro macht den Anschlusstreffer, 20 Minuten sind noch Zeit. Und dann wird es richtig laut im Stadion, dann nämlich kommt die Kunde vom Ausgleich des 1. FC Köln. Der BVB ist wieder vorne! Sollte diese Saison der Stolperer und des Schneckenrennens an der Spitze wirklich die Pointe bekommen, die sie verdient, dass sich Dortmund nämlich zum Titel verliert?

Soll sie nicht, kurz vor Schluss herrscht wieder Stille im Stadion: Jamal Musiala hat für den FC Bayern getroffen, in der 89. Minute. Niklas Süle schießt zwar noch den Ausgleich für den BVB, aber das reicht nicht mehr. Platz zwei, die Schale aus der Hand gegeben, und das nur wegen der schlechteren Tordifferenz. Knapper, bitterer kann man kaum scheitern, auf dem Rasen kauert Marco Reus auf der Ersatzbank sitzt Julian Brandt und weint.

Die Tränen fließen beim BVB weiter

Auf der Südtribüne sammeln sie sich am schnellsten, feiern die Mannschaft trotz des finalen Stolperers, singen ihr Trost und Mut zu. Aber die Tränen fließen weiter, auch am nächsten Tag, als sich die Spieler noch einmal am Trainingsgelände versammeln, bevor es in den Urlaub geht, als die Fans noch einmal draußen warten, auf Autogramme hoffen und wohl auch auf etwas Trost.

Aber woher soll der kommen? Die Narbe des 27. Mai bleibt, der Schmerz wirkt nach. Das zeigt sich in der Folgesaison schnell, als die Mannschaft schwach in die Saison startet, als sie am dritten Spieltag nach 2:0-Führung nur 2:2 spielt gegen den Aufsteiger 1. FC Heidenheim: Da wüten und pfeifen die Anhänger im Stadion wie lange nicht. Auch die Spieler bekommen den Mai nicht so schnell aus den Klamotten geschüttelt, zumindest wird das Titeltrauma immer wieder als Erklärung herangezogen, wenn es in der Hinrunde nicht so läuft wie gewünscht. Den Schmerz über die verpasste Chance kann wohl nur die Zeit lindern. Oder besser noch: ein Titel.

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